Industrielle Revolution/Lebenswelten: Unterschied zwischen den Versionen
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{{ | Wärend der '''Industrialisierung''' hinkte der Ausbau von Wohnraum der enormen Bevölkerungsexplosion hinterher. Neuankömmlinge suchten Unterschlupf bei Bekannten und mussten oft ... | ||
Berlin galt als ''übelriechendste Hauptstadt Europas, deren Einwohner man schon am Geruch ihrer Kleidung erkennen konnte.'' | |||
{{Aufgaben-blau|1=|2= | |||
# Öffne die Bilder in einem neuen Tab und beschreibe die Lebensverhältnisse der Arbeiter | |||
# Finde die Textstelle, ab wann eine Wohnung auch offiziell als überfüllt galt. | |||
# Erkläre, was man unter einem Schlafgänger versteht. | |||
# Überlege, welche Vorteile Familien hatten, die einen Schläfgänger aufnehmen. | |||
# Überlege, welche Nachteile durch die drangvolle Enge entstehen konnten. | |||
# Überlege, was Heinrich Zille meinte, wenn er sagt, dass man ''"mit einer Wohnung einen Menschen genau so gut töten [könnte] wie mit einer Axt."'' | |||
}} | |||
== Die Lebensbedingungen der Arbeiter == | == Die Lebensbedingungen der Arbeiter == | ||
[[Datei:Slum in Glasgow, 1871.jpg|300px|right]] | [[Datei:Slum in Glasgow, 1871.jpg|300px|right]] | ||
[http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/Arbeiterquartiere1.jpg Bild eines Arbeiterquartiers] | * [http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/Arbeiterquartiere1.jpg Bild eines Arbeiterquartiers] | ||
[http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/ba009477/index.html Weiteres Bild eines Arbeiterquartiers] | * [http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/ba009477/index.html Weiteres Bild eines Arbeiterquartiers] | ||
[http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=1635&language=germanl Unter Großmutters Aufsicht] | * [http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=1635&language=germanl Unter Großmutters Aufsicht] | ||
{{Zitat | {{Zitat|Wer würde es glauben, daß eine ganze Anzahl von Menschen bei uns heutigentags in "Wohnungen" kampiert, die überhaupt kein heizbares Zimmer haben? Und doch belehrt uns die Statistik, daß es deren in Berlin über 15.000, in Barmen über 8.000 gibt usw. Aber das sind nur Ausnahmen, und es wird sich in der großen Mehrzahl der Fälle um Einzelpersonen handeln. Dagegen schwillt die Zahl derjenigen Personen, die in Wohnungen mit 1 Zimmer wohnen sofort unheimlich an. Ja, in den meisten deutschen Großstädten wohnt, wie ich schon sagte, die Hälfte oder annähernd die Hälfte aller Menschen in Wohnungen, die nicht mehr als ein Zimmer umfassen. Von tausend Bewohnern nämlich in Barmen 490, in Berlin 430, in Breslau 409, in Chemnitz 551, in Dresden 374, in Görlitz 462, in Halle a. S. 429, in Königsberg i. Pr. 505, in Magdeburg 454, in Plauen i. V. 641. Mehr wie 2 Zimmer, darf man annehmen, bewohnt nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der arbeitenden Bevölkerung. | ||
"überbevölkert" nennt die Statistik eine Wohnung, wenn 6 Personen und mehr in 1 Zimmer, 11 Personen und mehr in 2 Zimmern hausen. Und selbst davon gibt es eine erkleckliche Anzahl: in Berlin nahezu 30.000, in Breslau 7.000, in Chemnitz 5.000, in Plauen i. V. 3.000 usw. Man denke: 6 Personen und mehr in 1 Raume, 11 und mehr in 2 Räumen! | "überbevölkert" nennt die Statistik eine Wohnung, wenn 6 Personen und mehr in 1 Zimmer, 11 Personen und mehr in 2 Zimmern hausen. Und selbst davon gibt es eine erkleckliche Anzahl: in Berlin nahezu 30.000, in Breslau 7.000, in Chemnitz 5.000, in Plauen i. V. 3.000 usw. Man denke: 6 Personen und mehr in 1 Raume, 11 und mehr in 2 Räumen! | ||
Was nun aber das Wohnungselend der ärmeren Bevölkerung, wenigstens aber in den Großstädten, auf das Höchste steigert, ist der Umstand, daß selbst in den engen Behausungen, die nicht mehr den Namen Wohnung verdienen, noch nicht einmal immer die Familie allein lebt, sondern noch fremde Personen, die Schlafgänger, dazwischen kampieren. Dieser jammervolle Zustand findet sich beispielsweise in Berlin bei 391 von 1.000 einzimmrigen Wohnungen, in Breslau bei 370, in Plauen i. V. bei 596, in München bei 572 aller ein- und zweizimmrigen Wohnungen usw. In München, über das wir durch eine Studie des Dr. Cahn besonders gut unterrichtet sind, beherbergen etwa 12.000 oder 15 % aller Wohnungen Schlafgänger, von denen über ein Viertel Weiber sind. Von diesen 12.000 Wohnungen waren 3.918 überfüllt im offiziellen Sinne und hatten nur 858 mehr als ein heizbares Zimmer.| Sombart, W., Das Proletariat. Frankfurt a. M. 1906, S. 23f.}} | Was nun aber das Wohnungselend der ärmeren Bevölkerung, wenigstens aber in den Großstädten, auf das Höchste steigert, ist der Umstand, daß selbst in den engen Behausungen, die nicht mehr den Namen Wohnung verdienen, noch nicht einmal immer die Familie allein lebt, sondern noch fremde Personen, die Schlafgänger, dazwischen kampieren. Dieser jammervolle Zustand findet sich beispielsweise in Berlin bei 391 von 1.000 einzimmrigen Wohnungen, in Breslau bei 370, in Plauen i. V. bei 596, in München bei 572 aller ein- und zweizimmrigen Wohnungen usw. In München, über das wir durch eine Studie des Dr. Cahn besonders gut unterrichtet sind, beherbergen etwa 12.000 oder 15 % aller Wohnungen Schlafgänger, von denen über ein Viertel Weiber sind. Von diesen 12.000 Wohnungen waren 3.918 überfüllt im offiziellen Sinne und hatten nur 858 mehr als ein heizbares Zimmer.| Sombart, W., Das Proletariat. Frankfurt a. M. 1906, S. 23f.}} | ||
{{ | === Schlafgänger === | ||
[[File:Zille_Der-spaete-Schlafbursche_GDR-73-100-6.jpg|thumb|400px|Der späte Schlafbursche von {{wpde|Heinrich Zille}}]] | |||
Als '''Schlafgänger''' (auch Bettgeher oder Schlafbursche) wurden Personen bezeichnet, die gegen ein geringes Entgelt ein Bett nur für einige Stunden am Tag mieteten. So konnten beispielsweise Schichtarbeiter während des Tages gegen ein geringes Entgelt schlafen, während der reguläre Wohnungsinhaber seiner Arbeit nachging. Der Grund dafür war der zur Zeit der Industrialisierung sehr knappe und daher teure Wohnraum, der nicht alle Landflüchtlinge aufnehmen konnte. | |||
Schlafgänger hatten normalerweise keinen Familienanschluss, durften die restlichen Räumlichkeiten, wie die Küche oder die „Gute Stube“, nicht nutzen und erhielten im Gegensatz zu Untermietern kein Frühstück. | |||
{{Zitat| | === Hygiene und Verantwortung === | ||
{{Zitat|»Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genau so gut töten wie mit einer Axt.« |Heinrich Zille}} | |||
{{Zitat|„[…] In den niedrigeren Logierhäusern schlafen zehn, zwölf, ja zuweilen zwanzig Personen von beiden Geschlechtern und jedem Alter in verschiedenen Abstufungen der Nacktheit auf dem Fußboden durcheinander. Diese Wohnstätten sind gewöhnlich […] so schmutzig, feucht und verfallen, dass kein Mensch sein Pferd darin unterbringen möchte.“|J. C. Symons: Arts and Artizans at Home and Abroad. Edinburgh 1839. S. 116f. Zit. in: Engels, 1845: S. 270.}} | |||
{{Zitat|„Man gibt ihnen feuchte Wohnungen, Kellerlöcher, die von unten, oder Dachkammern, die von oben nicht wasserdicht sind. Man baut ihre Häuser so, daß die dumpfige Luft nicht abziehen kann. Man gibt ihnen schlechte, zerlumpte oder zerlumpende Kleider und schlechte, verfälschte und schwerverdauliche Nahrungsmittel. Man setzt sie den aufregendsten Stimmungswechseln […] aus – man hetzt sie ab wie das Wild und läßt sie nicht zur Ruhe und zum ruhigen Lebensgenuß kommen. Man entzieht ihnen alle Genüsse außer dem Geschlechtsgenuß und dem Trunk, arbeitet sie dagegen täglich bis zur gänzlichen Abspannung aller geistigen und physischen Kräfte ab.“|Friedrich Engels: Lage der arbeitenden Klasse in England. 1845, MEW. Dietz, Berlin 1972. Band 2. S.326f.}} | |||
{{Lernpfad Industrielle Revolution/Inhalt}} | {{Lernpfad Industrielle Revolution/Inhalt}} |
Version vom 22. November 2017, 05:05 Uhr
Wärend der Industrialisierung hinkte der Ausbau von Wohnraum der enormen Bevölkerungsexplosion hinterher. Neuankömmlinge suchten Unterschlupf bei Bekannten und mussten oft ... Berlin galt als übelriechendste Hauptstadt Europas, deren Einwohner man schon am Geruch ihrer Kleidung erkennen konnte.
Die Lebensbedingungen der Arbeiter
Wer würde es glauben, daß eine ganze Anzahl von Menschen bei uns heutigentags in "Wohnungen" kampiert, die überhaupt kein heizbares Zimmer haben? Und doch belehrt uns die Statistik, daß es deren in Berlin über 15.000, in Barmen über 8.000 gibt usw. Aber das sind nur Ausnahmen, und es wird sich in der großen Mehrzahl der Fälle um Einzelpersonen handeln. Dagegen schwillt die Zahl derjenigen Personen, die in Wohnungen mit 1 Zimmer wohnen sofort unheimlich an. Ja, in den meisten deutschen Großstädten wohnt, wie ich schon sagte, die Hälfte oder annähernd die Hälfte aller Menschen in Wohnungen, die nicht mehr als ein Zimmer umfassen. Von tausend Bewohnern nämlich in Barmen 490, in Berlin 430, in Breslau 409, in Chemnitz 551, in Dresden 374, in Görlitz 462, in Halle a. S. 429, in Königsberg i. Pr. 505, in Magdeburg 454, in Plauen i. V. 641. Mehr wie 2 Zimmer, darf man annehmen, bewohnt nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der arbeitenden Bevölkerung.
"überbevölkert" nennt die Statistik eine Wohnung, wenn 6 Personen und mehr in 1 Zimmer, 11 Personen und mehr in 2 Zimmern hausen. Und selbst davon gibt es eine erkleckliche Anzahl: in Berlin nahezu 30.000, in Breslau 7.000, in Chemnitz 5.000, in Plauen i. V. 3.000 usw. Man denke: 6 Personen und mehr in 1 Raume, 11 und mehr in 2 Räumen!
Was nun aber das Wohnungselend der ärmeren Bevölkerung, wenigstens aber in den Großstädten, auf das Höchste steigert, ist der Umstand, daß selbst in den engen Behausungen, die nicht mehr den Namen Wohnung verdienen, noch nicht einmal immer die Familie allein lebt, sondern noch fremde Personen, die Schlafgänger, dazwischen kampieren. Dieser jammervolle Zustand findet sich beispielsweise in Berlin bei 391 von 1.000 einzimmrigen Wohnungen, in Breslau bei 370, in Plauen i. V. bei 596, in München bei 572 aller ein- und zweizimmrigen Wohnungen usw. In München, über das wir durch eine Studie des Dr. Cahn besonders gut unterrichtet sind, beherbergen etwa 12.000 oder 15 % aller Wohnungen Schlafgänger, von denen über ein Viertel Weiber sind. Von diesen 12.000 Wohnungen waren 3.918 überfüllt im offiziellen Sinne und hatten nur 858 mehr als ein heizbares Zimmer.
Sombart, W., Das Proletariat. Frankfurt a. M. 1906, S. 23f.
Schlafgänger
Als Schlafgänger (auch Bettgeher oder Schlafbursche) wurden Personen bezeichnet, die gegen ein geringes Entgelt ein Bett nur für einige Stunden am Tag mieteten. So konnten beispielsweise Schichtarbeiter während des Tages gegen ein geringes Entgelt schlafen, während der reguläre Wohnungsinhaber seiner Arbeit nachging. Der Grund dafür war der zur Zeit der Industrialisierung sehr knappe und daher teure Wohnraum, der nicht alle Landflüchtlinge aufnehmen konnte.
Schlafgänger hatten normalerweise keinen Familienanschluss, durften die restlichen Räumlichkeiten, wie die Küche oder die „Gute Stube“, nicht nutzen und erhielten im Gegensatz zu Untermietern kein Frühstück.
Hygiene und Verantwortung
»Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genau so gut töten wie mit einer Axt.«
Heinrich Zille
„[…] In den niedrigeren Logierhäusern schlafen zehn, zwölf, ja zuweilen zwanzig Personen von beiden Geschlechtern und jedem Alter in verschiedenen Abstufungen der Nacktheit auf dem Fußboden durcheinander. Diese Wohnstätten sind gewöhnlich […] so schmutzig, feucht und verfallen, dass kein Mensch sein Pferd darin unterbringen möchte.“
J. C. Symons: Arts and Artizans at Home and Abroad. Edinburgh 1839. S. 116f. Zit. in: Engels, 1845: S. 270.
„Man gibt ihnen feuchte Wohnungen, Kellerlöcher, die von unten, oder Dachkammern, die von oben nicht wasserdicht sind. Man baut ihre Häuser so, daß die dumpfige Luft nicht abziehen kann. Man gibt ihnen schlechte, zerlumpte oder zerlumpende Kleider und schlechte, verfälschte und schwerverdauliche Nahrungsmittel. Man setzt sie den aufregendsten Stimmungswechseln […] aus – man hetzt sie ab wie das Wild und läßt sie nicht zur Ruhe und zum ruhigen Lebensgenuß kommen. Man entzieht ihnen alle Genüsse außer dem Geschlechtsgenuß und dem Trunk, arbeitet sie dagegen täglich bis zur gänzlichen Abspannung aller geistigen und physischen Kräfte ab.“
Friedrich Engels: Lage der arbeitenden Klasse in England. 1845, MEW. Dietz, Berlin 1972. Band 2. S.326f.