Mit Gedichten arbeiten: Vergleichen
Inhaltsverzeichnis
Gleiche Thematik:
Nehmen wir dazu nicht Frühling-, Sommer- oder Herbstgedichte, sondern:
Tiere
- R.M.Rilke: Der Panther
- Stefan George: Meine weißen Aras
- Joachim Ringelnatz: Im Park
- Linus Kefer: Lautlos
Bäume
- O Tannenbaum
O Tannenbaum, o Tannenbaum, Wie schön sind deine Blätter. Du grünst nicht nur zur Sommerszeit, Nein, auch im Winter, wenn es schneit. O Tannenbaum, o Tannenbaum, Dein Kleid will mich was lehren: Die Hoffnung und Beständigkeit Gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit. O Tannenbaum, o Tannenbaum, Dein Kleid will mich was lehren.
A. Zarnack & E. Anschütz 1824
Bertolt Brecht (1898 - 1956)
- Der Pflaumenbaum
Im Hofe steht ein Pflaumenbaum Der ist klein, man glaubt es kaum, Er hat ein Gitter drum, So tritt ihn keiner um. Der Kleine kann nicht größer wer'n, Ja, größer wer'n, das möcht er gern. S'ist keine Red davon, er hat zu wenig Sonn. Den Pflaumenbaum glaubt man ihm kaum, Weil er nie eine Pflaume hat. Doch er ist ein Pflaumenbaum, Man kennt es an dem Blatt.
aus: „Svendborger Gedichte“ (1939), gehört dort zu den Kinderliedern
Wilhelm Müller (1794 - 1827)
- Der Lindenbaum
Am Brunnen vor dem Tore Da steht ein Lindenbaum. Ich träumt in seinem Schatten Gar manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde So manches liebe Wort. Es zog in Freud und Leide Zu ihm mich immer fort. Ich mußt auch heute wandern vorbei in tiefer Nacht Da hab ich noch im Dunkel Die Augen zugemacht. Und seine Zweige rauschten als riefen sie mir zu: Komm her zu mir Geselle, Hier find'st du deine Ruh! Die kalten Winde bliesen mir grad ins Angesicht. Der Hut flog mir vom Kopfe, Ich wendete mich nicht. Nun bin ich manche Stunde Entfernt von diesem Ort, Und immer hör' ich's rauschen. Du fändest Ruhe dort.
Erstes Gedicht aus dem Zyklus Die Winterreise, veröffentlicht 1824
Ein Gedicht: Zwei Fassungen
Hermann Hesse: Knarren eines geknickten Astes (August 1962)
Erste Fassung Geknickter Ast, an Splittersträngen Noch schaukelnd, ohne Laub noch Rinde, Ich seh ihn Jahr um Jahr so hängen, Sein Knarren klagt bei jedem Winde. So knarrt und klagt es in den Knochen Von Menschen, die zu lang gelebt, Man ist geknickt, noch nicht gebrochen, Man knarrt, sobald ein Windhauch bebt. Ich lausche deinem Liede lange, Dem fasrig trocknen, alter Ast, Verdrossen klingts und etwas bange, Was du gleich mir zu knarren hast.
Dritte Fassung
Splittrig geknickter Ast,
Hangend schon Jahr um Jahr,
Trocken knarrt er im Wind sein Lied,
Ohne Laub, ohne Rinde,
Kahl, fahl, zu langen Lebens,
Zu langen Sterbens müd.
Hart klingt und zäh sein Gesang,
Klingt trotzig, klingt heimlich bang
Noch einen Sommer,
Noch einen Winter lang.
aus: Hermann Hesse, Gesamtausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt, Bd. 1 S.154/5
Epochenvergleich: Abendstimmungen
Andreas Gryphius (1616-1664)
- Abend
Der schnelle Tag ist hin, die Nacht schwingt ihre Fahn
Und führt die Sternen auf. Der Menschen müde Scharen
Verlassen Feld und Werk; wo Tier’ und Vögel waren,
Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glieder Kahn.
Gleich wie dies Licht verfiel, so wird in wenig Jahren
Ich, du, und was man hat und was man sieht, hinfahren.
Dies Leben kömmt mir vor als eine Rennebahn.
Laß, höchster Gott, mich doch nicht auf dem Laufplatz gleiten,
Laß mich nicht Ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten,
Dein ewig heller Glanz sei vor und neben mir!
Laß, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen,
Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen,
So reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu dir.
Erstmals 1650 in Frankfurt am Main in der Sonettsammlung „Das Ander Buch“ publiziert (→ Wikipedia)
Paul Zech (1881 - 1946)
- Im Dämmer
Im schwarzen Spiegel der Kanäle zuckt
die bunte Lichterkette der Fabriken.
Die niedren Straßen sind bis zum Ersticken
mit Rauch geschwängert, den ein Windstoß niederduckt.
Ein Menschentrupp, vom Frondienst abgehärmt,
schwankt schweigsam durch die ärmlichen Kabinen,
indessen sich in den verqualmten Kantinen
die tolle Jugend fuselselig wärmt.
Noch einmal wirft der Drahtseilzug mit Kreischen
den Schlackenschutt hinunter in die flachen
Gelände, drin der Schwefelsumpf erlischt.
Fern aber ragen schon vom Dampf umzischt
des Walzwerks zwiegespaltne Rachen
und harren des Winks, den Himmel zu zerfleischen.
Veröffentlicht November 1911 in der Zeitschrift „Der Sturm" (→ norberto42)