Mit Gedichten arbeiten: Verdichten: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 17. Januar 2019, 05:58 Uhr
Prosa verdichten
Gedichte sind verdichtete Sprache.
- In Gedichten herrscht Sprachökonomie, also Sparsamkeit und Genauigkeit bei der Verwendung von Wörtern und Sätzen. Dadurch können die Wörter in neue Sinnzusammenhänge, in ungewöhnlichere Assoziationsfelder gerückt werden.
Unterrichtsidee
Von Prosa zum Gedicht
- Und jetzt, Sonntagnachmittag, die Wolken quirlten am Himmel, als drängten sie nach einem Ausgang, in den sie verströmen konnten, die Häuser standen lautloser als sonst, wie stumm und abweisend waren die Fenster geschlossen, unerschütterlich steckten die Scheiben zwischen den weißgestrichenen Rahmen, war das die einzige Antwort, die die Umgebung bereit hielt? Klirrende Kaffeetische, hinter Vorhängen verborgen, Familientreffen, Geplauder und Gekicher, das keinen Laut nach außen dringen ließ, wollten denn alle in Ruhe gelassen werden und sollte es immer so weiter gehen mit diesen höhlenhaften Sonntagen, in die ganze Generationen hineinkrochen, als wäre nie etwas geschehen, als könnte man, wenigstens in Gedanken, einen Sonntag an den nächsten reihen, stumm, auf einem Band, das alle ereignislosen Tage sammelte, um ein Leben ohne Gefahren herzustellen, Block an Block, fugenlos aneinandergeschmiegt, ohne Lücken. ohne Spalten zum Entkommen?
(aus Jürgen Theobaldy: Sonntags Kino, Rotbuch Verlag Berlin 1978 S. 81/1)
Arbeitsanweisung:
- Betrachte diesen Prosatext als Material für ein Gedicht über das Thema "Sonntagnachmittag" (oder so ähnlich oder auch ganz anders)
- Unterstreiche, was Dir brauchbar erscheint. Schreibe das Unterstrichene auf ein Blatt und überlege, wie sich das am besten zusammenbauen („montieren") lässt. Verändere den Text, wenn nötig.
- Experimentiere mit den Tempora (Präsens? Präteritum?), achte auf Klangfarbe (Alliteration, Assonanz) und Sprech-Rhythmus. Gruppiere Zeilen zu Strophen.
- Überlege, ob Du ein lyrisches Ich einfügen möchtest und wie.
- Wiederhole den Vorgang des Unterstreichens, Heraus- und Zusammenschreibens ruhig mehrmals, bis zu Deiner (zumindest vorläufigen!) Zufriedenheit.
- Versuche nicht zu reimen.
Kurzkommentar:
Es ist hilfreich, wenn der vorliegende Prosatext schon eine gewisse atmosphärische Dichte besitzt, so dass er innere und äußere Bilder erzeugt, die sich herausschälen und typografisch gestalten lassen. Dialoge oder Aktionen geben das nicht so her, wohl aber Erzählerberichte und Schilderungen, wie sie oft am Anfang von Erzählabschnitten zu finden sind.
Hier noch ein etwas anderer Ausgangstext, selbstgemacht (K. Dautel):
- Der Wecker scheppert, vom Bett her antwortet dumpfes Grunzen. Durch das Fenster quillt Straßenlärm und der Morgen graut ins Zimmer. Aufstehen! befiehlt der Wecker. Ein Bein zappelt in die Hose, ein Arm bohrt sich durch den Pullover, den Kopf kratzt ein Kamm. Aus dem Spiegel blicken trübe Augen, die Zahnbürste verbeult das Gesicht, links und recht und links und rechts, und scheuert Schaum aus dem Mund. Der Wecker verlangt: Auf Hochtouren kommen, gute Miene zum bösen Spiel, kühler Kopf und Sonne im Herzen. Der Wecker läutet den Tag ein: Es gilt, eine Chance wahrzunehmen, einen Erfolg zu verbuchen, eine gute Tat zu vollbringen. Alltägliches Morgengrauen: randvoll mit Rätseln, wie ein Vorhang, der darauf wartet, geöffnet zu werden, oder ein Loch, in das du fällst, wenn der Fuß nicht weiß wohin.
- Anmerkung: Der Theobaldy-Text hat in meinen Stunden bessere Ergebnisse erbracht. Woran das wohl gelegen sein mag? Vielleicht, weil er einfach besser ist. (K. Dautel)