Wer würde es glauben, daß eine ganze Anzahl von Menschen bei uns heutigentags in "Wohnungen" kampiert, die überhaupt kein heizbares Zimmer haben? Und doch belehrt uns die Statistik, daß es deren in Berlin über 15.000, in Barmen über 8.000 gibt usw. Aber das sind nur Ausnahmen, und es wird sich in der großen Mehrzahl der Fälle um Einzelpersonen handeln. Dagegen schwillt die Zahl derjenigen Personen, die in Wohnungen mit 1 Zimmer wohnen sofort unheimlich an. Ja, in den meisten deutschen Großstädten wohnt, wie ich schon sagte, die Hälfte oder annähernd die Hälfte aller Menschen in Wohnungen, die nicht mehr als ein Zimmer umfassen. Von tausend Bewohnern nämlich in Barmen 490, in Berlin 430, in Breslau 409, in Chemnitz 551, in Dresden 374, in Görlitz 462, in Halle a. S. 429, in Königsberg i. Pr. 505, in Magdeburg 454, in Plauen i. V. 641. Mehr wie 2 Zimmer, darf man annehmen, bewohnt nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der arbeitenden Bevölkerung.
"überbevölkert" nennt die Statistik eine Wohnung, wenn 6 Personen und mehr in 1 Zimmer, 11 Personen und mehr in 2 Zimmern hausen. Und selbst davon gibt es eine erkleckliche Anzahl: in Berlin nahezu 30.000, in Breslau 7.000, in Chemnitz 5.000, in Plauen i. V. 3.000 usw. Man denke: 6 Personen und mehr in 1 Raume, 11 und mehr in 2 Räumen!
Was nun aber das Wohnungselend der ärmeren Bevölkerung, wenigstens aber in den Großstädten, auf das Höchste steigert, ist der Umstand, daß selbst in den engen Behausungen, die nicht mehr den Namen Wohnung verdienen, noch nicht einmal immer die Familie allein lebt, sondern noch fremde Personen, die Schlafgänger, dazwischen kampieren. Dieser jammervolle Zustand findet sich beispielsweise in Berlin bei 391 von 1.000 einzimmrigen Wohnungen, in Breslau bei 370, in Plauen i. V. bei 596, in München bei 572 aller ein- und zweizimmrigen Wohnungen usw. In München, über das wir durch eine Studie des Dr. Cahn besonders gut unterrichtet sind, beherbergen etwa 12.000 oder 15 % aller Wohnungen Schlafgänger, von denen über ein Viertel Weiber sind. Von diesen 12.000 Wohnungen waren 3.918 überfüllt im offiziellen Sinne und hatten nur 858 mehr als ein heizbares Zimmer.
Sombart, W., Das Proletariat. Frankfurt a. M. 1906, S. 23f.