Abraham/Ibrahim in Bibel und Koran
Wie Abraham fast seinen Sohn geopfert hätte - eine Erzählung in Bibel und Koran
(ein Unterrichtsmaterial für Jhg. 4 oder 5 von Sabine Häcker)
Abraham wird in der jüdischen, christlichen und muslimischen Religion verehrt.
(Hinweis: "Abraham" heißt auf Arabisch "Ibrahim", die Schreibweise im Deutschen variiert je nach Übersetzung. In diesem Unterrichtsmaterial wird mit der Koranübersetzung von Max Henning gearbeitet, der "Abraham" im deutschsprachigen Text verwendet, deshalb wird im Folgenden ebenfalls diese Namensvariante verwendet. Zudem wird dadurch die Verbindung zwischen dem biblischen und koranischen Text deutlicher.)
Abraham gilt der Stammvater des Monotheismus. Die Erzählung von Abraham finden wir in der Tora (Genesis), der Bibel (1. Buch Mose) und im Koran. Im Koran handeln (u. a.) folgende Suren von Abraham: In Sure 19, 42–49 wird dargestellt, dass es nur einen Gott gibt. Da Abrahams Vater diese Überzeugung nicht teilt, trennt Abraham sich von ihm (das beschreibt auch Sure 9, 114). In Sure 37, 100 wünscht Abraham sich einen Sohn.
Die bekannteste Geschichte von Abraham ist die, die in der jüdischen Tradition „Isaaks Bindung“ genannt wird: Abraham bekommt den göttlichen Befehl, seinen Sohn zu opfern (Genesis bzw. 1. Buch Mose 22, 1–19).
Im Koran erzählt Sure 37, 101–113 davon, dass Abraham bereit war, seinen Sohn zu opfern. Der Widder, der als Ersatzopfer schickt wird (1. Buch Mose, Kap. 22, 13), ist das „herrliche Opfer“ in Sure 37, 107. Auf diesen Widder geht das muslimische Opferfest zurück. In Sure 14, 39 werden Ismael und Isaak als Söhne Abrahams vorgestellt.
Da die biblische Erzählung die ältere ist, wird sie zuerst vorgestellt:
Die Geschichte von der Beinahe-Opferung Isaaks in den jüdisch-christlichen Schrifte
Gott wollte Abraham auf die Probe stellen. Er gab ihm den Befehl, seinen einzigen Sohn Isaak zu nehmen, mit ihm auf einen Berg zu gehen und den Jungen dort auf einem Feuer zu opfern. Da nahm Abraham Holz und machte sich am nächsten Tag mit seinem Sohn und einigen Knechten auf den Weg. Am dritten Tag sah er den Berg und sagte zu seinen Knechten: „Bleibt hier. Mein Sohn und ich gehen dorthin und wollen beten, dann kommen wir wieder zurück.“
Daraufhin lud Abraham seinem Sohn das Holz auf die Schultern und sie gingen weiter. Isaak fragte: „Wo ist das Schaf für das Brandopfer?“ „Gott wird schon dafür sorgen, mein Sohn.“, antwortete der Vater.
Als sie auf dem Berg angekommen waren, errichtete Abraham einen Altar und legte die Holzscheite darauf. Dann fesselte er Isaak und legte ihn auf das Holz. Als er seinen Sohn gerade mit einem Messer töten wollte, rief ihm ein Engel zu: „Tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du gottesfürchtig bist.“ Abraham sah sich um und entdeckte einen Widder, der sich in einem Busch verfangen hatte. Er holte das Tier und opferte es anstelle seines Sohnes.
- (Hinweis: Weiter unten findet sich ein Quiz zur Geschichte!)
- Diese Geschichte ist eine stark gekürzte Zusammenfassung, doch auch im Originaltext n der Bibel wird nicht erwähnt, was die Personen denken und fühlen. Was geht wohl in ihnen vor? Erzähle die Geschichte nach und füge Gedanken und Gefühle ein!
Die Beinahe-Opferung Ismaels im Koran
- Ihr könnt die Erzählung im Koran in der Sure 37, 101-113 nachlesen. (Es gibt im Internet z. B. diese Koranübersetzung: https://koran-deutsch.com/)
In diesem Text werden ebenfalls keine Gedanken und Gefühle der Personen in dieser dramatischen Situation geschildert, wohl aber gibt es ein kurzes Gespräch zwischen Vater und Sohn:
(101) Sprach er: "O mein Söhnlein, siehe, ich sah im Traum, dass ich dich opfern müsste. Nun schau, was du meinst."
(102) Er sprach: "O mein Vater, tu, was dir geheißen ward, du wirst mich, so Allah will, standhaft erfinden."(Diese Zeilen aus der Koranübersetzung von Max Henning (1991) unterscheiden sich von der Koranübersetzung im Internet - sie sind ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich Übersetzungen ausfallen können.)
- Was erzählen diese Aussagen über die Personen?
Sprachbildung: Wortbedeutungen
- In den Erzählungen kommen einige Worte vor, die euch vielleicht nicht vertraut sind. Deshalb gibt es eine kleine Aufgabe zu diesen Wörtern und Formulierungen: auf die Probe stellen, das Brandopfer, sorgen für etwas, errichten, der Altar, das Holzscheit, zuleide tun, gottesfürchtig, der Widder, ihm wurde geheißen, standhaft
Verwandtschaftsverhältnisse
- Wieso wird von Isaak in der Bibelgeschichte als dem "einzigen Sohn" gesprochen, wenn es doch noch einen anderen Sohn namens Ismael gibt? Recherchiere die Familienverhältnisse von Abraham! Die Bibelstellen, in denen das beschrieben wird, sind 1. Mose 16 und 1. Mose 21, 1-21. Der Bibeltext ist aber nur schwer zu verstehen - aber am besten lest ihr in einer Kinderbibel nach oder eure Lehrerin liest euch aus einer Kinderbibel vor. (Auch im Koran werden beide Söhne erwähnt, in Sure 14, 39 oder Sure 3, 84 zum Beispiel; die Suren erklären aber nicht die Verwandtschaftsverhältnisse.) Erstelle einen kleinen Stammbaum!
Anmerkungen für Lehrerinnen und Lehrer
Ziele und Bildungswert dieser kleinen Sequenz
Das Ziel ist, die Erzählungen zu kennen und die Namen zuordnen können, da diese Geschichte für alle drei Buchreligionen sehr bedeutsam ist.
Im Sinne einer interkulturellen Pädagogik und eines interreligiösen Dialogs sollten in der Schule sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten von Religionen thematisiert werden. Vor diesem Hintergrund kann es interessant sein, dass sich in den jüdischen, den christlichen und muslimischen Schriften gleiche oder ähnliche Erzählungen finden– um die Religionen nicht dualistisch einander gegenüber zu stellen, sondern um ihre Verbindungen zu erkennen.
"Wovon erzählt diese Geschichte?" - Im Gespräch sollte außerdem erarbeitet werden, wie bzw. dass die Erzählung auf vielerlei Arten verstanden und interpretiert werden kann (s. u.). Dies zu thematisieren, kann zu der Schlussfolgerung führen, dass es keinesfalls die eine, "richtige" Interpretation der Schriften gibt. Angesichts der weltweiten Entwicklungen von religiösem Radikalismus ist das eine relevante Erkenntnis im Sinne von politischer und religionskundlicher Bildung, denn es ist problematisch, die Texte wortwörtlich und als Autorität für politische Fragen der Gegenwart nehmen zu wollen. (Die Schriften der Bibel, geschrieben vor 3000-1800 Jahren, wurden nicht verfasst, um ein Ratgeber für unsere heutige Zeit zu sein. Schon innerhalb der Bibel gibt es bereits innerbiblische Auslegungen: Frühere Schriften wurden in späteren Schriften kommentiert und weiterentwickelt. Diese innerbiblischen Interpretationen bezeugen, dass biblische Texte kein unantastbares und wortwörtlich zu nehmendes Gotteswort sind. (Vgl. Konrad Schmid und Jens Schröter: Die Entstehung der Bibel. 2020.))
Kleiner Quiz zum Textverständnis der Bibelgeschichte
Hier ist noch ein kleiner Textverständnisquiz, der zu einem Unterrichtsgespräch über die biblische Isaakgeschichte anregen und das Textverständnis sichern kann. Weil er direkt unterhalb der Geschichte zu sehr vom Lesen ablenken würde, ist er hier platziert.
Interpretationen
Zu der schockierenden Geschichte von einem Vater, der seinen eigenen Sohn opfern soll, gibt es eine Fülle von Interpretationen. Einen ersten Eindruck gibt die Wikipedia-Seite https://de.wikipedia.org/wiki/Bindung_Isaaks. Kurz erwähnt werden sollen an dieser Stelle jedoch diese Ansätze (vgl. Häcker, 2025, S. 24 f.):
Auf religionsgeschichtlicher Ebene wird hier eventuell von der Ablösung der Menschenopfer durch Tieropfer erzählt. In der Antike waren Menschen- bzw. insbesondere Kinderopfer mancherorts verbreitet, davon zeugen u. a. die Aussagen in Richter 11, 30–40, Micha 6, 7 oder 1. Könige 16, 34 sowie Hesekiel 20, 25–31. Die Schriften (der Tanach bzw. das Alte Testament), und das ist in der damaligen Zeit eine fortschrittliche Haltung und Errungenschaft, lehnen Menschenopfer jedoch strikt ab. Diverse Textstellen im Alten Testament zeugen davon, z. B. 5. Mose 12, 31 oder Micha 6, 8 (und einige mehr). 5. Mose 12, 31 sei hier zitiert: So sollst du dem HERRN, deinem Gott, nicht dienen, denn sie haben ihren Göttern alles getan, was dem HERRN ein Greuel ist und was er hasst; denn sie haben ihren Göttern sogar ihre Söhne und Töchter mit Feuer verbrannt.)
Das eigene Kind ist das kostbarste, was man einem Gott opfern kann. Die Geschichte kann so verstanden werden, dass es Gott nicht um kostspielige Signale, sondern um innere Aufrichtigkeit geht.
Immanuel Kant kritisierte aus moralphilosophischer Sicht das Verhalten von Abraham. Er hätte sich widersetzen müssen, so Kant, denn der Maßstab sei das moralische Gesetz, welches Gott verteidigen und nicht zerstören solle. Kant schrieb: „Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: „Dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiss; dass aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich ganz gewiss nicht gewiss und kann es auch nicht werden“, wenn sie auch vom (…) Himmel herabschallte.“ Auch ein Gebot von Gott kann, so Kant, nicht zur Aufhebung des ethisch Gebotenen führen (Kant 1798, in: Boehm, 2022, S. 145).
Omri Boehm hingegen liest in der Geschichte genau dieses, nämlich dass Abraham ungehorsam das ethisch Gebotene tat: Er gehorchte letztlich nicht dem göttlichen Opferbefehl, sondern folgte dem Einspruch eines Engels. Boehm sieht Abrahams Verhalten im Zusammenhang mit der Erzählung im 1. Mose 18, 22–27, als Gott die Menschen in Sodom kollektiv bestrafen wollte und Abraham ihm widersprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? (…) Das sei ferne von dir! Nach Boehm steht die Geschichte für die Forderung nach einer universellen, übergeordneten Gerechtigkeit. (Boehm, 2022. - Boehms komplexe, fundierte und politisch interessante Interpretation im Sinne des Universalismus kann hier nur angedeutet werden.)
Im Islam gelten Abraham (arabisch: Ibrahim), Noah (arabisch: Nūḥ), Mose (arabisch: Musa), David (arabisch: Dawud) oder Jesus (arabisch: Isa) als Propheten, um nur einige zu nennen (vgl. Sure 6, 83–86). Mohammed sah sich selbst als letzten Propheten. Vgl. Sure 33, 40: Muhammed ist nicht der Vater eines eurer Männer, sondern Allahs Gesandter und das Siegel der Propheten; und Allah weiß alle Dinge. „Das Siegel der Propheten“ wird laut Anmerkung des Übersetzers Max Henning zu dieser Sure so verstanden, dass Mohammed im Islam als „der letzte und die Wahrheit im Vollsinne bringende Prophet“ gesehen wird.
Sure 2, 125 ff. beschreibt, dass die Verehrung der Kaaba auf Abraham und Ismael zurückgeht.
Literatur und Quellen
- Häcker, Sabine: Die Entstehung des Islam und gemeinsame Erzählungen der Buchreligionen. München 2025. (open access-Veröffentlichung: https://www.grin.com/document/1563601)
- Boehm, Omri: Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität. Berlin 2022.
- Rückert, Sabine und Haberer, Johanna: Unter Pfarrerstöchtern. Podcast der ZEIT; Folge vom 08.05.2020: „Abraham: Die Opferung des Isaak“.
- Wikipedia: Bindung Isaaks. https://de.wikipedia.org/wiki/Bindung_Isaaks
- Schmid, Konrad und Schröter, Jens: Die Entstehung der Bibel. 2020.
- Die Bibel (nach der Übersetzung Martin Luthers). Hrsg.: Deutsche Bibelstiftung Stuttgart. Revidierter Text 1975. Stuttgart 1978.
- Der Koran (Übersetzung: Max Henning). Hrsg.: Philipp Reclam jun. Verlag. Stuttgart 1991.
- Weiteres Unterrichtsmaterial von Sabine Häcker zum Thema: Islam: Entstehung und David und Goliath in Bibel und Koran
Hinweis zum Anliegen der geschlechtergerechten Sprache: Es wird die generische Variante in ihrer genderneutralen Definition verwendet. Das grammatikalische Geschlecht von Sprache ist dabei keinesfalls mit dem biologischen oder sozialen Geschlecht von Menschen gleichzusetzen!
