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===Orte 2: Im Wald ===
===Orte 2: Im Wald ===
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'''Impuls'''
„Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Land der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Riige udn Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihe Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich ein mit Bäumen.
Ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen, unterscheidet diesen Wald von dem tropischen, wo Schlinggewächse in jeder Richtung durcheinanderwachsen. Im tropischen Wald verliert sich das Auge in der Nähe, es ist eine chaotische, ungegliederte Masse, auf eine bunteste Weise belebt, die jedes Gefühl von Regel und gleichmäßiger Wiederholung ausschließt. Der Wald der gemäßigten Zone hat seinen anschaulichen Rhythmus. Das Auge verliert sich, an sichtbaren Stämmen entlang, in eine immer gleiche Ferne. Der einzelne Baum aber ist größer als der einzelne Mensch und wächst immer weiter ins Reckenhafte. Seine Standhaftigkeit hat viel von derselben Tugend des Kriegers. [...]
Der Knabe, den es aus der Enge zu Hause in den Wald hinaustrieb, um, wie er glaubte, zu träumen und allein zu sein, erlebte dort die Aufnahme ins Heer voraus. Im Wald standen schon die anderen bereit, die treu und wahr und aufrecht waren, wie er sein wollte, einer wie der andere, weil jeder gerade wächst, und doch ganz verschieden an Höhe und Stärke. Man soll die Wirkung dieser frühen Waldromantik auf den Deutschen nicht unterschätzen, in hundert Liedern und Gedichten nahm er sie auf, und der Wald, der in ihnen vorkam, hieß oft deutsch.“
|Aus dem Kapitel: Massensymbole der Nationen, in Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer 1980 (1960) S. 190f}}


===Orte 3: Die Stadt ===
===Orte 3: Die Stadt ===

Version vom 15. Mai 2014, 16:34 Uhr

Vorlage:Deutsch/Abitur

Für die Abiturprüfung 2016 und danach ist das Thema "Naturlyrik vom Sturm & Drang bis zur Gegenwart" in Baden-Württemberg Pflicht.

Worum geht's?

Aufgabe

Einstiege:

Gruppe 1
Geht ins Schulgelände und sammelt dort mindestens fünf Gegenstände, die irgendetwas mit „Natur“ zu tun haben! Stellt eure Sammlung vor und begründet eure Wahl.
Gruppe 2
Geht ins Schulgelände und sammelt dort fünf Gegenstände, die nichts mit „Natur“ zu tun haben! Bringt diese mit und begründet eure Wahl.
Gruppe 3 (der Großteil des Kurses / der Klasse)
bleibt in der Schule und stellt schriftlich (!) Vermutungen darüber an, was Gruppe 1 oder Gruppe 2 mitbringen könnte.
Gruppe 4
Führt in der Bibliothek und/oder im Internet Recherchen zum Begriff „Natur“ durch und einigt euch auf eine Definition.

Erweiterungen:

Gruppe 5 (zur Erweiterung)
Erstellt einen Wortspeicher, in dem die Wörter „Natur“ und „natürlich“ in allen erdenklichen Verbindungen vorkommen. Lässt sich das ordnen?
Gruppe 6
Sammelt Vergleiche, in denen Naturphänomene vorkommen, z.B. schön wie / schöner als eine Rose …. Erfindet noch welche dazu.

Was ist das / was meinen wir mit: Natur?

Natur, in vielfältiger Funktion bedeutender und häufig zentraler Gegenstand der Dichtung. Sie ist primärer Daseins- und Erlebnisraum des Menschen; zum Ausdruck seiner elementaren Empfindungen und Gefühle bedarf er, bedarf die Poesie der Naturbilder. Gerade die Lyrik lebt von Naturbildern: der ›Natureingang‹ des Minnesangs, die Naturanrufung und das Beschwören einer ursprünglichen Einheit von Mensch und Natur in der Goethezeit, der romantische Bildzauber, die ›naturmagische‹ Lyrik des 20. Jh.s.

Neben dieser gleichsam elementaren Bedeutung der N. und des Naturbilds für die Lyrik gibt es eine spezifische Naturdichtung, Dichtung, die N. thematisiert: als Objekt ästhetischer Anschauung, als Detail, als Landschaft (Barthold Heinrich Brockes, Annette v. Droste-Hülshoff, Wilhelm Lehmann, Karl Krolow u. a.), als über sich hinausweisender Ort (etwa in der allegorisierenden Naturdichtung des Barock, der symbolischen Naturauffassung Goethes und der Romantiker u. a.), als Gegenwelt zur als mangelhaft empfundenen gesellschaftlichen Wirklichkeit (in der Hirten- und Schäferdichtung und der Idylle).


Volker Meid, Sachwörterbuch zur Deutschen Literatur, Reclam, ISBN 978-3-15-018129-4

Beispiele

Barthold Heinrich Brockes (1680–1747)

Naturlyrik der Frühaufklärung.

"Anders als noch im Barock erscheint hier die Fliege nicht mehr als emblematisches Zeichen der Unvollkommenheit, sondern wird zum Signum der Freude an der Natur. Die Natur wird en détail beschrieben und dabei sowohl Mikro- als auch Makrokosmos einbezogen. Die Freude über das unscheinbare Geschöpf führt zu irdischem Vergnügen - und damit auch zur Verehrung Gottes, daselbst in dem kleinsten Tier Gottes kreative Omnipotenz erscheint." (aus der Vorlesung von Prof. Dr. Albert Meier, Wintersemester 2006/07 Uni Kiel, zu "Die Literatur des 18. Jahrhunderts", siehe unten)

Die kleine Fliege

Neulich sah ich, mit Ergetzen,
Eine kleine Fliege sich,
Auf ein Erlen-Blättchen setzen,
Vorlage:ZeileDeren Form verwunderlich
Von den Fingern der Natur,
So an Farb′, als an Figur,
Und an bunten Glantz gebildet.
Es war ihr klein Köpfgen grün,
Vorlage:ZeileUnd ihr Körperchen vergüldet,
Ihrer klaren Flügel Paar,
Wenn die Sonne sie beschien,
Färbt ein Roth fast wie Rubin,
Das, indem es wandelbar,
Vorlage:ZeileAuch zuweilen bläulich war.
Liebster Gott! wie kann doch hier
Sich so mancher Farben Zier
Auf so kleinem Platz vereinen,
Und mit solchem Glantz vermählen,
Vorlage:ZeileDaß sie wie Metallen scheinen!
Rief ich, mit vergnügter Seelen.


Wie so künstlich! fiel mir ein,
Müssen hier die kleinen Theile
In einander eingeschrenckt,
Vorlage:Zeiledurch einander hergelenckt
Wunderbar verbunden seyn!
Zu dem Endzweck, daß der Schein
Unsrer Sonnen und ihr Licht,
Das so wunderbarlich-schön,
Vorlage:ZeileUnd von uns sonst nicht zu sehn,
Unserm forschenden Gesicht
Sichtbar werd, und unser Sinn,
Von derselben Pracht gerühret,
Durch den Glantz zuletzt dahin
Vorlage:ZeileAufgezogen und geführet,
Woraus selbst der Sonnen Pracht
Erst entsprungen, der die Welt,
Wie erschaffen, so erhält,
Und so herrlich zubereitet.
Vorlage:ZeileHast du also, kleine Fliege,
Da ich mir an die vergnüge,
selbst zur Gottheit mich geleitet.        

Kurzkommentar: Die Bewunderung für die Fliege resultiert aus dem Gedanken, dass nur ein genialer oberster Mechanikus ein derartiges Wunderwerk zustandebringen kann, dass also die Kunstfertigkeit, die selbst oder gerade auch in den kleinsten und lästigsten Wesen zu finden ist, ein Beweis für eine obersten Konstrukteur sein muss. Dieser Konstrukteurs-Gott ist mehr als nur ein Schöpfer - sein Denken und seine Schöpfung, also die „Natur“, gehorchen den Prinzipien der mechanischen Wissenschaften. Das Geheimnis der Natur ist gelüftet durch genaue Beobachtung: Sie ist nichts Eigenständiges, sondern ein Beweisstück für die Rationalität der Welt. Die aufgeklärte Vernunft findet sich auf diese Weise in der Natur wieder, die Naturphänomene dienen der Selbstbespiegelung der aufgeklärten Vernunft. (K.D.)

Barthold Hinrich Brockes: "Irdisches Vergnügen in Gott", eine Gedichtsammlung, die zwischen 1721 und 1748 in neun Bänden mit insgesamt mehr als 5500 Seiten erschienen.

J.W.Goethe

Natur & Liebe: Eine neue Religion

Im 18. Jahrhundert wird „der Begriff der Natur zum Zentrum eines kritischen Gegendiskurses gegen den Rationalismus. Im Begriff der Natur sammelt sich die System- und Kulturkritik der Aufklärung. … Dabei werden nun mit dem Naturbegriff sehr unterschiedliche Vorstellungskomplexe verbunden: sowohl die Vorstellung einer von Menschen unberührten, sei es paradiesischen, sei es wilden Natur, als auch die Vorstellung einer Befreiung von Mensch und Natur - die Leitidee des englischen Gartens - als auch - und dies vor allem seit Rousseau - die Befreiung der Natur des Menschen von Zwängen, Regeln und Normenvorgaben der Gesellschaft verbindet sich mit einem polemisch-kulturkritischen Naturbegriff."(Silvio Vietta: Die vollendete Speculation führt zur Natur zurück. Natur und Ästhetik. Reclam Leipzig 1995, S.88)

J. W. Goethe
Maifest

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Vorlage:ZeileEs dringen Blüten

Aus jedem Zweig 

Und tausend Stimmen

Aus dem Gesträuch,

Und Freud und Wonne
Vorlage:Zeile
Aus jeder Brust. 

O Erd, o Sonne! 

O Glück, o Lust!

O Lieb, o Liebe, 

So golden schön,
Vorlage:ZeileWie Morgenwolken

Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich

Das frische Feld,
Im Blütendampfe 

Vorlage:ZeileDie volle Welt.

O Mädchen, Mädchen,

Wie lieb ich dich!

Wie blickt dein Auge!

Wie liebst du mich!

Vorlage:ZeileSo liebt die Lerche

Gesang und Luft, 

Und Morgenblumen 

Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe 

Vorlage:ZeileMit warmem Blut, 

Die du mir Jugend 

Und Freud und Mut

Zu neuen Liedern

Und Tänzen gibst. 

Vorlage:ZeileSei ewig glücklich, 

Wie du mich liebst!

(1771)

Kurzkommentar: „... So liebt die Lerche / Gesang und Luft, ... Wie ich dich liebe / mit warmem Blut“. In diesem Vergleich fallen die "Liebe" der Tier- und Pflanzenwelt und der Menschenwelt zusammen, alle unterliegen sie einer Naturkraft, die die Elemente und die Spezies zusammendrängt, zueinander führt.

Die Liebe der Lerche ist keine Parabel oder Analogie-Konstruktion, sondern lediglich eine andere Verwirklichung derselben unwiderstehlichen Gewalt: Lieben ist göttlich, weil Liebe ein anderes Wort für den Gott des Pantheismus ist, in der Naturerfahrung offenbart sich Liebe als Grundprinzip allen Wachsens und Werdens und Liebesdienst ist Gottesdienst. (K.D.)

Friedrich Hölderlin

Freiheitsraum Natur - Knechtschaft Gesellschaft

„Das vorneuzeitliche Denken hatte der Natur Eigenständigkeit und Eigenleben zugesprochen. Der Begriff Natur, abgeleitet vom lateinischen Stamm nasci (d.h. geboren werden, entstehen), meint ursprünglich die von Menschenhand unberührte, gewachsene Welt der Dinge sowie das von Geburt Mitgebrachte, Angeborene. Ähnlich bezeichnet das griechische Wort physis den Bereich des von der Natur, nicht dem Menschen, Hervorgebrachten, Wachsenden und Werdenden. […] Natur ist dieser Vorstellung nach (gemeint ist die Naturlehre des Aristoteles, K.D.) gerade das aus sich selbst heraus Lebensfähige und Wirksame, und sie ist dies nach griechischer Vorstellung auch nicht von Gnaden eines Schöpfergottes oder gar des Menschen.“ (Silvio Vietta: Die vollendete Speculation führt zur Natur zurück. Natur und Ästhetik. Reclam Leipzig 1995 S. 13)

Friedrich Hölderlin (1770 - 1843) Die Eichbäume

Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt` und erzog, und der Erde, die euch geboren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd ich unter euch wohnen.
Ein wunderbares Beispiel für oben Gesagtes ist das Gedicht von Fr. Hölderlin: Die Eichbäume (1798). Die Attribute, mit denen diese Bäume versehen werden: Unabhängigkeit, Selbstgenügsamkeit und Freiheit, eingespannt zwischen Himmel und Erde und an beiden Sphären teilhabend, die Schilderung / Lobpreisung von deren natürlicher Lebensform zeugt von einem Naturbild, das sich zwar am antiken Naturverständnis orientiert, zugleich aber auf das moderne Ideal von Autonomie hinzielt. Dass beides nicht geht, Autonomie und moderne Gesellschaft schafft den elegischen Grundton. (K.D.)


J.v. Eichendorff

Natur als Motiv in der Lyrik bedeutet nicht unbedingt, dass die Natur oder ein Naturverhältnis zentral oder realistisch thematisiert wird. Häufig bildet der Bildbereich Natur eine Art Kulisse für die Stimmung des lyrischen Ichs, während andere Motive im Zentrum der Aussage des Gedichts stehen. Insbesondere J.v.Eichendorffs Gedichte zeigen - mit Mühlenrad und Wiesengrund, oft auch mit Waldhornklang und Waldesrauschen - eine stereotypische Bildlichkeit.

Joseph von Eichendorff
Das zerbrochene Ringlein
 
In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein' Liebste ist verschwunden,
Die dort gewohnt hat.

Vorlage:ZeileSie hat mir Treu' versprochen,
Gab mir ein'n Ring dabei,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

Ich möcht' als Spielmann reisen
Vorlage:ZeileWeit in die Welt hinaus,
Und singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.

Ich möcht' als Reiter fliegen
Wohl in die blut'ge Schlacht,
Vorlage:ZeileUm stille Feuer liegen
Im Feld bei dunkler Nacht.

Hör' ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will -
Ich möcht' am liebsten sterben,
Da wär's auf einmal still!

Im Walde

Es zog eine Hochzeit den Berg entlang,
ich hörte die Vögel schlagen,
da blitzten viel Reiter, das Waldhorn klang,
das war ein lustiges Jagen!

Und eh ichs gedacht, war alles verhallt,
die Nacht bedecket die Runde,
nur von den Bergen noch rauschet der Wald
und mich schauert im Herzensgrunde.



Kurzkommentar (K.D.): Der Mensch (der Romantik) ist in Naturvorgänge eingefügt, die ihm rätselhaft und undurchschaubar bleiben, die ihn in seiner Existenz gefährden und die durch kein Wissen und keine Wissenschaft gebändigt werden können. Dieses Wissen, das bei hellem Tage verdrängt wird, kehrt wieder, meldet sich gleichsam, am Tagesende, bei Einbruch der Nacht (siehe auch: ["Zwielicht"]. Dann ist der "Wald" auch nicht ein Ort der Ruhe, der Heimkehr und Erholung - wie der Garten - sondern ein Ort des "Schauerns", der Orientierungslosigkeit, der Verwirrung oder gar des Untergangs - wie in "Waldgespräch":

Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Was reit’st du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, du bist allein,
...
  • ZUM.de (Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e. V.) Romantik & Lyrik - Gedichtinterpretationen zu J.v.Eichendorffs "Sehnsucht", "Zwielicht" und "Im Walde".

Orte 1: Am Meer

Meeresstimmungen. Trotz Volksliedstrophe, Träumen, Schauern und Stimmen eher unheimlich als heimelig.

Heinrich Heine
Fragen

Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Brust voller Wehmut, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:

"O löst mir das Rätsel des Lebens,
Das qualvoll uralte Rätsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen.
Häupter im Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre
Arme, schwitzende Menschenhäupter -
Sag mir, was bedeutet der Mensch?
Woher ist er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?"

Es murmeln die Wogen ihr ewges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.

aus: Buch der Lieder (v. 1824), Die Nordsee - Zweiter Zyklus

Theodor Storm
Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmerung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.

Vorlage:ZeileGraues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
Vorlage:ZeileGeheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen –
So war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vorlage:ZeileVernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.

Erstdruck 1854

Orte 2: Im Wald

Impuls

„Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Land der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Riige udn Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihe Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch heute gern auf und fühlt sich ein mit Bäumen. Ihre Sauberkeit und Abgegrenztheit gegeneinander, die Betonung der Vertikalen, unterscheidet diesen Wald von dem tropischen, wo Schlinggewächse in jeder Richtung durcheinanderwachsen. Im tropischen Wald verliert sich das Auge in der Nähe, es ist eine chaotische, ungegliederte Masse, auf eine bunteste Weise belebt, die jedes Gefühl von Regel und gleichmäßiger Wiederholung ausschließt. Der Wald der gemäßigten Zone hat seinen anschaulichen Rhythmus. Das Auge verliert sich, an sichtbaren Stämmen entlang, in eine immer gleiche Ferne. Der einzelne Baum aber ist größer als der einzelne Mensch und wächst immer weiter ins Reckenhafte. Seine Standhaftigkeit hat viel von derselben Tugend des Kriegers. [...]

Der Knabe, den es aus der Enge zu Hause in den Wald hinaustrieb, um, wie er glaubte, zu träumen und allein zu sein, erlebte dort die Aufnahme ins Heer voraus. Im Wald standen schon die anderen bereit, die treu und wahr und aufrecht waren, wie er sein wollte, einer wie der andere, weil jeder gerade wächst, und doch ganz verschieden an Höhe und Stärke. Man soll die Wirkung dieser frühen Waldromantik auf den Deutschen nicht unterschätzen, in hundert Liedern und Gedichten nahm er sie auf, und der Wald, der in ihnen vorkam, hieß oft deutsch.“


Aus dem Kapitel: Massensymbole der Nationen, in Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer 1980 (1960) S. 190f

Orte 3: Die Stadt

Joseph von Eichendorff
   In Danzig 1842

Dunkle Giebel, hohe Fenster,
Türme tief aus Nebeln sehn,
Bleiche Statuen wie Gespenster
Lautlos an den Türen stehn.

Träumerisch der Mond drauf scheinet,
Dem die Stadt gar wohl gefällt,
Als läg' zauberhaft versteinet
Drunten eine Märchenwelt.

Ringsher durch das tiefe Lauschen,
Über alle Häuser weit,
Nur des Meeres fernes Rauschen -
Wunderbare Einsamkeit!

Und der Türmer wie vor Jahren
Singet ein uraltes Lied:
Wolle Gott den Schiffer wahren,
Der bei Nacht vorüberzieht.

Kurzkommentar (K.D.):

Eine ganz bestimmte Stadt liegt dem lyrischen Ich vor Augen, zu einem bestimmten Zeitpunkt, von daher ist Konkretheit in der Anschauung zu erwarten. Aber: Die Nacht hat die Stadt verwandelt.
1. Die Umrisse werden schemenhaft („Gespenster“)
2. Das Mondlicht verzaubert die Stadt, lässt sie unwirklich werden („als läge ...“), schafft die Illusion einer anderen Welt: „Märchenwelt“
3. In der Ruhe bzw Lautlosigkeit vermischen sich die Elemente Wasser und Land, darin wird das Alleinsein vom lyrischen Ich als „wunderbar“ erfahren, vielleicht im Gegensatz zum geschäftigen Tagtreiben.
4. All dies beschwört eine alte Zeit der Aufgeräumtheit und Geborgenheit, der Türmer wird zum Symbol der stillstehenden, geschichtslosen Zeit, aus seinem Lied spricht Gottvertrauen und Schicksalsergebenheit.
Fazit: Die nächtliche Stadt verlebendigt sich, wacht zu Zauberleben auf, bildet eine Gegenwelt zur Tagwelt: Die Nacht romantisiert die Stadt und lässt sie wieder Natur werden! Eine Rückverwandlung.

Georg Heym
Die Stadt

Sehr weit ist diese Nacht. Und Wolkenschein
Zerreißet vor des Mondes Untergang.
Und tausend Fenster stehn die Nacht entlang
Und blinzeln mit den Lidern, rot und klein.

Wie Aderwerk gehn Straßen durch die Stadt,
Unzählig Menschen schwemmen aus und ein.
Und ewig stumpfer Ton von stumpfem Sein
Eintönig kommt heraus in Stille matt.

Gebären, Tod, gewirktes Einerlei,
Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei,
Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei.

Und Schein und Feuer, Fackeln rot und Brand,
Die drohn im Weiten mit gezückter Hand
Und scheinen hoch von dunkler Wolkenwand.

                               Nov. 1911

Kurzkommentar (K.D.): Der bestimmte Artikel in der Überschrift („Motto“ im Sonett) legt nahe, dass es hier um keine bestimmte Stadt geht, sondern um die Stadt an sich, dass also Wesentliches am Phänomen Stadt veranschaulicht bzw. geschildert werden soll.
Strophe 1 und 2 („pictura“): Stadtbeschreibung, der Himmel ist bewegt, Unbelebtes wird belebt („Fenster“, „Aderwerk“), Lebendiges wird dinghaft („Menschen schwemmen..“)
Die Geräusche in ihrer Gleichförmigkeit bilden einen „stumpfen Ton“ (zweimal „stumpf“), eine Art falscher Stille, „matt“ genannt, die keine Ruhe gönnt.
Strophe 3 und 4 („scriptura“): Dieses Charakteristikum des Stadtlebens wird nun verallgemeinert zum Wesenszug des Daseins überhaupt: „blinder Wechsel“, und gipfelt schließlich in einem Bild der umfassenden Bedrohung durch die Elemente bzw. modernen Naturkräfte.
Die Stadt wird zum Sinnbild der bedrohten Existenz des Menschen.
Bevorzugung dunkler, kräftiger Vokale, wie auch dunkler Farben (zweimal „rot“). Vorherrschend sind Substantive, häufig mit Adjektiven verstärkt bzw. eingefärbt.

Unterrichtsmaterialien

Verlage

"... Mithilfe der ausführlichen Informationen zur jeweiligen Epoche, den wichtigsten Vertretern und deren Werken sind Schüler fundiert und umfassend vorbereitet auf Abitur, Matura, Klausuren und Referate zu diesem Thema." - Der Verlag bietet hierzu auch folgende kostenlose Downloads: Musterseiten - Inhaltsverzeichnis - Ergänzendes Kapitel mit neun weiteren Gedichten von Goethe bis Trakl (pdf)
  • Lindenhahn, R., Merkel, P.: Natur und Mensch in der Lyrik vom Sturm und Drang bis zur Gegenwart. Cornelsen Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-464-61236-1. (Handreichungen: ISBN 978-3-464-61237-8)

Links

"Brockes ist die herausragende Gestalt in der Naturlyrik der Frühaufklärung." - Vorgeführt an dessen Gedicht "Die kleine Fliege" (1736).
"Am 21. und 22. Februar 2014 fand die Jahrestagung des baden-württembergischen Landesverbandes in der Landesakademie Bad Wildbad statt. Die vielfältigen, sowohl für die Unterrichtspraxis als auch für die Bildungsdebatte interessanten Ergebnisse werden nun der Öffentlichkeit vorgestellt." - Mit "Naturlyrik" und deren Vermittlung in der Kursstufe beschäftigen sich die Beiträge von Gerhard Friedl und Hans Spielmann.

Interessantes

  • Kein Beitrag zur Naturlyrik, aber ein philosophischer Essay zum Thema Zurück zur Natur? aus dem HOHE LUFT Magazin / 31.03.2014 / Leseprobe (pdf)
"Alle Welt scheint sich heute nach mehr Naturverbundenheit zu sehnen. Gegen die moderne Technik hingegen gibt es ein tiefes Misstrauen. Doch wie sinnvoll ist es, die Natur zu verklären? Und worum geht es wirklich beim Wunsch, zu den Wurzeln zurückzukehren? HOHE LUFT-Volontärin Greta Lührs widmet sich diesen Fragen in der aktuellen Ausgabe von HOHE LUFT."
"Natur ist in. Landleben, Bio, Naturbelassenheit und Nachhaltigkeit werden nicht mehr mit dem zotteligen Öko-Freak in Verbindung gebracht, sondern stehen für einen modernen, umsichtigen Lifestyle. Ferien im Grünen sind angesagt, Outdoor-Sportarten boomen, ein grünes, naturverbundenes Image gehört für ein erfolgreiches Unternehmen zum guten Ton. Auf der anderen Seite erleben wir einen rasanten Fortschritt in Wissenschaft und Technik, der uns immer weiter von der Natur zu entfernen scheint. Jeder möchte natürlich sein, dennoch tun wir alles dafür, den Lauf der Natur zu beeinflussen, ihn aufzuhalten. Doch was ist Natur überhaupt? Oder anders gefragt: Was ist nicht natürlich? Und ist das Natürliche auch automatisch gut?"

Siehe auch