Spießerkritik und Literatur: Unterschied zwischen den Versionen
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2. Bemerkenswert ist auch der Titel des hundertausendfach in Schulen kostenlos ausgelegten Jugend-Magazins [http://www.spiesser.de „Spiesser“], die Weiterentwicklung einer 1994 in Dresden gegründeten Schülerzeitung. In der ''Wikipedia'' steht dazu: | 2. Bemerkenswert ist auch der Titel des hundertausendfach in Schulen kostenlos ausgelegten Jugend-Magazins [http://www.spiesser.de „Spiesser“], die Weiterentwicklung einer 1994 in Dresden gegründeten Schülerzeitung. In der ''Wikipedia'' steht dazu: | ||
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* "der sächsische Spießer" ([http://www.fr-online.de/pegida/kolumne-kampf-gegen-eine-offene-gesellschaft,29337826,29393876.html Frankfurter Rundschau, 21.12.14]) | * "der sächsische Spießer" ([http://www.fr-online.de/pegida/kolumne-kampf-gegen-eine-offene-gesellschaft,29337826,29393876.html Frankfurter Rundschau, 21.12.14]) | ||
7. Und schließlich: Teste Dein Spießigkeits-Potenzial auf der Web-Seite von [http://www.glamour.de/liebe/beziehung/spiessbuerger-alarm#1 "GLAMOUR"]: | <!--7. Und schließlich: Teste Dein Spießigkeits-Potenzial auf der Web-Seite von [http://www.glamour.de/liebe/beziehung/spiessbuerger-alarm#1 "GLAMOUR"]: | ||
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#Spießer-Merkmal Nummer 3: Sie essen Hähnchen und Burger mit Besteck. | #Spießer-Merkmal Nummer 3: Sie essen Hähnchen und Burger mit Besteck. | ||
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# Wären wir nicht gerne ganz normal und ein wenig spießig? Das ist die Frage. | # Wären wir nicht gerne ganz normal und ein wenig spießig? Das ist die Frage. | ||
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# Dazu wird der ''Genie''-Begriff beleuchtet und zur Debatte gestellt: Damals und heute. | # Dazu wird der ''Genie''-Begriff beleuchtet und zur Debatte gestellt: Damals und heute. | ||
# Dann geht es um den ''Kleinbürger'', wie er im 20. Jahrhundert in der Gesellschaft (und der Literatur) auftaucht. | # Dann geht es um den ''Kleinbürger'', wie er im 20. Jahrhundert in der Gesellschaft (und der Literatur) auftaucht. | ||
Das Ziel ist es, sich über das angemessene '''Verhältnis von Angepasstheit und Außenseitertum''' Gedanken zu machen. | Das Ziel ist es, sich über das angemessene '''Verhältnis von Angepasstheit und Außenseitertum''' Gedanken zu machen. | ||
Zu einigen Texten gibt es Aufgabenstellungen und Arbeitsaufträge. | Zu einigen Texten gibt es Aufgabenstellungen und Arbeitsaufträge. | ||
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==Spießer damals== | ==Spießer damals== |
Version vom 1. April 2018, 11:46 Uhr
Denkanstöße: Warum eigentlich nicht?
1. "Wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.“
- Quelle: LBS Spießer, Art: Heike Schugens Text: Anke Heuser, Agentur: BBDO Düsseldorf Regie: Martin Schmid
2. Bemerkenswert ist auch der Titel des hundertausendfach in Schulen kostenlos ausgelegten Jugend-Magazins „Spiesser“, die Weiterentwicklung einer 1994 in Dresden gegründeten Schülerzeitung. In der Wikipedia steht dazu:
- „Spiesser – die Jugendzeitschrift (Eigenschreibweise in Großbuchstaben) ist ein werbefinanziertes Magazin für Jugendliche und junge Erwachsene. Es wird in Deutschland in einer Auflage von 400.000 Exemplaren kostenlos ausgelegt. Die Zeitschrift wird herausgegeben von der Spiesser GmbH mit Sitz in Dresden. Das Unternehmen betreibt ebenfalls eine Onlineausgabe „Spiesser.de“, außerdem ist es als Werbeagentur tätig.“ (Wikipedia.de Stand: 26.2.2015)
3. In einer Arte.tv-Sendung charakterisiert Journalist Hajo Kruse den deutschen Spießer als Kleinbürger auf Urlaub: Der typische Tourist.
- „Der Spießbürger hat nie über die Mauern seiner kleinen Stadt hinausgeschaut, er ist borniert und lehnt Fortschritt und Moderne ab. Der heutige deutsche Spiesser ist dem französischen Beauf in der Tat sehr ähnlich, er ist aber anders gekleidet: Im Sommer trägt er enge Shorts, die seinen Bierbauch hervorheben, einen kleinen Hut oder eine Schirmmütze, sowie Sandalen mit Söckchen. Diese Markenzeichen bewahrt er selbstverständlich beim Urlaub im Ausland, den er gerne in Gesellschaft von seinen Artgenossen verbringt.“
- (das portrait: der spießer, 17.8.2008)
4. Harry Luck, Glücksbuch-Autor: "Spießer sind die glücklicheren Menschen"
- "Statt Latte Macchiato, Designer-T-Shirts und Individualreisen lieber Filterkaffee, Kurzarm-Hemden und Pauschalurlaub - noch spießiger geht's kaum noch. Aber warum eigentlich nicht? ARD.de hat mit dem Autor des Buches "Wie spießig ist das denn", Harry Luck, darüber gesprochen, warum "kluge und sympathische Spießer" seiner Meinung nach die glücklicheren Menschen sind." [...]
- "Unter "spießig" verstehe ich nicht kleinkariert, borniert und engstirnig, sondern eher ein gepflegtes Uncoolsein. Wer in diesem Sinne spießig ist, widersetzt sich den Marschbefehlen der Trendsetter und tut nicht Dinge nur deshalb, weil sie gerade angesagt sind. Der kluge, sympathische Spießer verhält sich so, wie es gut für ihn ist, ohne dass er anderen damit schadet: Er trinkt alkoholfreies Bier und schaut ARD und ZDF, er bestellt Filterkaffee statt Latte Macchiato und trägt im Sommer luftige Kurzarmhemden, obwohl die Modepäpste das streng verbieten. Wenn man erkennt, dass man sich nicht immer daran orientieren muss "was die Leute sagen", wirkt das unheimlich befreiend und macht insofern auch glücklich." (ARD Themenwoche "Zum Glück" - 16. bis 22. November 2013)
5. Der Wutbürger - der Spießer von heute?
- "Bestseller-Autor Gerhard Matzig bringt die Wutbürger gegen sich auf – weil er sie irgendwo zwischen Wellness, Wahnsinn und Wohlleben verortet. [...]
- "Welt am Sonntag : Aber ein Merkmal der Wutbürger ist ihre totale Humorfreiheit und jede Form von Selbstironie. Kommt der alte, deutsche Spießer im Wutbürger zu sich?
- Matzig : Interessante These. Da viele von den Ws ihre heutige Karriere sehr viel früher als 68er begonnen haben, als sie gegen das deutsche Spießertum der Nachkriegsära zu Felde zogen, müsste man in diesem Fall sagen: Sie haben die Seiten gewechselt. Beziehungsweise: Sie stellen sich als die Spießer heraus, vor denen sie einmal gewarnt haben."
- (Die Welt, 16.10.2011)
6. Ist PEGIDA ein anderes Wort für Spießertum? Man google einmal die beiden Begriffe zusammen, hier eine kleine Trefferauswahl:
- "die PEGIDA-Spießer" (Neue Rheinische Zeitung)
- "der deutsche Spießer" (Hamburger Abendblatt, 29.12.14)
- "der sächsische Spießer" (Frankfurter Rundschau, 21.12.14)
- Wären wir nicht gerne ganz normal und ein wenig spießig? Das ist die Frage.
- Darum werden zunächst einige Begriffe geklärt: Spießer, Spießbürger und Philister
- In einem weiteren Schritt tauchen wir in das Selbstverständnis der deutschen Romantik (und Vor-Romantik) ein: Der Bürger ist der Spießer, der Künstler das Genie.
- Dazu wird der Genie-Begriff beleuchtet und zur Debatte gestellt: Damals und heute.
- Dann geht es um den Kleinbürger, wie er im 20. Jahrhundert in der Gesellschaft (und der Literatur) auftaucht.
Das Ziel ist es, sich über das angemessene Verhältnis von Angepasstheit und Außenseitertum Gedanken zu machen.
Zu einigen Texten gibt es Aufgabenstellungen und Arbeitsaufträge.
Spießer damals
Begriffsklärungen
Philister
- Das Wort Philister (von hebräisch: פְּלִשְׁתִּי pelischtim) bezeichnet:
- • ein Volk, das um 1175 v. Chr. in der palästinischen Küstenlandschaft ansässig wurde und der Region Palästina den Namen gab, siehe Philister
- • eine Person, die Kunst und Literatur gegenüber nicht aufgeschlossen ist, siehe Philister (Ästhetik)
- • einen kleinbürgerlichen Menschen, siehe Spießbürger
- • die im Berufsleben stehenden „Alten Herren“ einer Verbindung, siehe Alter Herr (Studentenverbindung)
- "Der Ausdruck Philister bezeichnet abwertend jemanden, der Kunst (zumeist Avantgarde-Kunst) und damit zusammenhängende ästhetische oder geistige Werte nicht schätzt oder verachtet, dabei aber unkritisch vorgefertigte, oft als bürgerlich bzw. spießbürgerlich bezeichnete Vorstellungen übernimmt und anwendet.
- Angeblich tauchte der Begriff in dieser Bedeutung erstmals in Jena im späten 16. Jahrhundert auf. In Universitätsstädten bezeichnete er einen nicht studierenden Bürger, der zu den Studenten in einem ähnlich spannungsgeladenen Verhältnis lebte wie in der Bibel die Philister mit den Hebräern; siehe auch Philister (Studentenverbindung). Aus diesem Kontext heraus definiert Schopenhauer einen Philister als Menschen ohne geistige Bedürfnisse.
- Als Begriff der Auseinandersetzung um Kunst und Literatur ging er seit der Romantik über den studentischen Kontext hinaus und wurde u. a. von Brentano, Heine und Novalis verwendet. Romantische Autoren beriefen sich auf ihr unabhängiges Genie; im Philister fanden sie einen Begriff, der ihre konservativen Gegner im Kulturbetrieb bezeichnen sollte. Der Spott über den Philister war so verbreitet, dass man von einer eigenen Textgattung sprechen kann, der Philistersatire."
- (Quelle: Wikipedia: Philister (Ästhetik), 27.2.2015)
Spießbürger
Spießer steht für:
- • eine Kurzform des Schmähbegriffs Spießbürger aus dem Mittelalter
- • einen Soldaten, der mit einem Spieß kämpft, der Pikenier
- • einen jungen Hirsch oder Rehbock, dessen Geweihstangen noch nicht verzweigt sind
- • Spiesser (Zeitschrift), eine Jugendzeitschrift
Entstehung des Begriffs „Spießbürger“
- "Die Bezeichnung geht auf die im Mittelalter in der Stadt wohnenden Bürger zurück, die ihre Heimatstadt mit dem Spieß als Waffe verteidigten. Spießbürger unterschieden sich von den in der Vorstadt wohnenden Pfahlbürgern, gehörten jedoch innerhalb der Stadtgesellschaft zu den eher ärmeren Bürgern, da sie bei den städtischen Fußtruppen Dienst taten, während wohlhabendere Bürger hierfür Söldner bezahlen konnten. Der Spieß als Waffe war relativ günstig herzustellen und zugleich gegen die adligen Ritterheere des Hoch- und Spätmittelalters effizient einzusetzen (siehe Pikeniere). Er verhalf Bürgern und Bauern in den Bauern- und Hussitenkriegen zu hohen Siegen in den Schlachten gegen die adlige Kavallerie. Die Bezeichnung „Spießbürger“ war früher durchaus positiv konnotiert, da der Dienst zur Verteidigung der Heimatstadt als Ehre angesehen wurde.
- Offenbar sank dann das Ansehen des „Spießbürgers“ und seiner Bezeichnung ab, „vielleicht weil man zu den Spießbürgern nur die ärmsten und untauglichsten wählete, dagegen die reichern bessern zu Pferde dieneten“. „Jetzt gebraucht man es nur im verächtlichen Verstande von einem jeden geringen Bürger“ (Wörterbuch Adelungs, 1811). Studenten, die noch lange vor allem aus adeligem oder reichem Bürgerhaus kamen, verwendeten den Begriff schließlich in ihrer Studentensprache. „Spießbürger“ wurde so – ähnlich dem Ausdruck „Philister“ – eine gängige Bezeichnung, die Höhergestellte gegenüber kleinbürgerlichen und aus ihrer Sicht engstirnigen Menschen gebrauchten.“
- Quelle: Wikipedia: Spießbürger, 27.2.12015
- Das Zitat von Johann Adelung stammt aus lexika.digitale-sammlungen.de
Vorromantische Spießer-Kritik: 18. Jh
Der vernünftige, disziplinierte, kühl rechnende und jeglicher Fantasie misstrauende Bürger taucht schon vor der Romantik auf, z.B. in jener vorromantischen, von einigen Intellektuellen getragenen Jungmänner-Bewegung, welche Sturm und Drang genannt wird. Deren bester Vertreter ist und bleibt:
J.W. (noch nicht 'von') Goethe
Aus dem Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers“ (1774): Der vernünftige Albert (1. Buch) und der pedantische Gesandte (2. Buch)
- "Gewiß, Albert ist der beste Mensch unter dem Himmel. Ich habe gestern eine wunderbare Szene mit ihm gehabt. Ich kam zu ihm, um Abschied von ihm zu nehmen; denn mich wandelte die Lust an, ins Gebirge zu reiten, von woher ich dir auch jetzt schreibe, und wie ich in der Stube auf und ab gehe, fallen mir seine Pistolen in die Augen. – »Borge mir die Pistolen«, sagte ich, »zu meiner Reise«. – »Meinetwegen«, sagte er, »wenn du dir die Mühe nehmen willst, sie zu laden; bei mir hängen sie nur pro forma«. – Ich nahm eine herunter, und er fuhr fort: »seit mir meine Vorsicht einen so unartigen Streich gespielt hat, mag ich mit dem Zeuge nichts mehr zu tun haben«. – Ich war neugierig, die Geschichte zu wissen. – »Ich hielt mich«, erzählte er, »wohl ein Vierteljahr auf dem Lande bei einem Freunde auf, hatte ein paar Terzerolen ungeladen und schlief ruhig. Einmal an einem regnichten Nachmittage, da ich müßig sitze, weiß ich nicht, wie mir einfällt: wir könnten überfallen werden, wir könnten die Terzerolen nötig haben und könnten – du weißt ja, wie das ist. – ich gab sie dem Bedienten, sie zu putzen und zu laden; und der dahlt mit den Mädchen, will sie schrecken, und Gott weiß wie, das Gewehr geht los, da der Ladstock noch drin steckt, und schießt den Ladstock einem Mädchen zur Maus herein an der rechten Hand und zerschlägt ihr den Daumen. Da hatte ich das Lamentieren, und die Kur zu bezahlen obendrein, [...]«.
- Und bei diesem Anlaß kam er sehr tief in Text: ich hörte endlich gar nicht weiter auf ihn, verfiel in Grillen, und mit einer auffahrenden Gebärde drückte ich mir die Mündung der Pistole übers rechte Aug' an die Stirn. – »Pfui!« sagte Albert, indem er mir die Pistole herabzog, »was soll das?« – »Sie ist nicht geladen«, sagte ich. – »Und auch so, was soll's?« versetzte er ungeduldig. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Mensch so töricht sein kann, sich zu erschießen; der bloße Gedanke erregt mir Widerwillen«.
- »Daß ihr Menschen«, rief ich aus, »um von einer Sache zu reden, gleich sprechen müßt: ›das ist töricht, das ist klug, das ist gut, das ist bös!‹ und was will das alles heißen? Habt ihr deswegen die innern Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wißt ihr mit Bestimmtheit die Ursachen zu entwickeln, warum sie geschah, warum sie geschehen mußte? Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urteilen sein«. »Du wirst mir zugeben«, sagte Albert, »daß gewisse Handlungen lasterhaft bleiben, sie mögen geschehen, aus welchem Beweggrunde sie wollen«. Ich zuckte die Achseln und gab's ihm zu. – »Doch, mein Lieber«, fuhr ich fort, »finden sich auch hier einige Ausnahmen. Es ist wahr, der Diebstahl ist ein Laster: aber der Mensch, der, um sich und die Seinigen vom gegenwärtigen Hungertode zu erretten, auf Raub ausgeht, verdient der Mitleiden oder Strafe? Wer hebt den ersten Stein auf gegen den Ehemann, der im gerechten Zorne sein untreues Weib und ihren nichtswürdigen Verführer aufopfert? Gegen das Mädchen, das in einer wonnevollen Stunde sich in den unaufhaltsamen Freuden der Liebe verliert? Unsere Gesetze selbst, diese kaltblütigen Pedanten, lassen sich rühren und halten ihre Strafe zurück«.
- »Das ist ganz was anders«, versetzte Albert, »weil ein Mensch, den seine Leidenschaften hinreißen, alle Besinnungskraft verliert und als ein Trunkener, als ein Wahnsinniger angesehen wird«. »Ach ihr vernünftigen Leute!« rief ich lächelnd aus."
- Quelle: Projekt Gutenberg
- Was ist Albert für ein Typ?
- Was ist Werther für einer?
- Die Perspektive ist nicht neutral: Woran erkennt der Leser dies?
- Worum geht es - außer um Pistolen?
- "Der Gesandte macht mir viel Verdruß, ich habe es vorausgesehn. Er ist der pünktlichste Narr, den es nur geben kann; Schritt vor Schritt und umständlich wie eine Base; ein Mensch, der nie mit sich selbst zufrieden ist, und dem es daher niemand zu Danke machen kann. Ich arbeite gern leicht weg, und wie es steht, so steht es; da ist er imstande, mir einen Aufsatz zurückzugeben und zu sagen: »er ist gut, aber sehen Sie ihn durch, man findet immer ein besseres Wort, eine reinere Partikel«. – Da möchte ich des Teufels werden. Kein Und, kein Bindewörtchen darf außenbleiben, und von allen Inversionen, die mir manchmal entfahren, ist er ein Todfeind; wenn man seinen Period nicht nach der hergebrachten Melodie heraborgelt, so versteht er gar nichts drin. Das ist ein Leiden, mit so einem Menschen zu tun zu haben.
- Das Vertrauen des Grafen von C... ist noch das einzige, was mich schadlos hält. Er sagte mir letzthin ganz aufrichtig, wie unzufrieden er mit der Langsamkeit und Bedenklichkeit meines Gesandten sei«. Die Leute erschweren es sich und andern. Doch«, sagte er, »man muß sich darein resignieren wie ein Reisender, der über einen Berg muß; freilich, wäre der Berg nicht da, so wär der Weg viel bequemer und kürzer; er ist nun aber da, und man soll hinüber!«
- Mein Alter spürt auch wohl den Vorzug, den mit der Graf vor ihm gibt, und das ärgert ihn, und er ergreift jede Gelegenheit, Übels gegen mich vom Grafen zu reden, ich halte, wie natürlich, Widerpart, und dadurch wird die Sache nur schlimmer. Gestern gar brachte er mich auf, denn ich war mit gemeint: zu so Weltgeschäften sei der Graf ganz gut, er habe viele Leichtigkeit zu arbeiten und führe eine gute Feder, doch an gründlicher Gelehrsamkeit mangle es ihm wie allen Belletristen. Dazu machte er eine Miene, als ob er sagen wollte: »fühlst du den Stich?« aber es tat bei mir nicht die Wirkung; ich verachtete den Menschen, der so denken und sich so betragen konnte. Ich hielt ihm stand und focht mit ziemlicher Heftigkeit. Ich sagte, der Graf sei ein Mann, vor dem man Achtung haben müsse, wegen seines Charakters sowohl als wegen seiner Kenntnisse«. Ich habe«, sagt' ich, »niemand gekannt, dem es so geglückt wäre, seinen Geist zu erweitern, ihn über unzählige Gegenstände zu verbreiten und doch diese Tätigkeit fürs gemeine Leben zu behalten«. – das waren dem Gehirne spanische Dörfer, und ich empfahl mich, um nicht über ein weiteres Deraisonnement noch mehr Galle zu schlucken.
- Und daran seid ihr alle schuld, die ihr mich in das Joch geschwatzt und mir so viel von Aktivität vorgesungen habt. Aktivität! Wenn nicht der mehr tut, der Kartoffeln legt und in die Stadt reitet, sein Korn zu verkaufen, als ich, so will ich zehn Jahre noch mich auf der Galeere abarbeiten, auf der ich nun angeschmiedet bin."
- Quelle: Projekt Gutenberg
- Was bedeutet "Joch", was ist eine "Galeere"?
- Welchen Galeerendienst leistet Werther seiner Meinung nach?
- Könnte man die Perspektive nicht auch umkehren: Was der Gesandte von seinem Sekretär hält?
- Verfasse einen Brief des Gesandten an den Grafen. Überlege, wodurch er veranlasst sein könnte?
Aus dem Drama "Faust. Der Tragödie erster Teil": Einige „Bürger“ auf Osterspaziergang in der Szene "Vor dem Tor":
Andrer Bürger:
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.
Dritter Bürger:
Herr Nachbar, ja! so laß ich's auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib's beim alten.
V. 860-72
- Charakterisiere die Spaziergänger und Tätigkeit des Spazierengehens?
- Worüber könnten die Bürger sich sonst noch unterhalten?
- Verfasse einen solchen (ungereimten) Dialog.
Die ROMANTIKER und die Spießer: 19. Jh
Für viele Autoren der Romantik ist der Spießer der anti-künstlerische Typ schlechthin, der fantasielose Alltagsmensch. Er heißt aber nicht Spießer, sondern Philister.
Clemens Brentano
Bei den Romantikern wird die Kritik des bürgerlichen Kleingeistes, des Normalbürgers, der im Alltagsleben aufgeht, zur Säule der Selbstdefinition als frei denkende Intellektuelle. Dabei schaut nicht der Wohlhabende mit aristokratischem Naserümpfen auf den in seiner Kleinwelt verfangenen Kleinbürger herab (siehe: Spießbürger), sondern eher der sich in sozial prekären Lebensverhältnissen befindende Künstler auf den erfolgreicheren und wohlsituierten Bürger.
- „Phillister leben nur ein Alltagsleben.“
Diskutiert:
- Was stört Clemens Brentano eigentlich an diesem Typus?
- Ist er vielleicht auch ein wenig neidisch?
Joseph Freiherr von Eichendorff
Der Isegrimm
Aktenstöße nachts verschlingen,
Schwatzen nach der Welt Gebrauch
Und das große Tretrad schwingen
Wie ein Ochs, das kann ich auch.
Aber glauben, daß der Plunder
Eben nicht der Plunder wär,
Sondern ein hochwichtig Wunder,
Das gelang mir nimmermehr.
Aber Andre überwitzen,
Daß ich mit dem Federkiel
Könnt’ den morschen Weltbau stützen,
Schien mir immer Narrenspiel.
Und so, weil ich in dem Drehen
Dasteh’ oft wie ein Pasquill,
Läßt die Welt mich eben stehen –
Mag sie’s halten, wie sie will!
1837
(Quelle: Wikisource: Der Isegrimm)
Arbeitsauftrag:
- 1. Klärt zunächst die Wörter: Isegrimm, Tretrad, überwitzen, Federkiel, Pasquill (Wörterbuch)
- 2. Recherchiert dann im Internet
- welche Tätigkeit, welchen Beruf J.v.Eichendorff in diesen Jahren ausübte?
- aus welchem sozialen Stand J.v.Eichendorff kommt
- 3. Formuliert die Aussage des Gedichtes in eigenen Worten (Schreiben)
Aus dem Leben eines Taugenichts (1826)
- Der Taugenichts verlässt die väterliche Mühle und wird durch einen glücklichen Zufall Gärtnerbursche (Erstes Kapitel):
Der Taugenichts wird Zolleinnehmer (2. Kapitel)
Arbeitsauftrag:
- Unterstreicht diejenigen Stellen, die auf einen geschäftigen Lebensstil hinweisen
- Unterstreicht dann mit einer anderen Farbe, was für den Taugenichts das gute Leben ausmacht.
- Vergleicht eure Unterstreichungen und beurteilt die Handlungsweise des Taugenichts aus eurer Sicht.
Heinrich Heine
Die Harzreise
- „Im Allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingetheilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh... Die Zahl der göttinger Philister muß sehr groß seyn, wie Sand, oder besser gesagt, wie Koth am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.“
- Aus: Reisebilder. Erster Teil: Die Harzreise (1826), zit. nach: DHA, Bd. 6, S. 84.
Buch der Lieder
XXXVII
Philister in Sonntagsröcklein
Spazieren durch Wald und Flur;
Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein,
Begrüßen die schöne Natur.
Betrachten mit blinzelnden Augen,
Wie alles romantisch blüht;
Mit langen Ohren saugen
Sie ein der Spatzen Lied.
Ich aber verhänge die Fenster
Des Zimmers mit schwarzem Tuch;
Es machen mir meine Gespenster
Sogar einen Tagesbesuch.
Die alte Liebe erscheinet,
Sie stieg aus dem Totenreich,
Sie setzt sich zu mir und weinet,
Und macht das Herz mir weich.
aus: Buch der Lieder. Lyrisches Intermezzo (v. 1824)
Arthur Schopenhauer (1788 - 1860)
- "... ein Mensch ohne geistige Bedürfnisse (...) Kein Drang nach Erkenntnis und Einsicht, um ihrer selbst willen, belebt sein Dasein, auch keiner nach eigentlich asthetischen Genüssen ... Wirkliche Genusse sind für ihn allein die sinnlichen: durch diese hält er sich schadlos. Demnach sind Austern und Champagner der Höhepunkt seines Daseins, und sich alles, was zum leiblichen Wohlsein beiträgt, zu verschaffen, ist der Zweck seines Lebens ... Und doch reicht dies alles gegen die Langeweile nicht aus ... Daher ist dem Philister ein dumpfer, trockener Ernst ... charakteristisch. Nichts freut ihn, nichts erregt ihn, nichts gewinnt ihm Anteil ab ...
- Zweitens folgt, in Hinsicht auf andere, dass, da er keine geistige, sondern nur physische Bedürfnisse hat, er den suchen wird, der diese ... zu befriedigen imstande ist. (Geistige Anforderungen werden) wenn sie ihm aufstoßen, seinen Widerwillen, ja, seinen Hass erregen; weil er dabei nur ein lästiges Gefühl von Inferiorität und dazu einen dumpfen, heimlichen Neid verspürt ..."
- Arthur Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit, Kap. II: Von dem, was einer ist. Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1974, S.43 ff oder Projekt Gutenberg
Der Kleinbürger im 20. Jh
KLEINBÜRGERTUM,
- "in der vor- und frühindustriellen Gesellschaft derjenige Teil der Stadt-Bevölkerung, der gegenüber dem Großbürgertum nur über geringen Besitz und Bildungsstand und dementsprechend wenig soziale Aufstiegschanchen und politischen Einfluss verfügte ... Heute ist Kleinbürger eine meist abwertende Bezeichnung für Menschen, die einen mit Kleinbesitz und „Halbbildung“ verbundenen Lebensstil pflegen, ein auf Wahrung privater Besitzinteressen gerichtetes konservatives Bewusstsein entwickeln, soziale Reformen in ihrer Gesellschaft fürchten und daher zu Vorurteilen und Denken in Stereotypen neigen."
- (Brockhaus Mannheim 1990 Bd.12 S.67)
Ödön von Horvath
Eine Aufwertung des Spießers erfolgt bei Ö.v.Horvath und seinem ‚neuen‘ Volksstück: Kleinbürger sind doch (fast) alle.
Ö.v.Horvath : Gebrauchsanweisung (1932)
- "Nun besteht aber Deutschland wie alle übrigen europäischen Staaten zu neunzig Prozent aus vollendeten oder verhinderten Kleinbürgern (...) Will ich also das Volk schildern, darf ich natürlich nicht nur die zehn Prozent schildern, sondern als treuer Chronist meiner Zeit, die große Masse. Das ganze Deutschland muß es sein!
- Es hat sich nun durch das Kleinbürgertum eine Zersetzung der eigentlichen Dialekte gebildet, nämlich durch den Bildungsjargon. Um einen heutigen Menschen realistisch schildern zu können, muß ich also den Bildungsjargon sprechen lassen. Der Bildungsjargon (und seine Ursachen) fordert aber natürlich zur Kritik heraus -- und so entsteht der Dialog des neuen Volksstücks, und damit der Mensch und damit erst die dramatische Handlung -- eine Synthese aus Ernst und Ironie. Mit vollem Bewußtsein zerstöre ich nun das alte Volksstück, formal und ethisch -- und versuche die neue Form des Volksstücks zu finden. Dabei lehne ich mich mehr an die Tradition der Volkssänger und Volkskomiker an, denn an die Autoren der klassischen Volksstücke. Und nun kommen wir bereits zu dem Kapitel Regie. (...)
- Dialekt. Es darf kein Wort Dialekt gesprochen werden! Jedes Wort muß hochdeutsch gesprochen werden, allerdings so, wie jemand, der sonst nur Dialekt spricht und sich nun zwingt, hochdeutsch zu reden (...)“
- (Ö.v.H.: Sportmärchen, andere Prosa und Verse. Gesammelte Werke 11, hrsg. von Traugott Krischke, suhrkamp Verlag Frankfurt 1988, S. 219/20)
Der Lehrer als Kleinbürger
- Unterstreiche alles, was dir "kleinbürgerlich" erscheint.
- Begründe deine Unterstreichungen.
- Wie beurteilst Du die Person des Lehrers?
- Möchtest Du den Roman weiterlesen?
Der ewige Spießer
Ö.v.Horvaths Roman Der ewige Spießer (1930) gibt es bei Radio Bayern 2 als Hörspiel zum Hören und zum Herunterladen.
Ö.v.Horvath im Prolog zum Roman:
- "Der Spießer ist bekanntlich ein hypochondrischer Egoist, und so trachtet er danach, sich überall feige anzupassen und jede neue Formulierung der Idee zu verfälschen, indem er sie sich aneignet.
- Wenn ich mich nicht irre, hat es sich allmählich herumgesprochen, dass wir ausgerechnet zwischen zwei Zeitaltern leben. Auch der alte Typ des Spießers ist es nicht mehr wert, lächerlich gemacht zu werden; wer ihn heute noch verhöhnt, ist bestenfalls ein Spießer der Zukunft. Ich sage "Zukunft", denn der neue Typ des Spießers ist erst im Werden, er hat sich noch nicht herauskristallisiert.
- Es soll nun versucht werden, in Form eines Romans einige Beiträge zur Biologie dieses werdenden Spießers zu liefern. Der Verfasser wagt natürlich nicht zu hoffen, daß er durch diese Seiten ein gesetzmäßiges Weltgeschehen beeinflussen könnte, jedoch immerhin." (Ö.v.H. Der ewige Spießer. Erbaulicher Roman in drei Teilen. Suhrkamp Frankfurt 1980 S. 7)
Leseempfehlung als Beispiel böser bzw. boshafter Satire: Die Beschreibung eines spanischen Stierkampfs im Kapitel 23.
H.M.Enzensberger: Wir Kleinbürger
"Von der Unaufhaltsamkeit des Kleinbürgertums" heißt ein Beitrag Hans Magnus Enzensbergers zum "Kursbuch 45", das 1976 erschien und insgesamt das Thema "Wir Kleinbürger" behandelt. Enzensberger beschreibt im Tonfall ironischer Bewunderung das Kleinbürgertum, "wozu ich mich zähle"<metakeywords>ZUM2Edutags,ZUM-Wiki,ZUM.de,OER,</metakeywords> als "die experimentelle Klasse par excellence"" wider alle Vorhersagen, namentlich die marxistischen, voller "Überlebenskraft", zwar ohne reale Macht, aber kulturell und zivilisatorisch ein Welterfolg.
Auszüge daraus wurden im SPIEGEL 38/1976 veröffentlicht unter dem Titel: "Was ist so verführerisch am Freizeithemd?"
- Was ist die These in diesem Text?
- Füge der Konsumartikelliste weitere, aktuellere Gegenstände hinzu, die Enzensbergers These stützen könnten.
- Was ist dann nicht-kleinbürgerlich? Gibt es auch den Großbürger?
- Könnte hier der Begriff Bildungsbürgertum weiterhelfen?
Die Spießer im 21. Jh
- Zurück zu den Denkanstößen!
Weitere Materialien
Links
- Vorlage:ZUM.de Natur & Lyrik: Wandern, Lustwandeln und Spazierengehen
- Vorlage:ZUM.de J.v.Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts (1826)
- Vorlage:ZUM.de Ödön von Horvath: Jugend ohne Gott
- Vorlage:ZUM.de E.T.A Hoffmann: Künstler und Philister im „Goldenen Topf"
Siehe auch
- Genie
- Sturm und Drang
- Romantik<metakeywords>ZUM2Edutags,ZUM-Wiki,ZUM.de,OER,Spießerkritik und Literatur,Spießerkritik,Literatur</metakeywords>