Die Feuerprobe

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Der Autor Salim Alafenisch (geb. 1948) lebt seit 1978 in Deutschland und entstammt einem Beduinenstamm, der in der Negev-Wüste - und damit unter isralischer Verwaltung - Ackerbau und Viehzucht betreibt. Die Geschichte, die er in diesem Buch erzählt, ist in der Ich-Perspektive geschrieben und von ihm selbst erlebt.

Salim Alafenisch: Die Feuerprobe

Unionsverlag Zürich, 2007, 140 Seiten ISBN 978-3293204454

Die Geschichte beginnt im Jahre 1966 in der Negevwüste, eine militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und Ägypten bereitet sich vor, der Sechstagekrieg wirft seine Schatten voraus und findet schließlich auch ein Jahr später statt, allerdings ohne das Leben der Beduinen wirklich zu erschüttern. Seine Auswirkung ist eher indirekt, indem nämlich die Feuerprobe 14 Jahre lang auf sich warten ließ, da sie nur in Ägypten traditionsgemäß abgehalten werden konnte, der Zugang nach Ägypten jedoch seit dem Sechstagekrieg verwehrt war.

Im Jahre 1966 also wird eines Nachts ein Mitglied der Nachbarsippe erschossen, man wird nie erfahren warum und auch nicht von wem, die benachbarte Sippe beschuldigt jedoch die Mitglieder von Salims Sippe, an diesem Mord irgendwie beteiligt oder zumindest Mitwisser gewesen zu sein. Salims Vater, der Scheich des Stammes, unternimmt umfangreiche Vermittlungsversuche, alle Untersuchungen sprechen gegen den Verdacht, dennoch besteht die Nachbarsippe auf der Durchführung der Feuerprobe. Worin diese besteht, erfährt der Leser allerdings erst sehr spät. Der Scheich ist sich zwar sicher, dass sein ältester Sohn sie bestehen wird, bis dahin aber lastet ein Verdacht auf der Ehre des Stammes. Erst ein „Freispruch“ aufgrund der Feuerprobe kann diesen Makel beseitigen.

Aufgrund der politischen Verhältnisse nach dem Sechstagekrieg dauert es dann 14 Jahre, bis die streitenden Parteien 1980 über die Grenze nach Ägypten zu einem berühmten Feuerprobenrichter reisen können. Natürlich besteht der älteste Sohn des Scheichs Alafenisch, also der große Bruder von Salim, diese Probe und der Stamm ist „freigesprochen“. Worum es sich bei der Feuerprobe genau handelt, wird in der Erzählung lange verschwiegen, und auch hier soll nicht viel mehr gesagt werden, als dass es sich um ein relativ unspektakuläres Gottesurteil handelt, bei dem es um Verbrennungen oder Nicht-Verbrennungen geht. Dramatisch wären dagegen die negativen Folgen im Falle eines Nicht-Freispruches: umfangreiche Blutrache.

Die sprachliche Kargheit und Nüchternheit, mit der die Ereignisse geschildert werden, lassen die Erzählung eher wie einen Bericht über das Leben der Beduinen erscheinen und weniger als eine auf Spannung und Anschaulichkeit ausgerichtete Geschichte. Dabei lässt der Autor vieles - absichtsvoll - unerklärt, man könnte auch sagen: unaufgeklärt; er bleibt dem "westlichen" Leser einige Antworten schuldig - nicht zuletzt über die Rationalität der Feuerprobe, um die sich alles dreht, selbst. Schließlich handelt es sich dabei um eine Form des Gottesgerichtes und hat mit unserer Vorstellung von Rechtssprechung nichts zu tun. In dem „Nachtrag“ überschriebenen Kapitel berichtet Salim Alafenisch über seine weiteren ethnologischen Forschungen zur Feuerprobe: Er besuchte zwei Jahre später den Feuerprobenrichter erneut und beobachtete längere Zeit dessen Arbeit. Eine eindeutige Bewertung dieser archaischen Praxis der Wahrheitsfindung findet dann aber immer noch nicht statt. Ebensowenig wie übrigens eine Bewertung der Lügendetektoren, mit denen die israelische Polizei die sechs inhaftierten Beduinen-Männer des Stammes verhört. Wollte der Autor beides eventuell auf die gleiche Stufe stellen?

Salim, der Ich-Erzähler und studierte Ethnologe, bleibt neutraler Beobachter und unternimmt keine Versuche, uns aufzuklären und das Phänomen der Feuerprobe durchsichtiger zu machen. Was übrig bleibt sind allerdings schöne Einsichten in den Alltag der Beduinen auf dem Sinai, deren Leben zwischen den verfeindeten Juden und Palästinensern. Stellung zu diesen Auseinandersetzungen wird dabei nicht genommen, die Auswirkungen werden wie Schicksalschläge ertragen.

Ich habe die Erzählung mit Interesse und auch einer gewissen Spannung gelesen. Die 130 Seiten sind schnell bewältigt, sie bieten viele lohnende Anlässe, sich weiter mit der Welt der Beduinen zu beschäftigen, insbesondere im Kontext des israelisch-palästinensischen Dauerkonflikts.

Ab Klasse 7 einsetzbar, sinnvoll in Absprache mit Geografie. -- Klaus Dautel

Zum Autor

„Salim Alafenisch wurde 1948 als Sohn eines Beduinenscheichs in der Negev-Wüste geboren. Als Kind hütete er die Kamele seines Vaters, mit vierzehn Jahren lernte er lesen und schreiben. Nach dem Gymnasium in Nazareth und einem einjährigen Aufenthalt in London studierte er Ethnologie, Soziologie und Psychologie an der Universität Heidelberg.
Seit langem beschäftigt er sich mit der orientalischen Erzählkunst und stellt sie in zahlreichen Autorenlesungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen vor. Er liest seine Geschichten nicht vor, sondern erzählt sie frei. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Heidelberg.“

Weitere Werke und Stimmen:

„Salim Alafenisch erzählt „Geschichten aus dem Beduinenzelt“. "
Der bekannte palästinensische Erzähler und Schriftsteller zu Gast beim Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge (2004)“
Alafenisch liest auf Einladung auch in Schulen, wie z.B. in der Tulla-Realschule Mannheim
Streifzüge durch die Literatur anderer Regionen: Arabische Welt
„Sandammeer, Literaturzeitschrift im Internet, hat aus den Programmen einiger Verlage einen kleinen Überblick über Autoren und Werke aus der Arabischen Welt zusammengestellt.“ Unter anderem auch über Salim Alafenisch

Hintergrundrecherchen

Beitrag zu einem Nomadismus-Symposium, veranstaltet in der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, Februar 1982
"Der Glaube der Stammesmitglieder an die Gerechtigkeit dieser Gerichtsinstanz (ein beduinisches Sprichwort sagt: Das Feuer brennt den Wahrheitssager nicht) [...] sowie die Furcht vor dem angstbesetzten Feuerlecken, das eine Abschreckungsfunktion erfüllt, sind Kontrollmechanismen des sozialen Handelns ihrer Mitglieder. Sie garantiert in einer Gesellschaft, die keine ausdifferenzierte exekutive Funktion ("Polizei") kennt, eine Minimierung von Normverletzungen ..." (S.156)
  • Die Negev-Wüste
  • Der Sechstagekrieg (1967)
  • Beduinen: Stammesstrukturen und Rechtsprechung
  • Feuerprobe/Wasserprobe/Gottesurteil

Siehe auch