Erdbeben von Lissabon
Das Erdbeben von Lissabon 1755 war Anlass für zahlreiche Publikationen auch heute noch bekannter Autoren wie Immanuel Kant, Goethe und Kleist sowie einer bedeutenden Theodizee-Diskussion.
Immanuel Kant
Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens, welches an dem Ende des 1755sten Jahres einen großen Theil der Erde erschüttert hat von Immanuel Kant. In: Gesammelte Schriften. Akademie-Ausgabe. Abt.1. Bd.1. Berlin 1910 S.434 ff
J. W. Goethe
Johann Wolfgang Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. (Zitiert nach Hamburger Ausgabe Bd. IX S.30f)
- Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde jedoch die Gemütsruhe des Knaben zum erstenmal im tiefsten erschüttert. Am ersten November 1755 ereignete sich das Erdbeben von Lissabon, und verbreitete über die in Frieden und Ruhe schon eingewohnte Welt einen ungeheuren Schrecken. Eine große prächtige Residenz, zugleich Handels- und Hafenstadt, wird ungewarnt von dem furchtbarsten Unglück betroffen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schiffe schlagen zusammen, die Häuser stürzen ein, Kirchen und Türme darüber her, der königliche Palast zum Teil wird vom Meere verschlungen, die geborstene Erde scheint Flammen zu speien: denn überall meldet sich Rauch und Brand in den Ruinen. Sechzigtausend Menschen, einen Augenblick zuvor noch ruhig und behaglich, gehen mit einander zugrunde, und der Glücklichste darunter ist der zu nennen, dem keine Empfindung, keine Besinnung über das Unglück mehr gestattet ist. Die Flammen wüten fort, und mit ihnen wütet eine Schar sonst verborgner, oder durch dieses Ereignis in Freiheit gesetzter Verbrecher. Die unglücklichen Übriggebliebenen sind dem Raube, dem Morde, allen Mißhandlungen bloßgestellt; und so behauptet von allen Seiten die Natur ihre schrankenlose Willkür.
- Schneller als die Nachrichten hatten schon Andeutungen von diesem Vorfall sich durch große Landstrecken verbreitet; an vielen Orten waren schwächere Erschütterungen zu verspüren, an manchen Quellen, besonders den heilsamen, ein ungewöhnliches Innehalten zu bemerken gewesen: um desto größer war die Wirkung der Nachrichten selbst, welche erst im allgemeinen, dann aber mit schrecklichen Einzelheiten sich rasch verbreiteten. Hierauf ließen es die Gottesfürchtigen nicht an Betrachtungen, die Philosophen nicht an Trostgründen, an Strafpredigten die Geistlichkeit nicht fehlen. So vieles zusammen richtete die Aufmerksamkeit der Welt eine Zeitlang auf diesen Punkt, und die durch fremdes Unglück aufgeregten Gemüter wurden durch Sorgen für sich selbst und die Ihrigen um so mehr geängstigt, als über die weitverbreitete Wirkung dieser Explosion von allen Orten und Enden immer mehrere und umständlichere Nachrichten einliefen. Ja vielleicht hat der Dämon des Schreckens zu keiner Zeit so schnell und so mächtig seine Schauer über die Erde verbreitet.
- Der Knabe, der alles dieses wiederholt vernehmen mußte, war nicht wenig betroffen. Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubensartikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen. Vergebens suchte das junge Gemüt sich gegen diese Eindrücke herzustellen, welches überhaupt um so weniger möglich war, als die Weisen und Schriftgelehrten selbst sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht vereinigen konnten.
Heinrich v. Kleist
Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili (1807/1810)
Die Erzählung erschien 1807 in Cottas »Morgenblatt für gebildete Stände« unter dem Titel "Jeronimo und Josephe. Eine Szene aus dem Erdbeben in Chili". Am 13. Mai 1647 zerstörte ein Erdbeben in Chile die Hauptstadt Santiago. Vermutlich wurde Kleist auch durch Kants Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens von 1755 angeregt.
Theodizee-Diskussion
Aktuelle Berichte
- Der "Spiegel" erinnert in einem aktuellen Bericht an das historische Ereignis:
- The Lisbon Earthquake (1755) by Jürgen Wilke, displayed in English Published: 2017-12-19.
- EGO | European History Online, published by the Leibniz Institute of European History (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte – IEG) in Mainz.