Liebeslyrik

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Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen:
verlorn ist das slüzzelin:
dû muost immer drinne sîn.

Münchner Handschrift, 13. Jahrhundert

Liebeslyrik ist diejenige Untergattung der Gattung Lyrik, auf welche die Kategorien der Subjektivität, der Stimmung und des Erlebnisses in besonderem Maße zutreffen. Liebeslyrik als Gefühlspoesie und Ich-Aussage prägt seit der Goethezeit und der Romantik das vorherrschende Lyrikverständnis.


Einordnungen

Die Liebeslyrik des Mittelalters, der Minnesang, war demgegenüber nicht Erlebnisdichtung, sondern 'Rollenlyrik' (Marienverehrung und Frauenlob): Sie besang die entsagende, auf Aufschub und ethische Verfeinerung gerichtete Hohe Minne.

Erst in den Gedichten von Walther von der Vogelweide findet sich Liebe und Liebeserleben als reale Begegnung von Mann und Frau gestaltet.

Das Tagelied, eine Sonderform der höfischen Dichtung, hat zum Thema das geheime Beisammensein und den Abschied zweier Liebender beim Tagesanbruch.

Der Petrarkismus ist ein auf Francesco Petrarca (1304-1374) zurückgeführtes Konzept der Liebeslyrik (14. bis 17. Jh). Seine Kennzeichen sind eine verbindliche, schematisierte Formsprache, die der Irrationalität des Liebesempfindens Rechnung trägt (Metaphern, Antithesen, Hyperbeln) und ein fester Motivkanon wie Liebesschmerz, Frauenpreis und eine Aufzählung der körperlichen Vorzüge der Frau. Der Sprecher ist immer der Mann.

Davon geprägt ist die Liebeslyrik des Barock. Sie wird von zwei entgegengesetzten Motiven geleitet: Die Aufforderung carpe diem (Nütze den Tag!) und die Erinnerung an die vanitas mundi (Vergeblichkeit aller Bemühungen, Eitelkeit und Unbeständigkeit der Welt).

Kleine Lieder zum Zwecke des Scherzens schreiben die Anakreontiker, Schäfer und Schäferinnen mit griechischen Namen agieren dabei in idyllischen Landschaften (Pastorale); die Lyrik ist nicht Zeugnis eigenen Erlebens.

Die Lyrik der Empfindsamkeit stellt sich der höfischen Rokokolyrik entgegen und wird getragen von Tugend und Entsagung. Selbstausdruck und Selbstdarstellung wird zum dichterischen Programm. (Klopstock)

Im Sturm und Drang wird Liebeslyrik endgültig zur Ich-Aussage, die aus der Fülle des Herzens kommt: Die Begegnung mit der Geliebten ist unmittelbares Erleben und vermittelt die Erfahrung des Einssein mit der Natur. (J.W. Goethe: Maifest, Willkommen und Abschied 1771)

Die Liebeslyrik der Romantik neigt zur Spiritualisierung, zur Überhöhung ins Religiöse oder zur Ausweitung der Liebe zur Sehnsuchtshaltung (Brentano: "Der Spinnerin Nachtlied"). Zugleich wird die elementare Aussageweise des Volksliedes übernommen und sprachlich kunstvoll gehandhabt.

Bei Heinrich Heine wird die erlebnis-orientierte oder mystisch überhöhte Sehnsuchtslyrik ironisch gebrochen. Dem Leser wird eine Distanz zum dargestellten Liebesgefühl und Liebeserleben ermöglicht, indem die nun schon reichlich bekannte Motivik des Liebens, Sehnens und Verlassenwerdens in pointierte Verse und überraschende Reime gebracht wird.

Ich steh auf des Berges Spitze
Und werde sentimental.
„Wenn ich ein Vöglein wäre!"
Seufz ich viel tausendmal.
[...]
Wenn ich ein Gimpel wäre,
So flög ich gleich an dein Herz;
Du bist ja hold den Gimpeln,
Und heilest Gimpelschmerz.

H.Heine: Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo LIII (1822/23)

Quellen
  • Textarten didaktisch, Schneider Verlag, S. 84 ff
  • Gunter E. Grimm: Liebesgedichte früher und heute, in: Liebeslyrik, Mitteilungen des Germanistenverbandes, Aisthesis-Verlag 1/2003, S. 6-14
  • Weitere Quellen siehe unten unter Lesestoff.

Liebeslyrik im Wandel der Zeit

Ein kurzer Überblick

Epoche Merkmale Dichter
Mittelalter
  • keine persönliche und individuelle Gefühlsaussprache
  • von großer Formenvielfalt geprägte höfische Kunstform
  • einschlägige Leitbegriffe
Walther von der Vogelweide (Neuansatz der "herzeliebe")
Barock
  • Polarisierung zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit
  • entweder erotisches Genussstreben/Sinneslust ("carpe diem") oder Entsagung aus religiösen Motiven heraus --> Wende zur himmlischen Liebe ("carpe coelum")
  • keine persönliche und individuelle Gefühlsaussprache
  • höchst kunstvolle Gesellschaftsdichtung
  • ausgesuchte Embleme und Bilder als Stilmittel
Martin Opitz, Christian Hofmann von Hofmannswaldau
Rokoko
  • kein realistischer Wahrheits- und Bekenntnischarakter
  • dient der geselligen Unterhaltung und dem ästhetischen Vergnügen
  • witzige Sprachpointen, reizvolle Metaphernkombinationen
  • teilweise plumpe sexuelle Anspielungen
  • anakreontische Motive
  • favorisiert Jugendlichkeit und sinnliches Verlangen
  • gestaltet künstlich arrangierte erotische Situationen (--> Auflösen im Scherz)
Sturm und Drang
  • Liebe als elementares Betroffensein
  • subjektive Gefühlsdichtung
  • unmittelbares Ansprechen von Liebesgefühlen und Liebeserlebnissen tritt in den Vordergrund
  • Liebe zeichnet sich aus durch Gegenseitigkeit und Erfüllung
  • benötigt als Eigenwert keine Legitimation von außen (z.B. keine theologische Rechtfertigung wie bei Novalis in der Romantik)
Johann Wolfgang Goethe
Klassik
  • sprachlich abgedämpfter, inhaltlich gemäßigter und differenzierter
  • unmittelbare Gefühlsaussprache wird aufgegeben zugunsten einer reflektierenden Gedankenlyrik oder einer symbolischen Darstellungsweise
Johann Wolfgang Goethe
Romantik
  • Dualismus zwischen triebhafter Sinnlichkeit und geistig-seelischer Liebe, zwischen Eros und religiöser Überhöhung der Liebe
  • erotische Verführung, dämonischer Liebeszauber, rauschhaftes Sichverlieren
  • Symbolfiguren: Venus, Thannhäuser, Loreley, Sirenen
  • Verschmelzung zwischen irdischer Liebe und Gottesliebe
Novalis, Clemens von Brentano, Joseph von Eichendorff
Junges Deutschland
  • witzig, ironisch, melancholisch
  • volksliedhaft; schlichte musikalische Verse
Heinrich Heine
Poetischer Realismus
  • beglückende Liebe und harmonische Partnerschaft
  • Übereinstimmung und Miteinander einer Partnerschaft
  • symbolische Bildgefüge
Conrad Ferdinand Meyer
Jahrhundertwende
  • individuelle Liebeserfahrung
  • besonderes Augenmerk auf sprachlich-formale Gestaltungsmittel, spezifische symbolische Verfahrensweisen
  • keine genaue Auseinandersetzung mit spezifischen Gefühlsinhalten
  • Ästhetisierung, idealistische Überhöhung und Stilisierung der Liebe zu einer rätselhaften, geheimnisvollen, der Wirklichkeit enthobenen, mehr seelischen als körperlichen Geschehen
Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke
20. Jahrhundert
  • alle nur denkbaren Gestaltungsweisen und inhaltliche Ausformungen bzw. Facetten des Liebesbegriffes
  • mit der Liebe verbundene Phänomene
  • Reduzierung der Liebe auf die pure Fleischlichkeit (Benn)
  • Entfremdung der Partner (Kästner)
  • Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Liebe (Brecht)
  • elementares Erfasstwerden durch die Liebe (Bachmann)
  • thematisieren von disharmonischen Beziehungen, Frustrationen, Desillusionierung und Liebesverlust, emanzipatorische Auseinandersetzungen, Geschlechterkampf, Besitzdenken und Vereinnahmung durch den Partner, banale Ehealltäglichkeit
  • einfache Sprachhaltung und Formgebung
  • Beschränkung der Liebe auf entromantisierte und eher sachliche Partnerschaft
Gottfried Benn, Erich Kästner, Bertolt Brecht, Ingeborg Bachmann

Liebesdichtung des Mittelalters

Minnesang und → Tagelied

Liebesgedichte im Barock

Liebeslyrik des Barock und Petrarkismus

Liebesgedichte in Sturm und Drang und Weimarer Klassik

→ J.W.Goethe: Drei Gedichte
Friedrich Hölderlin: Die Eichbäume

Liebesgedichte in der Romantik

Liebeslyrik der Romantik

Liebesgedichte von Heinrich Heine

Liebesgedichte von Heinrich Heine und → Die Lore-Ley

Liebesgedichte der Gegenwart

Liebeslyrik der Gegenwart

Thematische Längsschnitte

Idee

Thematische Längsschnitte, also Vergleiche über verschiedene Literaturepochen hinweg, bei denen ein gemeinsamer thematischer Aspekt im Mittelpunkt steht, können Konstanten, aber auch Unterschiede und Entwicklungen verdeutlichen.

Mögliche thematische Längsschnitte
  • Der Liebesbegriff in verschiedenen Epochen
  • Das Frauenbild in verschiedenen Epochen
  • Die äußere Form der Gedichte in verschiedenen Epochen
  • Bildbereiche und Metaphorik in verschiedenen Epochen
  • ...
Gerne dürfen weitere Ideen ergänzt, die obigen verändert und auch konkrete Ideen und Hinweise hier notiert werden.

Literaturempfehlung

Peter von Matt: Liebesverrat - Die Treulosen in der Literatur, Hanser München 1986, jetzt dtv München 2001 (ISBN 978-3-423-30143-5), insbesondere Kapitel XVI: Das Wort 'Liebe' und die deutsche Gegenreligion S. 210-226. Darin wird die "fundamentale wie monumentale Einheit" der klassisch-romantische Epoche in dem Konzept einer neuen Religion gefasst, als deren wesentliche Merkmale die "Hingabe an eine vergöttlichte Welt und die vielfältigen Manöver des Versteckens und Verbergens" gesehen werden (S.215). Hier eine lesenswerte Stelle:

„Die deutsche Gegenreligion hat zum Kern den in die Natur gefahrenen, unendlich bewegten Gott, der „Liebe” genannt mit dem einfachsten aller Namen, das Ding an sich ausmacht für jene Erfahrung von Ich und Welt, welche der ganzen klassisch-romantischen Periode als magmatische Tiefe unterlagert ist. [...] Der in die Natur gefahrene, unendlich bewegte Gott - „Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!”, so Faust zu Gretchen - hat nun aber seinerseits so etwas wie ein Schicksal oder eine Geschichte ... Es gibt den gefesselten Gott, die in die gefrorene Natur eingesperrte, eingemauerte Liebe, und es gibt den Akt der Entfesselung, des Sprengens aller Ketten und Mauern. [...]
Das Schicksal der Liebenden ist das Schicksal Gottes - dies ist der vielleicht zentralste Glaubensinhalt der deutschen Gegenreligion. Im Zusammenfinden der Liebenden fährt auch der zertrennte Gott zusammen. Und wer die Liebenden trennt, vergeht sich an der Gottheit selbst. Nichts anderes, nichts Geringeres steht hinter dem kleinen Gedicht Hölderlins, das die Überschrift trägt „Das Unverzeichliche”:
„Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr den Künstler verhöhnt,
Und den tieferen Geist klein und gemein versteht,
Gott vergibt es, doch stört nur
Nie den Frieden der Liebenden"
Das ist nicht ein empfindungsreiches Stück Lyrik, das ist eine Aussage, die klar, hart und bedrohlich verstanden sein will. Sie benennt das größte Verbrechen. Wer den „Frieden der Liebenden” stört, greift in die Selbstbewegung Gottes ein. Er verhindert, daß der werdende Gott zu sich selbst gelangt und in dieser Bewegung die gefrorene Erde befreit, die universale Gefangenschaft löst, und hier und jetzt, in diesem Deutschland, den Einklang von Liebe und Freiheit schafft, einen Zustand, der so gelöst und doch geordnet, so bewegt und doch gesetzmäßig wäre wie der tanzende Kosmos.” (S. 220-222)

Gedichte interpretieren

In sechs Kapiteln sind hier alle wichtigen Begriffe und Kategorien der Textanalyse zusammengestellt und mit Beispielen erläutert. Diese Seiten können ein Leitfaden sein für die Analyse von literarischen Texten und für das Verfassen von Interpretationsaufsätzen. Autor: W. Winter

Lesestoff

mit zahlreichen Textbeispielen
  • Lektürehilfen: Liebeslyrik (Sekundarstufe II)
Klett-Verlag 2007 ISBN 978-3-12-923031-2, Preis: 9,95 EUR
  • Editionen mit Materialien: Liebeslyrik
Textausgabe mit Materialien von Adelheid Petruschke, 11.-13. Klasse
Klett-Verlag ISBN 978-3-12-352427-1, Umfang: 160 Seiten, 5,85 EUR
  • Kursthemen Deutsch: Liebeslyrik (Broschiert)
von Reinhard Lindenhahn (Autor), Birgit Neugebauer (Autor); Cornelsen 2007 EUR 8,25
  • Es schlug mein Herz. Deutsche Liebeslyrik
Hrsg. von Hans Wagener, Reclam Verlag ISBN 978-3-15-018430-1
Taschenbuch Februar 2006 (gebunden 1995), Preis: EUR 9,80
  • Arbeitstexte für den Unterricht. Deutsche Liebesgedichte. Für die Sekundarstufe. (Lernmaterialien)
von Siegfried Braun (Autor), Hans Lobentanzer (Autor); Reclam Verlag; ISBN 978-3-15-009590-4, Preis: EUR 2,60
  • Interpretationen: Liebesgedichte der Gegenwart. (Taschenbuch)
von Hiltrud Gnüg (Autor) Reclam Verlag;ISBN 978-3-15-017520-0 Preis: EUR 4,60

Linkliste

Anhören

  • Gesprochene deutsche Lyrik Wichtige deutsche Liebesgedichte zum Anhören und Mitlesen (und Download), gesprochen von Fritz Stavenhagen, Sprecher und Schauspieler, eine schön gestaltete und informative Webseite.

Sammlungen

Diese Sammlung von Liebeslyrik deutscher Dichter und Dichterinnen umfasst über 3000 Gedichte von über 100 deutschen Dichtern / Dichterinnen (siehe auch detaillierte Statistik). "Ich bemühe mich beim Sammeln der Gedichte sowohl um bekannte als auch weniger bekannte bzw. vergessene Dichter des deutschen Sprachraums." Irena Stasch, Essen (M.A. Germanistin)
Weit mehr als 500 Liebesgedichte, die vor allem für die praktische Anwendung gedacht sind. Die Texte sind nach "Fällen" sortiert und meistens urheberrechtsfrei. Sie stammen, so weit das möglich ist, aus einwandfreien Quellen.
Eine Sammlung wunderschöner Liebesgedichte von bekannten deutschen Dichtern, wie Heinrich Heine, Friedrich Halm, Friedrich Rückert und vielen weiteren bekannten Autoren.

Unterrichtshilfen

"Die Materialien auf diesen Seiten stellen keine in sich geschlossene Unterrichtseinheit dar, sondern sind nur als Anregungen gedacht.
Die ausgewählten Gedichte zu den einzelnen Epochen sollen exemplarisch einen Eindruck in die Liebeslyrik der jeweiligen Zeit vermitteln, wobei die Auswahl subjektiv ist und die Gedichte ausgetauscht bzw. ergänzt werden können.
Die Epochenübersicht kann den Schülerinnen und Schülern die Einordnung einzelner Gedichte erleichtern und einen ersten Zugang zur jeweiligen Epoche eröffnen."
strukturierte Hinweise zu weiterführenden Angeboten
  • dû bist beslozzen in mînem herzen, verlorn ist daz slüzzelîn: Liebeslieder des Mittelalters - Eine Radiosendung für junge Hörer von Elisabeth Drayer. Ein Beitrag zum 16. Landeswettbewerb Deutsche Sprache und Literatur Baden-Württemberg 2006, Preisträgerarbeit. Kann als mp3 (22 MB) heruntergeladen und angehört werden.
  • Liebeslyrik der Gegenwart Bertolt Brecht, Karl Krolow, Mascha Kaléko, Ursula Krechel, Volker Braun, Karin Kiwus, Karin Kiwus und andere. Materialien und Interpretations-Notizen bei www.kerber-net.de
Goethes Lebenslauf, Goethes Stilwandel vom Rokoko zum Sturm und Drang, Kurze Darstellung der Liebesbeziehungen Goethes in der Zeit von 1865-1875, Betrachtung der Liebeslyrik Goethes in der Zeit von 1865-1875 anhand der Interpretationen dreier Gedichte: "An den Mond", "Rettung", "Maifest", Vergleich der drei Gedichte in Bezug auf Merkmale des Rokoko und des Sturm und Drang

Unterrichtsreihen

Dieser Vorschlag ist das Ergebnis von einigen Jahren Beschäftigung mit dem Pflichtthema "Liebeslyrik von Barock bis Gegenwart" für das Abitur in Ba-Wü (bis 2015). Bevor wir in die literaturgeschichtlichen Ausformungen von Liebeskonzepten eintauchten, war / ist es sinnvoll, einen kleinen Vorkurs durchzuführen, der in die Weite und Aktualität der Frage Was meint: Liebe? einführt und zugleich in die Grundlagen des Interpretierens von Gedichten. (K.Dautel)
mit verlinkten Materialien

Siehe auch