Bodenhistorie/Die Regenwurmfrage im 18. und 19. Jahrhundert

Aus ZUM-Unterrichten
Regenwurm, Flandern, ca. 1350

Seit die Menschen den Boden umbrechen, dürfte ihnen der Regenwurm aufgefallen sein. Erste Berichte finden wir bei den Agrarschriftstellern des Altertums, bei Homer, Aristoteles und Plinius.[1] Recht ungestört konnte der Regenwurm seiner Beschäftigung nachgehen, denn erst im 18. Jahrhundert interessierten sich die Menschen in Europa wieder für den "Erdwurm". Carl von Linné (1707-1778)Wikipedia-logo.png ordnete den Regenwurm in seiner binominalen Nomenklatur unter "Lumbricus terrestris" ein. Mit der Einordnung haperte es aber noch, denn Linne stellte den Regenwurm auf eine Stufe mit den Wattwürmern. Der Schüler Linnes, der Zoologe Marie Jules César le Lorgne de Savigny (1777-1851)Wikipedia-logo.png erkannte und behob den Fehler. Er stellte fest, dass es eine Vielzahl von Wurmarten gab, der Wattwurm wurde nun unter "Arenicola marina" verzeichnet.

Die Wissenschaftler interessierte zunächst nur die systematische Einordnung des Regenwurms, während seine ökologische Bedeutung noch nicht erkannt wurde. Ganz im Gegenteil! Wissenschaftler und Landwirte waren sich einig: "Der Regenwurm frisst die Wurzeln der Pflanzen, und darum ist der Regenwurm schädlich und muß vernichtet werden!"[2]

Der Verfasser eines frühen Buches über Blumengärtnerei schrieb 1715 über die Regenwürmer:

"Diese zernagen die Wurzeln an den Gewächsen gleichfalls gerne, wann sie daran hangen. Derowegen muß man sie in Gärten so wenig als nur möglich leiden. Dannenhero warte man, bis es geregnet hat, oder die Sonne will zu rüste gehen. Da kommen sie aus ihren Löchern hervor, da man sie dann mitten voneinander schneiden kann und die Blumen vor ihrem Nagen verwahren."
Zitiert nach Otto Graff: Die Regenwurmfrage im 18. und 19. Jahrhundert und die Bedeutung Viktor Hensens In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Jg. 27, 1979, S. 232-243.

Mit dem Sud von grünen Blättern oder besser noch von grünen Samenschalen der Walnüsse, sollten die Erdwürmer aus dem Boden getrieben werden, um sie nachher absammeln und töten zu können. Ein Herr Höhnert (1774) hatte ebenfalls wenig Gutes über die Regenwürmer zu berichten. Von einer "schrecklichen Eisfluth" im Jahre 1771 wurde auch sein Grundstück an der Unterelbe betroffen. "Nunmehro verwüsteten Heere von Regenwürmern, Erdgrillen und anderes, mir dem Namen nach unbekanntes Ungeziefer alles, was in meinem Garten wachsen sollte..." Er kam zu dem Schluss: "Regenwürmer sind zu tödten, wo man sie findet" (zitert nach Otto Graff)

Auch das folgende 19. Jahrhundert brachte dem Regenwurm zunächst kaum eine Imageaufbesserung. Johann Georg Krünitz1728-1796Wikipedia-logo.png stand noch in der Traditon der Regenwurmfeinde;er zitiert Linné

" Dieses bekannte, den jungen Küchengewächsen so schädliche Thier, nennen die Franzosen Ver de terre. Es hält sich in der Erde auf, und die fetteste und feuchteste ist ihm die liebste, weshalb man sie häufig im Mist und unter morschen Brettern, Blumentöpfen, Baumwurzeln etc. findet, weil die Erde daselbst nicht sobald austrocknet. Nach dem Regen oder Thau kommen sie gern zum Vorschein, um an jungen Kräutern zu fressen ...
Linné, Carl von (1707-1778)Caroli Linnaei Systema naturae : sive regna tria naturae systematice proposita per classes, ordines, genera et species. - Lugduni Batavorum : Haak, 1735 [und spätere Ausgaben]

Später relativierte er seine Ansicht jedoch, indem er behauptete: "Dem Erdreich sind sie sehr nützlich, indem sie es durchbohren, so daß die Feuchtigkeit besser einziehen kann."[3]

In der "landwirtschaftlichen Zoologie" behauptete Christoph Gottfried Giebel (1820 - 1881)Wikipedia-logo.png[4], dass die Regenwürmer zwar keine Mundwerkzeuge besäßen, um die Pflanzen abbeißen zu können, doch sollte der Wurm "durch die Entziehung der aufgelösten Nährstoffe" schädigend wirken. Er hält dem Wurm aber zugute, dass er "keineswegs das gleichgültige, werthtlose Geschöpf sey, als welches es zertreten wird, weil er nämlich Maulwürfen, Spitzmäusen, Igeln, Kröten, Molchen und Vögeln als Nahrung diene. (zitiert nach Otto Graff)

Erst gegen Ende des Jahrhunderts mehrten sich die Stimmen, die eindeutig für den Regenwurm votierten. Hervorzuheben ist an dieser Stelle der Kieler Ordinarius Viktor Hensen (1835 — 1924)Wikipedia-logo.png. Rüdiger Porep[5] berichtet über den Physiologieprofessor:

"Prof. Viktor Hensen hatte an seinem Institut in Kiel in der Prüne einen großen Garten. Da er alles, was er unternahm, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und mit naturwissenschaftlicher Fragestellung anpackte, kam er nicht nur beim Anlegen von Spargelbeeten auf den Gedanken, die Biologie des Regenwurms zu erforschen. Daraus entstanden eine ganze Reihe von Arbeiten, die in den Kreisen der wissenschaftlichen Agrikultur höchste Anerkennung fanden. Charles Darwin (1809-1882)Wikipedia-logo.png, der die Regenwurmthematik später zusammenfassend behandelte, zitierte Hensen mehrfach. Kurz vor seinem Tode (1882) publizierte Darwin noch eine größere Regenwurmarbeit, worin er sich ebenfalls mehrfach auf Hensen berief."

Obwohl die Wissenschaft jetzt eindeutig für den Regenwurm argumentierte, dauerte es noch Jahre, bis Gärtner und Landwirte vom Aberglauben an die Wurmschädigung abließen. Heute lernt jeder Schüler, dass Regenwürmer im Boden nützlich und für ein intaktes Ökosystem unverzichtbar sind.

Im Jahre 2009 werden unvermindert Mittel gegen Regenwürmer - zeitgemäß im Internet - nachgefragt:

Hallo, In meinem Garten habe ich eine echte Regenwurmplage. Kennt jemand Möglichkeiten sie zu vertreiben ohne gleich Chemikalien zu versprühen. Vielleicht durch bestimmte Pflanzen? Ich würde mich über Tipps und Hinweise sehr freuen.
Internet

Hallo zusammen, bin vor kurzem in eine neue Mietwohnung mit Terasse und kleinem Garten gezogen. Der Garten schaut leider furchtbar aus, überhaupt nicht dicht und überall sind kleine Erdhaufen mit Erdkügelchen.Weiss jemand was das sein kann und was ich am besten dagegen tun kann?
Internet

Hallo,

ich habe Dank einem sehr guten Mutterboden einen ausgezeichneten Rasen. Er wird einmal jährlich vertikutiert und jährlich 1x im April mit "ecostyle" Langzeit-Naturdünger gedüngt. Danach wird er wöchentlich auf 35mm gemäht und mehrmals in der Saison gelüftet. Es gibt in ihm keine Unkräuter, Gänseblümchen o. ä. Nun aber zum Problem: Da der Boden schön locker ist tummeln sich im Boden viele Regenwürmer, die langsam zur Plage werden. Sie wühlen und lockern den Boden auf, aber die kleinen Erdhügel, die sie hinterlassen sind nicht schön und die Messer vom Mäher schlagen immer wieder in diese Hügel ein. Das gibt Löcher im Rasen, die nicht gut aussehen und stören. Wer kann mir einen Rat geben, wie ich die kleinen Plagegeister loswerden kann???

Vorab vielen Dank
Internet

Lumbricus terrestris.JPG

Anmerkungen

  1. Zitiert nach Otto Graff: Die Regenwurmfrage im 18. und 19. Jahrhundert und die Bedeutung Viktor HensensWikipedia-logo.png In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Jg. 27, 1979, S. 232-243.
  2. Zitiert nach Otto Graff: Die Regenwurmfrage im 18. und 19. Jahrhundert und die Bedeutung In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Jg. 27, 1979, S. 232-243.
  3. J.G.Krünitz /Online-Ausgabe/Stichwort:Erdwurm
  4. Christoph Gottfried Giebel, Landwirtschaftliche Zoologie. Glogau 1869.
  5. Rüdiger Porep: Der Physiologe und Planktonforscher Victor Hensen (1835-1924). Sein Leben und Werk. Neumünster 1970 = Kieler Beiträge zur Geschichte der Medizin und Pharmazie H. 9 (mit Bild und Gesamtverzeichnis seiner Schriften) S. 147 und Porep, Rüdiger: Der Physiologe und Meeresbiologe Victor Hensen (1835-1924) Sein Leben und Werk/ Verlag: Wachholtz /ISBN 978-3-529-06209-4