Katholische Religionslehre/Religionslehre
(Katholische) Religionslehre ist ein Schulfach, nicht abgespeckte Theologie, nicht Mission, nicht Kirche in der Schule, nicht Katechese, nicht Konferenz, nicht Liturgie, nicht Meditation, obwohl ReligionslehrerInnen von allen genannten Alternativen selbstverständlich lernen können und müssen.
Die Inhalte der Religionslehre werden in Deutschland von gemischten Kommissionen der Kultusministerien und der Bischöfe bestimmt. Keine ReligionslehrerIn kann sich aber darauf beschränken diese Inhalte nach vorgesehenen Methoden den SchülerInnen zu präsentieren. Denn ReligionslehrerInnen sind Zeugen oder, wie Pius Siller mehrfach betont hat, wenigstens Bürgen der Wahrheit, um die es in ihrem Unterricht geht: Religion. Um exemplarisch aufzufächern, wie schillernd dieses Wort gebraucht wird, möchte ich mit ein paar „es gibt“-Sätzen einsteigen:
- Es gibt Menschen, die etwas heilig halten, bewusst und emotional. Es gibt aber auch Menschen, die sehr ähnlich handeln und empfinden, aber das Adjektiv „heilig“ bewusst meiden würden; sie gehen mit dem Recht, dem Geld, der Sexualität, der Macht, dem Spaß, der Forschung oder der Kunst um wie wir Christen mit dem Sakrament, geprägt von Pathos und Ausschließlichkeit.
- Es gibt Menschen, die von „Religionsersatz“ reden. Das setzt voraus, man glaube zu wissen, was Religion sei. Dann können gesellschaftliche Systeme wie zum Beispiel Mode, Sport oder körperliche oder technische Perfektion analysiert werden als etwas, was zwar nicht Religion sei, weil deren vorgefasste Definition nicht zutrifft, was aber die Funktion der Religion erfülle.
- Es gibt die Rede vom „Aberglauben“, früher auch drastischer „Afterglauben“. Auch hier ist etwas vorausgesetzt, nämlich Kriterien für einen Glauben, den man vernünftigerweise haben kann; diese Kriterien erfüllt dann der Aberglaube nicht. Sehr ähnlich wird der Begriff der „Sekte“ zur Abgrenzung von einer Bewegung benützt, deren Merkmale einer ernst zu nehmenden Religionsgemeinschaft unwürdig seien wegen angeblicher Dummheit oder Gewaltsamkeit oder Geldgier oder Ausschließlichkeit oder aus anderen Gründen.
- Es gibt Menschen, die Kultur und Religion identifizieren, und solche, die geradezu einen Gegensatz darin sehen. Die Pädagogik erstrebt im weltanschaulich neutralen politischen System eine weltanschaulich neutrale Begründung ihrer Prinzipien, und es wird ihr entgegengehalten eine weltanschaulich neutrale Erziehung sei geradeso wie ein flügelloses Flugzeug oder ein wasserfreier See.
- Es gibt schließlich Elemente der Religion oder Weltanschauung – wie man will -, die tief unbewusst sind: Was verrät die unaufgebbar metaphorische Struktur der gesprochenen Sprache; was sagen Gruß- und Abschiedsriten aus, Sitten und Gebräuche, allgemein akzeptierte Ziele – „Lieber reich und gesund als arm und krank!“ -, ethische Universalien? – Wir müssen manchmal lange nachdenken, um uns der Weltanschauung bewusst zu werden, die in unserer Praxis unerkannt zum Ausdruck kommt.
Die Religionslehre konstatiert diese Realitäten und ist gewarnt, wie leicht man Vorurteile in Fragen der Religion mit allgemeingültigen Aussagen verwechselt. Um methodisch zu kontrollieren, wie vorgegangen wird und mit welchen Hintergründen, sollen als Ordnungsrahmen drei Ebenen dienen, die konkrete, von einer natürlichen Person bewusst und unbewusst praktizierte Religion immer ausmachen:
- Jede Religion ist individuell,
geprägt von Erfahrungen dessen, der sie ausübt: Es gibt nicht zwei Menschen, die regelmäßig Gottesdienste besuchen und dies aus exakt demselben Grund so halten; das gilt auch vom Fernbleiben und von allen anderen heiligen Handlungen, und es gilt sowohl von den Gründen, die jemand spontan äußern würde, und von Motiven, die man durch geschicktes Befragen vielleicht herausbekommen könnte.
- Jede Religion ist konfessionell,
geprägt von den Erfahrungen einer geschichtlichen Herkunft, die sich an bestimmten Texten, Symbolen und Riten auskristallisiert hat, aber von jedem auch wieder neu in ein anderes Leben integriert werden muss.
- Jede Religion ist universell,
geprägt von der Unvermeidlichkeit, dass das von mir Bejahte und Verneinte entweder wirklich wahr oder wirklich falsch ist, und das gälte dann für alle. Wie dieser unvermeidliche Universalitätsanspruch mit Toleranz zu vereinbaren, ja, Voraussetzung recht verstandener Toleranz ist, gehört zu den aktuell spannendsten Fragen der Religionen und dieses Lehrbuches.
Die Religionslehre, die das ZUM-Unterrichten-Buch Katholische Religionslehre darstellt, ist „katholisch“. Das Eigenschaftswort bezeichnet einerseits eine christliche Konfession, der die Autoren angehören und in deren Rahmen sie studiert und einen Beruf ausgeübt haben. Daraus folgt, dass eine von Katholiken erarbeitete Religionslehre von selbst „katholisch“ sein wird; sie fänden es befremdlich, eine katholische Religionslehre von einem evangelischen Christen oder einem Muslim zu lesen. Denn nur aus der Innenperspektive kann das Potential einer Religion ermessen werden. Den Islam von außen aufzufordern, eine wissenschaftliche Interpretation seiner Urschrift zuzulassen, ist etwas völlig anderes als wenn der iranische Reformtheologe Hassan Jussefi Eschkewari die dialektische Beziehung zwischen Text und Rezipient des Quran untersucht.[1]
„Katholisch“ ist aber nicht nur mehr oder weniger zufällige Bezeichnung eines religionshistorischen Phänomens, sondern auch ein Prinzip, das mit der Wortübersetzung „umfassend“ gerade mal unscharf angedeutet ist. Es gilt, eine Religionsgemeinschaft zu beschreiben, die strukturell in der Lage ist, Menschen aller Kulturen zu integrieren, anders gesagt: Religion, die das Individuellste und Innerste im Menschen thematisiert, als Vernetzung über alle Kontinente und Ethnien und über alle Zeiten und Epochen hinweg effektiv zu organisieren. Da heute in jeder Region der Welt zahlreiche Kulturen und Ethnien miteinander leben, muss die Religionslehre, die in der öffentlichen Schule vermittelt wird, sich des Prinzips bewusst sein, von dem sie herkommt, hier also des katholischen.