Confessiones (Augustinus)

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Die Confessiones (Bekenntnisse) sind autobiographische Betrachtungen des christlichen Kirchenlehrers Augustinus. Sie entstanden in den Jahren von 397 bis 401 n. Chr.; Augustinus war damals Bischof von Hippo Regius

Sehnsucht nach Liebe

Gefallen bin ich, und ich lag so tief,
Von falscher Liebe sündenvoll umfangen,
Und konnte nie der Liebe Ruh erlangen,
Ob mich der Weisheit ernster Drang ergrif.

Denn eine falsche war es, die mich rief,
Sie kam in ihrer Truggestalten Prangen,
Ich bin ihr stolz und brünstig angehangen,
Ich träumte lange, ohne daß ich schlief.

In Wollust und im Pfuhl der Ketzerlehren
Floß meine ganze, heiße Jugend hin –
Spät, als ein Mann erst, mocht ich wiederkehren.
Warum so lang in eitlen Sündenmüh'n?
Ich hab' ein Herz, und konnte dich entbehren!
O Wunderhuld, daß ich dein eigen bin!

I. [43] Ich kam nach Karthago, und mich umrauschte überall das Gewirre lasterhafter Liebeshändel. Noch liebte ich nicht und begehrte zu lieben, und in tief verhüllter Bedürftigkeit zürnte ich mir, daß ich mich nicht liebebedürftiger fühlte. Der Liebe hold sucht ich den Gegenstand meiner Liebe, aber ich haßte den Seelenfrieden und den von Fallstricken freien Weg.

Augustinus: Confessiones (Bekenntnisse), 3. Buch, S.41-43

Theaterleidenschaft oder Mitgefühl?

[44] Auch die Spiele des Theaters rißen mich hin, weil sie voll waren von den Bildern meines Elends und von dem Zunder zu meinen sündigen Flammen. Was ist es, daß dort der Mensch im Anblick des trauervoll Tragischen Schmerzen sucht, die er selbst nicht erdulden möchte? Und doch will der Zuschauer sich davon schmerzen lassen, und ist dieser Schmerz selbst seine Lust. Der kläglichen Thorheit! Nur um so mehr wird Jemand davon gerührt, je weniger er von der Leidenschaft für sie frei ist, mag er sie gleich nur Leiden nennen, wenn er sie selbst erduldet, und Mitleiden, wenn er sie duldet mit Andern. Aber was kann das für ein Mitleiden sein, das nur bei erdichteten Schauspielen empfunden wird? Da wird der Hörer nicht zu Hilfe gerufen, nur zum Schmerz geladen, da ist er dem Schauspieler um so günstiger, je mehr den ihn schmerzt. Und wenn jene ehemaligen, oder ganz erdichteten Menschenleiden bei ihrer Darstellung nicht des Zuschauers Schmerz erregen, so geht er gelangweilt und tadelnd von dannen; erregen sie seinen Schmerz, dann nimmt er aufmerksam Antheil und freut sich in Thränen. Also werden auch die Schmerzen geliebt, während Jedermann doch Freude sucht? Und wenn auch das Leiden Keinem gefällt, so gefällt doch das Mitleid, und weil dieß nicht ohne Schmerzen ist, so werden vielleicht nur die Schmerzen des Mitleids geliebt. Doch der Schmerz durchrinnt auch die Zuneigung. Warum verrinnt ihre Quelle in einen glühenden Pechstrom, der die Gräuel häßlicher Begierden heraufbrodelt, in die sich von Willkür die Liebe wandelt und sich wegreißt von ihrer himmlischer Heiterkeit. – Sollen wir das Mitleid verwerfen? Mit nichten, und so können zuweilen die Schmerzen geliebt werden. – Aber hüte dich vor der Unreinigkeit, meine[45] Seele, hüte dich unter dem Schirm meines Gottes, des Gottes unserer Väter, des Preiswürdigen, in allen Ewigkeiten Erhabenen. – Auch jetzt noch fühl' ich Mitleid; aber damals freute ich im Schauspielhaus mit den Verliebten mich, daß sie des Lasters Freuden an einander fanden, ob sie's auch nur nachahmend spielten; mitleidsvoll wurde ich mitbetrübt, wenn sie ein ander verloren; und doch ergötzte mich Beides. Nun aber bedaure ich den mehr, der sich im Laster freut, als den, der Schweres leidet, sei sein Leiden die Folge schändlicher Lust oder der Verlust seines beklagenswerthen Glücks. Dies ist gewis das ächtere Mitleid fühlt, aber in ihm findet der Schmerz keine Ergötzung. Denn wenn auch Menschenliebe des Mitleidigen Schmerzen billigt, so wünschte doch Jeder, der brüderliches Mitleid fühlt, viel lieber, es möchte dieser Schmerz gar nicht vorhanden sein.
Augustinus: Bekenntnisse 3. Buch, S.44-45

Ambrosius von Mailand

Ambrosius von Mailand hatte noch nicht Theologie studiert, ja, er war noch nicht einmal getauft, als er 374 zum Bischof von Mailand gewählt wurde. Als Politiker traute man ihm zu, dass er zwischen Trinitarien und Arianern vermitteln könnte. Er nahm aber bald eine trinitarische Position ein. Er erlangte bald eine so starke Stellung, dass er zwei Kaiser, Gratian und Theodosius I. in kirchlichen Fragen zum Einlenken und sogar zum Nachgeben bringen konnte.

So kam ich nach Mailand zu dem Bischof Ambrosius, welcher der Erde als einer der Besten bekannt war, zu deinem frommen Verehrer, dessen Predigten damals eifrig das Beste deines Waizens, dein erfreuendes Oel und die nüchterne Trunkenheit deines Weines dem Volke boten. Zu ihm aber wurde ich, ohne daß ich es wußte, von dir geführt, damit ich von ihm, wohl darum wißend, zu dir geführt würde. Väterlich nahm mich dieser Gottesmann auf und freute sich mit Hirtenliebe meiner Uebersiedlung nach Mailand; und ich lernte ihn lieben, anfänglich zwar nicht als einen Lehrer der Wahrheit, weil ich verzweifelte, das Heil in der Kirche zu finden, sondern nur als einen gegen mich gütigen Mann. Eifrig hörte ich seine öffentlichen Vorträge, wohl nicht in der Absicht, die ich schuldig war, sondern nur, um zu prüfen, ob seine Beredtsamkeit ihren Ruf erreiche, ob sie herrlicher oder dürftiger ströme, als man von ihr pries. Von seinen Worten wurde meine Aufmerksamkeit gefeßelt, um die Gegenstände aber, die sie vortrugen, kümmerte ich mich nicht, und war als Verächter gegenwärtig. Mich ergötzte die Annehmlichkeit seines Vortrags, der gründlicher, aber weniger erheiternd und einschmeichelnd war, als der des Faustus, so weit er die Worte an sich betraf, denn die Gegenstände selbst litten keine Vergleichung; jener irrte ja durch die manichäische Trugfelder, dieser aber lehrte auf die heilsamste Weise das Heil. Doch das ist fern von den Sündern, deren einer ich damals mich einfand, und dennoch naht' ich ihm allmählich und unvermerkt. Denn ob es mir auch nicht darum zu thun war, zu lernen, was er sprach, sondern nur zu hören, wie er sprach, so kamen doch in mein Gemüth mit den Worten die ich liebte, zugleich auch die Dinge selbst; die ich geringschätze; ich konnte sie nicht davon losreißen, obgleich noch voll eitlen Kummers daran verzweifeln, daß dem Menschen irgend ein Pfad zu dir sich aufthue. Während ich nun das Herz aufschloß, um zu erfaßen, was er so beredt sprach, gieng zugleich das auch ein, was er so wahr gesprochen hatte, aber nur allmählich. Zuerst kam mir vor, es sei möglich, auch diese Dinge zu vertheidigen und es sei nicht zwecklos, den kirchlichen Glauben zu behaupten, der mir bisher unhaltbar gegen die Angriffe der Manichäer geschienen. Mit Eifer hörte ich dieses und jenes erklären, nicht selten wurde mir ein Räthsel in den Schriften des alten Bundes gelöst, während ich es buchstäblich nehmend, den Geist verlor. Die meisten Stellen der Schrift wurden mir ausgelegt und schon tadelte ich meine Rathlosigkeit, in der ich meinte, Gesetz und Propheten vermöchten sich gegen die Verwünschungen und Spötereien nicht zu halten, welche die Manichäer gegen sie ausstößen. Doch war ich da durch noch nicht der Ansicht, der kirchliche Glaubensweg müße schon darum betreten werden, weil er gelehrte Vertheidiger habe, die beredt und verständig die Einwürfe zurückweisen, und ich meinte, das, zu dem ich mich bekannte, müße deßwegen noch nicht verdammt werden, weil einige Theile seiner Vertheidigung zu Nichte gemacht wurden. So schien mir der Kirchenglaube nicht mehr überwunden, aber er konnte mir noch nicht als Sieger auftreten: Nun aber strengte ich mich nach bestimmten Beweisen an, mit welchen ich die Manichäer der Falschheit überweisen könnte, und hätte ich ein geistiges Wesen zu [112] denken vermocht, so wären alle diese Trugwerke entschleiert und aus meiner Seele geworfen worden; doch ich vermochte es nicht. Nun urtheilte ich nach sorgfältiger Erwägung, die meisten Philosophen haben über die Körperwelt und über jedes Wesen, das sich der sinnlichen Betrachtung darbeut, richtiger gedacht. Nach der Weise, die man den Akademikern zuschrieb, zweifelte ich an Allem und wurde zwischen Allem unentschieden umhergeworfen, doch entschloß ich mich endlich, die Manichäer zu verlassen, denn ich mochte in meiner Zweifelzeit nicht mehr in einer Sekte bleiben, der ich bereits einige Philosophen vorzog. Aber ich wollte auch diesen meiner Seele Heilung nicht anvertrauen, weil sie ohne den heilsamen Namen Christi waren. Und so beschloß ich, so lange in der mir von den Eltern empfohlenen Kirche als Katechumen zu bleiben, bis ein helleres Licht meine Schritte lenke.

Augustinus: Bekenntnisse 5. Buch, S.110-112

Der Freund Alypius

Als er einst in Karthago, noch las mein Zuhörer, eines Mittags im Forum, nach der Weise der Studierenden, auf eine Rede sich vorbereitete, ließest du zu, daß ihn die Diener des Forums ergriffen, als wäre er ein Dieb. Auch das hast du, mein Gott, nur zugelassen, damit er, der später so wichtige Mann, frühzeitig lerne, daß beim Urtheilfällen kein Mensch so leicht von seinem Mitmenschen [130] in unbesonnener Leichtgläubigkeit verdammt werden dürfe. Einsam nämlich gieng er mit Griffel und Schreibtafel vor der Gerichtsbühne auf und nieder, während ein anderer Jüngling aus der Zahl der Studierenden, der wahre Dieb, mit einem verbogenen Beil, ohne daß mein Freund davon etwas wußte, sich an das bleierne Geländer machte, welches über dem Platze der Geldwechsler angebracht war, und das Blei dort abblieb. Die Wechsler, durch den Klang des Beiles aufmerksam gemacht, besprachen sich drunten an ihrem Ort und sandten Häscher aus, die ergreifen sollten, wen sie fänden. Jener aber bloß, da er seine Stimme hörte, und ließ, aus Furcht, damit ergriffen zu werden, das Beil zurück Alypius, welcher ihn nicht hatte eintreten sehen, aber bemerkte, wie er sich schnell davon machte, wollte die Ursache wißen, betrat den Ort und blieb verwundert stehen, während er das gefundene Beil betrachtete. Die Häscher finden nur ihn, mit dem Beil in der Hand, dessen Klang sie herbeigezogen. Sie nehmen ihn fest, führen ihn fort, unter dem Zusammenlauf des Forums, und rühmen sich, den Dieb auf der That ertappt zu haben. Und so wurde er dem Richter zugeführt. Aber nur bis dahin sollte er belehrt werden, denn plötzlich kamst du, Herr, seiner Unschuld zu Hilfe, deren Zeuge du allein warst. Als man ihn hinführte, entweder zum Gefängniß, oder zum Tode, begegnete ihnen ein Baumeister, der die Aussicht über die öffentlichen Gebäude führte. Die Häscher freuten sich, eben ihm zu begegnen, der sie im Verdacht hatte, als pflegten sie das vom Forum abhanden Kommende zu entwenden; sie freuten sich, daß er nun endlich erkennen möchte, wer der Thäter sei. Aber er hatte den Alypius oft im Haufe eines Senators gesehen, dem er aufzuwarten pflegte; sobald er ihn daher erkannte, entriß er ihn eigenhändig der Schaar, erfuhr von ihm, was geschehen war, und befahl dem lärmenden, [131] drohenden Haufen ihm zu folgen. Und sie kamen vor des Jünglings Wohnung, der die That verübt hatte. Dort war ein Knabe vor der Thüre, zu klein noch, als daß er für seinen Herrn – denn er war in des Jünglings Diensten – etwas zu fürchten vermocht hätte, so daß er Alles leicht angeben konnte. Alypius erkannte ihn und vertraute seinen Verdacht dem Baumeister; dieser zeigte dem Knaben das Beil und fragte ihn, wem es gehöre. Sogleich antwortete er: es gehört uns zu, und weiter ausgefragt, eröffnete er Alles. So kam der Proceß über jenes Haus und wurde der Haufen beschämt, der schon über Alypius triumphirt hatte. Er aber, der künftige Verwalter deines Wortes, der Schiedsmann so vieler Angelegenheiten deiner Kirche, gieng erfahrener und belehrter von dannen.

Ihn also traf ich in Rom. Mit der innigsten Freundschaft hieng er an mir und wanderte mit mir nach Mailand, sowohl um bei mir zu sein, als um die Rechtswissenschaft auszuüben, die er mehr nach dem Willen seiner Eltern, als nach seinem eigenen erlernt hatte. Vorher hatte er dreimal das Amt eines Beisitzers in den Gerichten mit der edelhaften Uneigennützigkeit bekleidet, über die sich seine Kollegen wunderten, während er selbst sich noch viel mehr über sie verwunderte, daß sie das Gold der Unbestechlichkeit vorzogen. Dort wurde seine Jugend nicht nur durch lockenden Gewinn, sie wurde auch durch Anfechtung zur Furcht versucht. In Rom nemlich bekleidete er einst die Stelle eines Beisitzers im Schatzmeisteramte für Italien. Und damals war dort ein sehr angesehener Senator, dem Viele durch empfangene Wohlthaten verpflichtet, aber aus Furcht dienstwillig waren. Der machte einst, nach seiner gewaltthätigen Weise, ein gesetzwidriges Ansinnen, dem Alypius entgegen war,[132] dargebotene Belohnung verlachend und angewandte Drohung verachtend, so daß Jedermann den ungewöhnlichen Muth bewunderte, mit dem er solch einen Mann weder zum Freunde wollte, noch als Feind fürchtete. Der Richter aber, dessen Rath Alypius war, verweigerte das Ansinnen nicht offen, ob er es gleich nicht gewähren wollte, sondern schob alle Schuld auf Alypius, der nicht einwilligen, und wenn der Richter selbst einwillige, gegen ihn stimmen würde. In dieser Stellung wurde er einmal bei einer literarischen Arbeit fast versucht sich um prätorianische Gerichtsgelder zu lassen, aber sein Rechtssinn brachte ihn auf beßeren Entschluß und er hielt die Billigkeit, die ihn abhielt für nutzbringender, als seine Gewalt, die ihm Jenes erlaubte. Das ist eine Kleinigkeit, aber wer im Kleinen treu ist, der ist auch im Großen treu. Und kein leeres Wort sprach der Mund deiner Wahrheit: wenn ihr im ungerechten Mammon nicht treu seid, wer wird euch das Wahrhaftige anvertrauen? Und wenn ihr im Fremden nicht treu seid, wer wird euch geben was euer ist? (Lut. 16, 10-12.) Ein Mann solcher Besinnungen hieng er an mir und berieth sich mit mir über die Wahl unserer Lebensweise.
Augustinus: Bekenntnisse

6. Buch, S.129-132

Mann: Philosophie, Wollust, Neugier; Frau: Liebe?

Mit Schmerz bedachte ich die lange Zeit, welche nun von meinem neunzehnten Lebensjahre an verstrichen war, seit welchem ich in brennendem Eifer die Weisheit mit dem Vorhaben gesucht, wenn ich sie gefunden hätte, alle meine verwerfliche Begierden und lügnerische Albernheiten aufzugeben; denn siehe, ich lebte im dreißigsten Jahre und klebte noch an diesem Unrath, voll Gier nach dem flüchtigen, zerstreuenden Genuß der Gegenwart. Und das waren in der langen Zeit meine Gedanken: »Morgen werde ich es finden, es wird sich mir darbieten und fest werde ichs halten; siehe, Faustus wird kommen und wird mir Alles erklären. [...]

Ich liebte das selige Leben, und fürchtete, es in seiner Wohnung zu finden, ich floh vor ihm, da ich es suchte. Denn ich wähnte, ich würde gar zu elend werden, wenn ich des Weibes Umarmungen entbehren müßte, und dachte nicht an das Heilmittel deiner Erbarmung, das mich von diesem Uebel erlösen konnte, denn ich hatte es nie noch versucht. Ich hielt die Enthaltsamkeit für Sache der eigenen Kraft, von der ich wußte, daß sie mir fehlte, da ich in Thorheit nicht wußte, was geschrieben steht: »ich kann nicht anders züchtig sein, es gebe mirs denn Gott.« (Weish. 8, 21.) Wahrlich, mir hättest du es gegeben, wäre ich mit Seufzen zu dir gekommen und hätte mit festem Glauben mein Anliegen auf dich geworfen. [...] Wohl suchte mich Alypius von der Heimführung einer Gattin abzuhalten und mich zu überzeugen, wenn ich das ausgeführt hätte, könnten wir nicht ungestört der Liebe zur Weisheit leben, der wir schon so lange verlangten. Er selbst lebte rein, während er sich in der ersten Jugend befleckt, aber dem Laster nicht hingegeben hatte, und es in schmerzendem Gedächtnis seines Falls um so mehr verachtete und um so enthaltsamer lebte. Ich hielt ihm das Beispiel derer entgegen, welche sich auch in der Weisheit befleißigt, Gott erworben und ihre Freunde treu und werth gehalten hätten; und [136] doch war ich weit entfernt von dem Seelenadel solcher Männer, war gebunden von der krankhaften Sinnenlust nach tödlichem Genuße und schleppte mich an meiner Kette. Ich fürchtete, von ihr gelöst zu werden, und da mir schon die Wunde geschlagen war, verschmähte ich die Worte des freundlich Rathenden, die doch einer heilenden Hand glichen. Ja, durch mich sprach die Schlange selbst zu Alypius und umstrickte mit meinen lockenden Worten seinen bisher reinen Pfad. Er selbst wurde mehr aus Neugier, als aus sinnlichen Frieden heirathslustig, da ich, den er so hoch achtete, ihm betheuerte, gar nicht ohne ehelichen Umgang leben zu können und als ich ihn versicherte, der Ehe Freuden seien etwas ganz Anderes, als jene von ihm genoßene, vorübergehende Lust. So wurde er nach dem begierig, ohne dessen Genuß ich mein Leben, das ihm so wohlgefiel, kein Leben, sondern eine Strafe nannte. Seine noch freie Seele wunderte sich über meine Sklaverei, im Verwundern schritt sie zur Neugier und war nahe am Fall und an der Verlobung mit dem Tode. Denn wer die Gefahr liebt, den stürzt sie. Keinen von uns veranlaßte ja das Würdige des Ehestandes, häusliches Walten, Kindes- und Elternliebe, kaum nebenbei dachten wir des; mich trieb gewöhnte Gier, ihn ihre neugierige Verwunderung. So waren wir, bis du Höchster, der du unser niedriges Leben nicht verließest, dich der elenden erbarmtest und wunderbar und verborgen halfest.

Ohne Rast wurde nun darauf hingewirkt, daß ich eine Gattin heimführen möge. Schon freite ich und erhielt das Jawort, wobei sich meine Mutter die größte Mühe gab; denn sie hoffte, nach meiner Verehelichung sollte mich die heilsame Taufe reinigen, für die sie mich mit Freuden täglich tauglicher werden [137] sah. [...] Doch blieben wir bei unserer Wahl, die auf eine Jungfrau gefallen war, wegen deren Jugend wir mit der Vollziehung der Ehe noch zwei Jahre zu warten gedachten. [...]

Inzwischen mehrten meine Sünden sich. Und da Sie, ein Hinderniß gegen meine Vermählung, von meiner Seite gerißen wurde, mit welcher ich mein Lager zu theilen gewöhnt war, wurde mein ihr anhängliches Herz getroffen, verwundert und wollte in Schmerzen verbluten. Sie aber war nach Afrika zurückgekehrt und hatte dir gelobt, nie mehr von einem andern Manne zu wißen. Mir wurde von ihr ein natürlicher Sohn zurückgelassen. Ich Elender aber konnte nicht einmal eines Weibes Nachahmer werden, und den Aufschub nicht ertragen, durch welchen ich die Verlobte erst nach zwei Jahren heimführen sollte; denn ich war nicht ein Freund der Ehe, ein Knecht der Lust war ich; und so nahm ich eine Andere zu mir, ohne sie zum Weibe zu nehmen.
Augustinus: Bekenntnisse

6. Buch, S.133-138

Es gibt keine zwei Seelen in der Brust, sondern nur eine, die in sich unschlüssig ist. - Wider die Manichäer

Augustinus wehrt sich gegen die manichäische Vorstellung, dass in jedem Menschen stets das Böse und das Gute miteinander kämpfen und vertritt die Position, dass auch eine einzelne Seele unsicher darüber sein kann, wie sie sich entscheiden soll.

IX.

[190] Woher und warum diese Unnatürlichkeit? Laß leuchten dein Erbarmen, denn fragen will ich, ob die verborgenen Strafgerichte der Menschen und die dunklen Bedrängnisse der Söhne Adams mir Antwort geben können. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele gebeut dem Körper, und sogleich wird ihr gehorcht; die Seele befiehlt sich selbst und ihr wird widerstanden. Die Seele befiehlt, daß die Hand sich bewegen soll, und so leicht geschieht es, daß Befehl und Folge kaum sich unterscheiden laßen. Die Seele befiehlt, daß die Seele es wollen soll, und keine andere ist's und thut es doch nicht. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele befiehlt, daß sie es wolle, sie würde es nicht befehlen, wenn sie es nicht wollte, und doch geschieht nicht, was sie befiehlt. Aber sie will es nicht mit ganzer Kraft, daher befiehlt sie es nicht mit ihr, denn nur so weit befiehlt sie es, als sie es nicht will. Der Wille befiehlt, weil er es will und kein anderer; befiehlt er nicht mit ganzer Kraft, so hat er nicht, da er zu befehlen hätte; und befähle er mit ganzer Kraft, so brauchte er nicht zu befehlen, daß etwas geschehe, denn schon wäre es geschehen. So ist dies Schwanken zwischen Wollen und nicht Wollen nichts Unnatürliches, sondern eine Krankheit der Seele, weil sie, von der Gewohnheit belastet, sich nicht ganz an der Wahrheit Hand erheben kann. Und zweierlei Willen hat sie, weil der deine Wille nicht ihr ganzer Wille ist, und der eine nur das hat, was dem andern fehlt.

X. Vergehen müßen vor deinem Angesicht, o Gott, als die da Eitles reden und Herzen verführen, welche, da sie zwei [191] Willen in ihres Herzen Rath vernehmen, zwei geistige Naturen, eine gute und eine böse, und zweierlei Geist behaupten. Derselbe Mensch ist böse, so lange sein Trachten böse ist, und gut, wenn er nach deiner Wahrheit trachtet, wie dein Apostel sagt: »ihr waret einst Finsterniß, und seid nun Licht im Herrn geworden.« (Eph. 5, 8) – Wollen sie Licht werden in sich und nicht in Gott, da sie wähnen, die natürliche Seele sei das, was Gott ist, so werden sie nur dichtere Finsternis, weil sie in gräulichem Stolz nur weiter weg von dir wandten, von dir, dem wahren Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Merket auf eure Rede und erröthet über sie, erhebet euch zu ihm, und ihr werdet Licht und euer Antlitz wird nimmer erröthen. – Da ich mit mir zu Rathe gieng, ob ich nun dienen wollte dem Herrn meinem Gott, wie ich so lange schon mir vorgenommen, so war ich es, der da wollte, ich, der da nicht wollte, ich, ich war es. Nicht wollte ich völlig, noch wollte ich völlig nicht; so stritt ich mit mir selbst und wurde von mir selbst verwirrt; und ob ich selbst auch diese Verwirrung nicht wollte, so kann sie doch nicht aus einem fremden Gemüthe, sie war die Strafe des meinen. Und so habe nicht ich sie versucht, sondern die Sünde, die in mir wohnte; vom ersten Sündenfalle her, denen ich war Adams Sohn. Wenn so viele einander entgegengesetzte Naturen sind, als sich Willen widersprechen, so sind nicht nur zwei, sondern mehrere. Wenn einer Anstand nimmt, ob er in den Conventikel der Manichäer oder ins Theater gehen soll, so schreien die Manichäer: da siehst du die zwei Naturen! die eine ist gut und führt dahin, die andere ist böse und führt dorthin; denn woher jenes Zaudern der beiden einander widersprechenden Willensrichtungen? In meinen Augen sind die beide schlecht, sowohl diejenige, welche in den Conventikel, als diejenige, die ins Theater will. Aber das [192] glaube sie nicht, wenn man den Willen nicht gut nennt, der zu ihnen führt. Und wie nun, wenn Einer der Unsern unter dem Streit seiner beiden Willensrichtungen mit sich beräth, ob er ins Theater gehe oder in unsere Kirche, werden nicht auch diejenigen, die ihm rathen sollen, in Ungewißheit schwanken? Entweder werden sie bekennen, was sie nicht wollen, es werde mit vollem Willen in unsere Kirche gegangen, wie es diejenigen thun, welche von ihren Gnadengütern hingerißen sich an sie gebunden fühlen, oder sie werden glauben, in einem und demselben Menschen seien zwei böse Naturen und zwei böse Gemüther mit einander im Streit, und es wird nicht wahr sein, was sie zu behaupten pflegen, daß eine Natur gut, die andere böse sei; oder sie werden sich zur Wahrheit bekehren und anerkennen, wenn Jemand mit sich zu Rathe gehe, so sei es nur eine und dieselbe Seele, welche in verschiedenen Willensrichtungen sich umtreibe. So sollen sie also nicht behaupten, wenn sie zwei einander widersprechende Willen in sich spüren, zwei verschiedene Gemüther, ein gutes und ein böses, streiten miteinander, weil sie aus zwei entgegengesetzten Grundlagen kommen. Denn du, wahrhaftiger Gott, verwirrst die und überweisest sie gleichsam an ihre beiden bösen Willen. Jemand geht mit sich zu Rathe, ob er in Menschen mit Gift oder mit dem Schwerte morden soll; ob er in dieses oder in jenes Landgut einbreche, da er nicht in beide zugleich kann; ob er in verschwenderischen Lüsten lebe oder sein Geld habsüchtig zusammenhäufe; ob er auf die Rennbahn oder in's Schauspielhaus gehe, wenn beide an Einem Tage offen sind; ob er noch zu diesen Beiden als Drittes einen gelegenen Hausdiebstahl, als Viertes einen Ehebruch begebe, der sich ihm eben darbeut; wünscht er das Alles nicht mit gleicher böser Lust, wenn er auch nicht Eines nach dem Andern üben kann, weil sie alle auf Einen Augenblick zusammenkommen? Sie zerreißen [193] sich das Herz mit dem einander widerstrebenden vier Willensrichtungen oder mit mehreren, da so vielerlei begehrt werden kann, und doch behaupten sie keine so große Zahl von Grundlagen der Seele, sondern nur ihrer zwei. Dasselbe findet statt bei guten Willen: frage ich, was besser sei, sich an Paulus, am Evangelium oder an den Psalmen mit Lesen zu erquicken, so wird man wohl von jedem sagen, es sei gut. Wie nun, wenn sie alle zu gleicher Zeit in gleichem Grad uns erfreuen? Bringen da nicht verschiedene Willensansichten das Herz mit sich selbst in Zwiespalt, wenn wir berathen, was wir zuerst ergreifen sollen? Alle sind gut und streiten doch unter sich, bis das Eine erwählt wird, an das der ganze, eine Wille komme, der zuvor in mehrere Willen getheilt war. – Wenn nun die Ewigkeit das Höhere, die Erdenlust das Niedere in uns reizt, so trifft der Reiz dieselbe Seele, die nur nicht mit ganzem, vollem Willen Dieses oder Jenes will und so zerrißen wird in schwerem Druck, das Höhere vorziehend, dessen Wahrheit sie erkannte und noch das Niedere nicht laßend, mit dem sie so vertraut ist.

Augustinus: Bekenntnisse, 8. Buch, Kapitel 9 u. 10, S.190-193

Nimm und Lies!

XII.

Als sich aber aus geheimnisvollen Tiefe die ernste Betrachtung sammelte und mein Herz mein ganzes Elend schauen ließ, brach es aus in mir, wie ein nie erfahrener Sturm und löste sich auf in einem Strom von Thränen. Ihn ganz zu ergießen, mit allen seinen Lauten, erhob ich mich von des Alypius Seite; denn passender schien mir die Einsamkeit für solche Thränen. Ich entfernte mich so weit, daß mir seine Gegenwart nicht mehr lästig werden konnte. Staunend blieb ich zurück, schon zuvor bemerkend, daß zurückgehaltene Thränen meine Stimme [196] dämpften. Ich warf mich unter einen Feigenbaum nieder, da ließ ich meinen Thränen den Lauf, und ein dir wohlgefällig Opfer ergoßen sich die Quellen meiner Augen. Und Vieles rief ich zu dir, nicht mit diesen Worten, aber dieses Sinnes: »Und du, Herr, wie so lange! Wie lange, Herr, willst du zürnen! Sei nicht eingedenk unserer vorigen Missethat!« – Denn von ihr fühlte ich mich gehalten, und entsandte meine Klagelaute: »Wie lange? Wie lange? Morgen ach und wieder Morgen! Warum nicht jetzt? Warum in dieser Stunde nicht das Ende meiner Schmach?« – So reif ich und weinte bitterlich in der Zerknirschung meines Herzens. Und siehe, da höre ich eine Stimme vom benachbarten Hause her; sie klang wie die Stimme eines singenden Knaben oder Mägdleins, und wiederholte oft die Worte: »Nimm und lies! Nimm und lies!« Ich entfärbte mich und sann nach, ob etwa Kinder in einem ihren Spiele diese Worte zu singen pflegten, aber ich erinnerte mich nicht, dergleichen je gehört zu haben. Da drängte ich zurück meine Thränen, sprang auf, und konnte diese Stimme mir nur erklären als ein Geheiß von Gott, sein Buch zu öffnen, und zu lesen, auf was ich träfe, sogleich beim ersten Aufrollen der Schrift. – Denn ich hatte von Antonius gehört, er sei einst in eine Kirche getreten, als eben das evangelische Wort gelesen wurde: »Gehe hin, verkaufe Alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.« (Matth. 19, 21) – Und er habe das Wort angewendet, als wäre es zu ihm gesagt, und habe es, als eine Gottesstimme, sogleich befolgt. – Eilig gehe ich hin, wo Alypius sitzt und wo ich die Briefe des Paulus zurückgelaßen. Ich ergreife das Buch, öffne es, und lese für mich den Abschnitt, der mir zuerst in die Augen fällt: – »Nicht in Gelagen und Trunkenheit, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; [197] sonder ziehet an den Herrn Jesus Christ und wartet des Leibes nicht zur Stillung fleischlicher Lüste.« (Röm. 13, 13) Nicht las ich weiter, mehr bedurfte ich nicht. Ich hatte gelesen und das Licht des Friedens kam über mein Herz, und alle Zweifelsnächte flohen. Ich bezeichnete die Stelle mit dem Finger, oder irgend einem andern Zeichen, schloß das Buch und erzählte mit ruhiger Miene dem Alypius, was mir geschehen. Er aber zeigte, was in ihm, mir verborgen, vorgieng, zeigte es damit, daß er zu sehen wünschte, was ich gelesen, und als ich's ihm aufschlug, las er das Folgende: »den Schwachen im Glauben nehmet auf,« (Röm. 14, 1.) es auf sich deutend und mir eröffnend. Diese Worte stärkten ihn; friedenvoll, ohne von Zweifeln bestürmt, zu werden, vereinigte er sich mit mir in gleichem Entschluß, seinen Sitten so gemäß, in welchen er stets viel reiner war, als ich. Nun gieng es zu Mutter; wir erzählen ihr, was geschehen, sie jauchzt und frohlockt, und preist dich, der überschwänglich mehr thun kann, als wir bitten und verstehen. Sie sah ja, wie sie weit mehr von dir für mich erhalten, als sie gebeten hatte im Flehen ihrer Seufzer und Thränen; denn du hattest mich zu dir bekehrt, keiner Ehe Band, keine weltliche Hoffnung suchte ich mehr, fest stand ich auf der Regel des Glaubens, auf welcher du mich vor vielen Jahren ihr im Traumgesichte gezeigt hattest. Du wandeltest ihre Trauer in Freude, thatest es reichlicher, als sie je gehofft, und holdseliger und reiner, als sie es erwartet, da sie durch mich auf Enkel gehofft.

Augustinus: Bekenntnisse, 8. Buch, 12. Kapitel, S.193-197