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Das '''Sonett''' (aus dem Italienischen: sonare = "tönen, klingen") ist eine Gedicht-Form.
Das '''Sonett''' (aus dem Italienischen: sonare = "tönen, klingen") ist eine Gedicht-Form, die prägend ist für die [[Lyrik des Barock]], aber auch bis in die Gegenwart immer wieder verwendet wird.
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== Form und Struktur ==
Ein Sonett besteht aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in der italienischen Originalform in vier kurze Strophen eingeteilt sind: zwei vierzeilige Quartette oder Quartinen und zwei sich daran anschließende dreizeilige Terzette oder Terzinen. Die englische Form (z.B. ''Shakespeare's sonnets'') besteht aus drei Quartetten und einem abschließenden Reimpaar (rhyming couplets).
 
Die innere Struktur eines Sonetts leitet sich aus dem Aufbau des [[Emblem|Emblems]] her:
 
Motto (Überschrift), Pictura (Bild), Subscriptio (Deutung des Bildinhaltes).
 
Auf die stark bildhaften Quartette folgt - meist in einem Abstraktionssprung - deren Reflexion in den Terzetten. Für die Interpretation insbesondere barocker Sonette ist das Wissen um diese emblematische Grundstruktur oft sehr hilfreich und richtet das Augenmerk auf den Übergang von den beiden Quartetten zu den Terzetten.
 
Hier ein bekanntes Sonett des Barock-Dichters Andreas Gryphius (1616-64):
{{Box|ABEND|
<pre>
  Der schnelle Tag ist hin; die Nacht schwingt ihre Fahn
  Und führt die Sterne auf. Der Menschen müde Scharen
  Verlassen Feld und Werk; wo Tier und Vögel müde waren,
  Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
 
  Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glieder Kahn.
  Gleichwie dies Licht verfiel, so wird in wenig Jahren
  Ich, du und was man hat und was man sieht, hinfahren.
  Dies Leben kommt mir vor als eine Rennebahn.
 
  Laß, höchster Gott, mich doch nicht auf dem Laufplatz gleiten,
  Laß mich nicht Ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten,
  Dein ewig heller Glanz sei vor und neben mir!
 
  Laß, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen,
  Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen,
  So reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu Dir!
</pre>
<small>port (Z.5) - Hafen</small>
|Zitat}}


Ein Sonett besteht aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in der italienischen Originalform in vier kurze Strophen eingeteilt sind: zwei vierzeilige Quartette oder Quartinen und zwei sich daran anschließende dreizeilige Terzette oder Terzinen. Die englische Form (z.B. ''Shakespeare's sonnets'') besteht aus drei Quartetten und einem abschließenden Reimpaar (rhyming couplets).  
== Das Sonett in der deutschen Literatur ==
In der deutschen Literatur ist das Sonett besonders im [[Barock]] vertreten, sein strenger und am [[Emblem]] orientierter Aufbau entsprach dem Formwillen und dem Ordnungsbedürfnis dieser Zeit. Sonette finden sich wieder im Alterswerk Goethes, wo ihre Verwendung ebenfalls einem Bedürfnis nach Struktur und Ausgeglichenheit entsprach. In der Literatur des [[Großstadtlyrik des Expressionismus|Expressionismus]] wurde gerne in der Sonett-Form gedichtet, dabei tritt der Kontrast zwischen strenger äußerer Form und inhaltlicher Dekadenz deutlich zutage.  


Die innere Struktur eines Sonettes leitet sich aus dem Aufbau des [[Emglem|Emblems]] her: Motto (Überschrift), Pictura (Bild), Subscriptio (Deutung des Bildinhaltes)  
Die Sonett-Form wurde von viele Schriftstellern als Herausforderung ihrer Schreibkunst verstanden, wenn es gelingt, die gedankliche und sprachliche Kreativität im Spiel mit vorgegebenen, strengen Regel zu bändigen (R.M. Rilke oder B. Brecht)


==Ein paar Beispiele==
==Beispiele, Formspiele, Reimspiele==
Gerhard Rühm sonett (v.1970)
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'''Gerhard Rühm sonett''' ''(1970)''
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:vierte Strophe dritte Zeile
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'''Ernst Jandl sonett 1''' ''(1974)''
Ernst Jandl sonett 1 (v. 1974)
 
:abnett
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:benett
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:wonett
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:zunett
:zunett
|}
* [http://www.lyrikline.org/index.php?id=162&L=0&author=op00&show=Poems&poemId=184&cHash=8d0b6078f0 ''wetscherahnenclub''] - Ein Sonett des Georg-Büchner-Preisträgers 2006, Oskar Pastior, auch zum Anhören (Aus: sonetburger)


 
'''Zwei dichterischen Schwestern - von ihrem Oheim Eduard Mörike'''
Zwei dichterischen Schwestern - von ihrem Oheim ''Eduard Mörike''
             
                   
:Heut lehr' ich euch die Regel der Son--
:Heut lehr' ich euch die Regel der Son--
:Versucht gleich eins! Gewiss, es wird ge--,
:Versucht gleich eins! Gewiss, es wird ge--,
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:Ein solcher findet meine schönen N--
:Ein solcher findet meine schönen N--
:Bei diesem Muster. "Ah, Fräulein, Si st--!"-  
:Bei diesem Muster. "Ah, Fräulein, Sie st--!"-  
:"Oh nein, Herr Graf, hier gilt es Silben z--." -
:"Oh nein, Herr Graf, hier gilt es Silben z--." -


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:Eins wie das andre ist für schöne S--."
:Eins wie das andre ist für schöne S--."
                                      
                                      
Die Endsilben wurden vom Autor selbst weggelassen.
Aus: Eduard Mörike, Sämtliche Werke in zwei Bänden, Winkler 1997 Bd.1 S. 840. Die Endsilben wurden von Mörike selbst weggelassen.
 
== Textsammlungen ==
* [http://gutenberg.spiegel.de/info/genres/38.htm 337 Sonette] (Projekt Gutenberg-DE)


== Weblinks ==
== Linkliste ==
* [http://www.sonett-archiv.com/index2.html ''Sonett Archiv''] - Burgdorfer Verlag für die kleinen Formen der Literatur: Lyrik, Kurzprosa, Illustrierte Bücher, Originalgrafik, Sonette, Cafe des Ostens...
* [http://www.sonett-archiv.com/index2.html ''Sonett Archiv''] - Burgdorfer Verlag für die kleinen Formen der Literatur: Lyrik, Kurzprosa, Illustrierte Bücher, Originalgrafik, Sonette, Cafe des Ostens...
* [http://www.fulgura.de/extern/rw/funktion12.html ''fulgura frango''] - Robert Wohlleben erklärt alles Wichtige zum Sonett
* [http://www.fulgura.de/extern/rw/funktion12.html ''fulgura frango''] - Robert Wohlleben erklärt alles Wichtige zum Sonett


* [http://www.online-literature.com/ www.online-literature.com]  
* [http://www.online-literature.com/ www.online-literature.com] - "Shakespeare wrote over 150 sonnets! Join our Sonnet-A-Day Newsletter and read them all, one at a time." - Hier kann der/die Interessierte sich in eine E-mail-liste eintragen (''subscibe'') und erhält dann in regelmäßigen Abständen ein Shakespeare-Sonett (Shakespeare's sonnet) zugeschickt.
:"Shakespeare wrote over 150 sonnets! Join our Sonnet-A-Day Newsletter and read them all, one at a time." - Hier kann der/die Interessierte sich in eine E-mail-liste eintragen (''subscibe'') und erhält dann in regelmäßigen Abständen ein Shakespeare-Sonett (Shakespeare's sonnet) zugeschickt.
 
* [http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_lyr/lyr_txtsort/son/son_0.htm Formen lyrischer Texte - Sonett] (teachSam)


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Literatur]]
* [[Emblem]]
* [[Lyrik]]
* [[Figurengedicht]]
* [[Barock]]
 




[[Kategorie:Deutsch]]
[[Kategorie:Deutsch]][[Kategorie:Lyrik]]
[[Kategorie:Literatur]]
[[Kategorie:Barock]]

Aktuelle Version vom 29. Dezember 2018, 16:48 Uhr

Das Sonett (aus dem Italienischen: sonare = "tönen, klingen") ist eine Gedicht-Form, die prägend ist für die Lyrik des Barock, aber auch bis in die Gegenwart immer wieder verwendet wird.

Sonett doc.jpg

Form und Struktur

Ein Sonett besteht aus 14 metrisch gegliederten Verszeilen, die in der italienischen Originalform in vier kurze Strophen eingeteilt sind: zwei vierzeilige Quartette oder Quartinen und zwei sich daran anschließende dreizeilige Terzette oder Terzinen. Die englische Form (z.B. Shakespeare's sonnets) besteht aus drei Quartetten und einem abschließenden Reimpaar (rhyming couplets).

Die innere Struktur eines Sonetts leitet sich aus dem Aufbau des Emblems her:

Motto (Überschrift), Pictura (Bild), Subscriptio (Deutung des Bildinhaltes).

Auf die stark bildhaften Quartette folgt - meist in einem Abstraktionssprung - deren Reflexion in den Terzetten. Für die Interpretation insbesondere barocker Sonette ist das Wissen um diese emblematische Grundstruktur oft sehr hilfreich und richtet das Augenmerk auf den Übergang von den beiden Quartetten zu den Terzetten.

Hier ein bekanntes Sonett des Barock-Dichters Andreas Gryphius (1616-64):

ABEND
  Der schnelle Tag ist hin; die Nacht schwingt ihre Fahn
  Und führt die Sterne auf. Der Menschen müde Scharen
  Verlassen Feld und Werk; wo Tier und Vögel müde waren,
  Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!

  Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glieder Kahn.
  Gleichwie dies Licht verfiel, so wird in wenig Jahren
  Ich, du und was man hat und was man sieht, hinfahren.
  Dies Leben kommt mir vor als eine Rennebahn.

  Laß, höchster Gott, mich doch nicht auf dem Laufplatz gleiten,
  Laß mich nicht Ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten,
  Dein ewig heller Glanz sei vor und neben mir!

  Laß, wenn der müde Leib entschläft, die Seele wachen,
  Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen,
  So reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu Dir!

port (Z.5) - Hafen

Das Sonett in der deutschen Literatur

In der deutschen Literatur ist das Sonett besonders im Barock vertreten, sein strenger und am Emblem orientierter Aufbau entsprach dem Formwillen und dem Ordnungsbedürfnis dieser Zeit. Sonette finden sich wieder im Alterswerk Goethes, wo ihre Verwendung ebenfalls einem Bedürfnis nach Struktur und Ausgeglichenheit entsprach. In der Literatur des Expressionismus wurde gerne in der Sonett-Form gedichtet, dabei tritt der Kontrast zwischen strenger äußerer Form und inhaltlicher Dekadenz deutlich zutage.

Die Sonett-Form wurde von viele Schriftstellern als Herausforderung ihrer Schreibkunst verstanden, wenn es gelingt, die gedankliche und sprachliche Kreativität im Spiel mit vorgegebenen, strengen Regel zu bändigen (R.M. Rilke oder B. Brecht)

Beispiele, Formspiele, Reimspiele

Gerhard Rühm sonett (1970)

erste Strophe erste Zeile
erste Strophe zweite Zeile
erste Strophe dritte Zeile
erste Strophe vierte Zeile
zweite Strophe erste Zeile
zweite Strophe zweite Zeile
zweite Strophe dritte Zeile
zweite Strophe vierte Zeile
dritte Strophe erste Zeile
dritte Strophe zweite Zeile
dritte Strophe dritte Zeile
vierte Strophe erste Zeile
vierte Strophe zweite Zeile
vierte Strophe dritte Zeile

Ernst Jandl sonett 1 (1974)

abnett
benett
ernett
annett
danett
esnett
genett
janett
imnett
obnett
dunett
innett
wonett
zunett
  • wetscherahnenclub - Ein Sonett des Georg-Büchner-Preisträgers 2006, Oskar Pastior, auch zum Anhören (Aus: sonetburger)

Zwei dichterischen Schwestern - von ihrem Oheim Eduard Mörike

Heut lehr' ich euch die Regel der Son--
Versucht gleich eins! Gewiss, es wird ge--,
Vier Reime hübsch mit vieren zu versch--,
Dann noch drei Paare, dass man vierzehn h--,
Lasst demnach an der vielgeteilten K--
Als Glied in Glied so einen Schlussring sp--:
Das muss alsdann wie pures Gold erk--;
Gewisse Herrn zwar hängen Klett' an K--.
Ein solcher findet meine schönen N--
Bei diesem Muster. "Ah, Fräulein, Sie st--!"-
"Oh nein, Herr Graf, hier gilt es Silben z--." -
"Wirklich! Doch wenn die Lauren selber d--,
Was soll Petrarka?" - "Der mag Strümpfe str--.
Eins wie das andre ist für schöne S--."

Aus: Eduard Mörike, Sämtliche Werke in zwei Bänden, Winkler 1997 Bd.1 S. 840. Die Endsilben wurden von Mörike selbst weggelassen.

Textsammlungen

Linkliste

  • Sonett Archiv - Burgdorfer Verlag für die kleinen Formen der Literatur: Lyrik, Kurzprosa, Illustrierte Bücher, Originalgrafik, Sonette, Cafe des Ostens...
  • fulgura frango - Robert Wohlleben erklärt alles Wichtige zum Sonett
  • www.online-literature.com - "Shakespeare wrote over 150 sonnets! Join our Sonnet-A-Day Newsletter and read them all, one at a time." - Hier kann der/die Interessierte sich in eine E-mail-liste eintragen (subscibe) und erhält dann in regelmäßigen Abständen ein Shakespeare-Sonett (Shakespeare's sonnet) zugeschickt.

Siehe auch