Islam in Deutschland
Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, bewegt zurzeit wieder einmal die deutsche Öffentlichkeit.
"Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."
Und dennoch: Wir sind weiter, als es die derzeitige Debatte vermuten lässt. Es ist längst Konsens, dass man Deutsch lernen muss, wenn man hier lebt. Es ist Konsens, dass in Deutschland deutsches Recht und Gesetz zu gelten hat. Für alle - wir sind ein Volk.
Es gibt Hunderttausende, die sich täglich für bessere Integration einsetzen. Viele - zum Beispiel als Integrationslotsen - freiwillig, uneigennützig und ehrenamtlich. Unsere Kommunen und die Länder leisten Beträchtliches, wenn sich Politik und Bürger zusammentun. Alle sollen gemeinsam das Netz weben, das unsere Gesellschaft in aller Vielfalt und trotz aller Spannungen zusammenhält.
Auch wenn wir weiter sind, als es die derzeitige Debatte vermuten lässt, sind wir ganz offenkundig nicht weit genug. Ja, wir haben Nachholbedarf, ich nenne als Beispiele: Integrations- und Sprachkurse für die ganze Familie, Unterrichtsangebote in Muttersprachen, islamischen Religionsunterricht von hier ausgebildeten Lehrern und selbstverständlich in deutscher Sprache. Und ja, wir brauchen auch viel mehr Konsequenz bei der Durchsetzung von Regeln und Pflichten - etwa bei Schulschwänzern. Das gilt übrigens für alle, die in unserem Land leben.
Zu allererst brauchen wir aber eine klare Haltung. Ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt, sondern breiter angelegt ist. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland. Vor fast 200 Jahren hat es Johann Wolfgang von Goethe in seinem West-östlichen Divan zum Ausdruck gebracht: "Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen."
Rede von Bundespräsident Christian Wulff zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit. 03.10.2010. Bremen (bundespraesident.de)
- Rede von Bundespräsident Christian Wulff zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit. 03.10.2010. Bremen (bundespraesident.de)
"Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt."
Die Aussage von Innenminister Friedrich
Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt.
Innenminister Hans-Peter Friedrich am 3. März 2011
Zustimmung
Ablehnung
- Islam-Debatte: Der Minister hat Unrecht - Ein Kommentar von Yassin Musharbash (Spiegel-Online, 07.03.2011)
- "Doch ab wann gehört man "historisch" überhaupt zu "Deutschland"? Die erste Moschee auf deutschem Boden ließ Friedrich Wilhelm I. im Jahr 1732 in Potsdam errichten, für 20 türkische Garnisonssoldaten, die ihm der Herzog von Kurland geschenkt hatte. 1762 gab es in der preußischen Armee ein eigenes islamisches Korps. 1798 entstand in Berlin der erste islamische Friedhof. 1807 kämpften deutsche Muslime für Preußen gegen Napoleon."
"... die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland."
- BUNDESPRÄSIDENT: Gauck löst mit Äußerungen zum Islam Debatte aus (ZEIT-Online, 31.05.2012)
- "Berlin (dpa) - Bundespräsident Joachim Gauck hat sich von der Einschätzung seines Vorgängers Christian Wulff distanziert, der Islam gehöre zu Deutschland. «Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland», sagte Gauck in einem Gespräch mit der Wochenzeitung «Die Zeit»."
- Integrationsdebatte: Grünen-Chef kritisiert Gaucks Islam-Äußerungen (Spiegel-Online, 01.06.2012)
- "Muslime gehören zu Deutschland, der Islam aber nicht so richtig: Für den Satz, mit dem er sich von Vorgänger Wulff distanzierte, wird Bundespräsident Joachim Gauck kritisiert. Grünen-Chef Cem Özdemir kann die Unterscheidung Gaucks nicht nachvollziehen. Die Muslime hätten schließlich ihre Religion mitgebracht."
"Im Moment gehört der Islam nicht zu Deutschland, er kommt aus der Türkei."
"Im Moment gehört der Islam nicht zu Deutschland, er kommt aus der Türkei." Das sagt Eyüp Yildiz, der Bürgermeister von Lohberg[1], einem Stadtteil von Dinslaken. "Wir brauchen nicht mehr Islamunterricht, wir brauchen einen humanistischen Unterricht, mehr Philosophie, Ethik, Platons Höhlengleichnis." So berichtet Moritz von Uslar im Zeitmagazin Nr.9 vom 26.2.15, der während seines Besuchs in Lohberg in 24 Stunden keine Frau ohne Kopftuch gesehen hat.
Welcher Bürgermeister wird sonst wohl für mehr Philosophie in der Schule eintreten? Wie viele deutsche Bürgermeister kennen das Höhlengleichnis? Wie viele Stadtteilbürgermeister?
Irgendwie scheint es doch Reibungen zwischen konservativen Türken und liberalem Gesellschaftsverständnis zu geben. Freilich, zu Istanbul gehört der Islam ganz gewiss, und die Liberalen in Istanbul haben auch ihre Schwierigkeiten mit Konservativen. Ganz so heftig wie 2013 im Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz ist es in Lohberg sicher nicht her gegangen.
Aber "mehr Plato und Höhlengleichnis", das ist mal ein Wort.
Twittergespräch vom 3. April mit jeanpol in Bezug auf diesen Artikel:
@jeanpol Türkischer Bürgermeister wünscht sich mehr Plato und Höhlengleichnis. Was meinst du dazu? http://fontanefansschnipsel.blogspot.de/2015/04/im-moment-gehort-der-islam-nicht-zu.html …
@Fontanefan Demokrit und Epikur, Voltaire und Popper wären besser. Sehr wichtig ist, dass die "Forderung" nicht von "Deutschen" kommt, 1/2
2/2 sondern unbedingt von Bürgern wie Herr Yildiz! Die Aufklärung muss aus der muslimischen Welt selbst kommen...
@jeanpol "aus der muslimischen Welt" kommt nach der Aussage von Yildiz der Islam, den er als ausgesprochen unaufgeklärt erlebt.
@Fontanefan dennoch haben allein Muslims die Autorität, den Islam zu reformieren.
@Fontanefan auch "aufgeklärte" Muslims wollen die Aufklärung der muslimischen Welt auf keinen Fall von Nicht-Muslimen aufgedrückt bekommen!
@Fontanefan und der Bürgermeister ist nicht "türkisch" sondern türkischstämmig, glaube ich. Das ist ein großer Unterschied! LG
@jeanpol Richtig: türkischstämmig. Die Zuspitzung,dass der zu einem Griechen als Kronzeugen greift, kam mit "türkisch" freilich besser heraus
@jeanpol Überdies hätte ich dann präzis gesprochen von deutschstämmigen Bürgermeistern, die das Höhlengleichnis nicht kennen,sprechen müssen
@Fontanefan meine muslimischen Freunde machen einen deutlichen Unterschied zwischen türkisch und türkischstämmig!
@jeanpol Interessant, wie differenziert das alles ist und wie wenig es in Klischees passt.
@jeanpol Darf ich unser Gespräch auf meinen Blog und evtl. ins Wiki stellen?
@Fontanefan Klar!
Anmerkungen
- ↑ "In Lohberg hat sich seit ca. 2010 eine gewaltbereite salafistische Szene herausgebildet, die sich im Frühjahr 2011 in einem sogenannten „Bildungsverein“ organisatorisch zusammenschloß und Kontakte zu Al-Qaida und der Sauerlandgruppe besaß. Bis Anfang 2014 sollen in zwei Wellen ca. 25 Personen nach Syrien gereist sein, um am syrischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Die Mehrheit ist wahrscheinlich ums Leben gekommen. Der Syrienrückkehrer Nils D. wurde am 10. Januar 2015 verhaftet." - Seite „Dinslaken-Lohberg“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 11. März 2015, 11:08 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Dinslaken-Lohberg#Salafismus&soldid=139677144 (Abgerufen: 3. April 2015, 16:47 UTC)