Europäische Einigung/Euro und Eurokrise: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 22. Juni 2015, 08:03 Uhr
Die Eurokrise entwickelte sich zum einen aus der Finanzkrise ab 2007, da die Staaten zur Rettung der Banken ungesund hohe Verpflichtungen eingingen, zum anderen waren bei der Errichtung der Vorlage:Wpd Stabilitätsmechanismen eingerichtet worden, deren Beachtung nicht zureichend kontrolliert und durchgesetzt wurde.
"Als Beginn dieser Krise wird der Zeitraum von Oktober 2009 bis April 2010 gesehen, in dem Griechenland nach einer neuen Regierungsbildung das tatsächliche Ausmaß seiner bisher verschleierten Haushaltsdefizite und seines Schuldenstandes offenlegte und dann EU sowie IWF um Hilfe bat, um eine Staatsinsolvenz abzuwenden (Vorlage:Wpd)."(Zitat aus Vorlage:Wpd)
Aktuelles
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Zur Analyse
Es sieht so aus, als habe im Zuge der Euro-Rettung ein der Europäischen Union eigenes Führungsprinzip schleichend den Gestaltungsanspruch der politischen Führer verschluckt. Diesem Prinzip liegt ein Prozess zugrunde, der Macht durch Konsens einhegt und in der Krise einem konservativen Impuls folgt: das Bestehende zu bewahren. Die einschlägige Literatur nennt dieses oftmals mit Bestrafung und Belohnung verbundene Politik-Management innerhalb der etablierten Organisationskultur transaktionale Führung. So eine Führung durch Sitzungsmarathons ist zwar nicht schön anzusehen, aber mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat der politisch-bürokratische Komplex der Europäischen Union mit ihr auf kunstvolle Art Interessen der Regierungen balanciert und in Entscheidungen übersetzt. [...]
Ironischerweise stellt ausgerechnet ein Mann mit einem gänzlich anderen Führungsverständnis als dem der EU nun das System infrage. Der neue griechische Premierminister Alexis Tsipras tritt an mit einem transformationalen Versprechen. Diese Art der Führung ist das Lehrbuch-Gegenteil zur transaktionalen Führung der EU. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie agiert statt reagiert, dass sie neue Ideen und kulturellen Wandel verspricht, an Ideale und Moral appelliert und Gruppeninteressen auf Kosten anderer durchsetzen will. Es ist eine Führung durch Träume statt durch im Sitzungsmarathon wund gesessene Hintern. [...]
Die EU darf ihr Führungsmodell in diesem Konflikt nicht aufgeben. Politik in der globalisierten Welt ist unendlich komplex, sie lässt sich kaum mehr anders beherrschen als durch Aushandlung und Expertentum. Der Erfolg gibt dem Modell auch recht. Trotz der Krise in Europa, die zweifelsfrei zu Leid führt, geht es den Menschen auf dem Kontinent so gut wie kaum jemals zuvor. [...]
Die Sachzwang- und Experten-getriebene Politik der EU führt aber dazu, dass viele Menschen sich jemanden wünschen wie Tsipras, der ihnen sagt: Ich nehme das in die Hand, ich werde im Handstreich alle Probleme lösen, ohne mich dem Diktat der Währungsrettung zu unterwerfen. Dabei geht es weniger um das Geld als um Entscheidungsfreiheit. Viele Griechen haben Tsipras genau wegen des Versprechens gewählt, auf ihr Leben in Europa wieder Einfluss nehmen zu können.
Die EU sollte da von Tsipras lernen.
Der Kontinent braucht eine eigene transformationale Wende mit nur einem Ziel: jenem, dem politischen Diskurs wieder mehr Freiraum zu verschaffen. [...]
Zumindest die Möglichkeit, dass Griechenland den Euro verlässt, sollte man doch mal denken dürfen angesichts der offensichtlich sehr unterschiedlichen Wünsche und Interessen der verschiedenen Völker. Außerdem wäre es ganz hilfreich, darüber zu sprechen, wie Europa und der Euro nach der Krise aussehen sollen. Ja, vielleicht ließe sich sogar mal wieder über eine europäische Zukunft nachdenken, die Freude macht, und vielleicht würde die Möglichkeit, wirklich wählen zu können, auch mehr Begeisterung für die Idee wecken, Griechenland im Euro zu halten.
Es ist an der Zeit für eine transformationale Wende – für eine große Rede. [...] Eine große Rede, um einen Kontinent ideell neu aufzurichten, das ist kein naiv-idealistischer Unsinn. Es gibt ein historisches Vorbild, eine Rede, die einer ganzen Nation "eine Neugeburt der Freiheit" versprach und sie mit gerade einmal 272 Wörtern ideell neu vermaß und begründete.
Am 19. November 1863 stand Abraham Lincoln, der 16. Präsident der Vereinigten Staaten, die damals alles waren, nur nicht vereinigt, auf dem Schlachtfeld von Gettysburg [...]. Generationen amerikanischer Schüler haben Lincolns Rede von diesem Tag auswendig gelernt, weil sie etwas Einzigartiges schafft. In zweieinhalb Minuten [...] begründet [er] ein Narrativ dieser sich neu erschaffenden Nation. Lincolns Rede ist ein Meisterwerk, weil er darin eine Gemeinschaft mit den Feinden des Südens konstruiert.
Ein rettendes Narrativ muss wie Lincolns Rede weit hinter diese Kleinigkeiten zurückreichen und die Idee Europas als Friedensgemeinschaft neu beleben. In Anbetracht der russischen Aggression im Osten des Kontinents gibt es dafür allen Grund. [...]
Europa und der Euro sind nicht ein und dasselbe, und Europa scheitert auch nicht mit der gemeinsamen Währung – zumindest noch nicht. Das wird erst der Fall sein, wenn wir aus Angst keine alternativen Ideen denken, auf die sich die Union bauen lässt, sodass uns nur die Vorschläge der wohlwollenden Experten von den Finanzmärkten bleiben.
Natürlich sollten wir viel tun, um den Euro zu bewahren. Vor allem aber sollten wir Sorge tragen, dass Lincoln recht behält, "dass die Regierung des Volkes, vom Volk und für das Volk nicht verschwinden möge von der Erde".
ROMAN PLETTER: Europa ist schöner als der Euro, ZEIT Nr.10, 22.3.15
Zur Vorgeschichte und zur historischen Einordnung der Krise
- Das Erste auf der Spur des Euro- und der Euro-Krise, Hamburger Abendblatt, 2.7.2012
- "Das griechische Statistikamt hatte die Zahlen frisiert und den eigenen Staat gesundgerechnet. Wozu gibt es "kreative" Banker? Hier kommt Antigone "Adi" Loudiadis vom weltweit agierenden Geldinstitut Goldman Sachs ins Spiel. Sie schlug unter anderem vor, die Schulden in die Zukunft zu verlagern - und schon hatte man wieder ein Plus auf den Staatskonten. Kontrolliert wurden die Angaben nicht, das war nicht vorgesehen im europäischen Reglement."
- "Europa habe keine Alternative als die bisher von ihm entwickelten Instrumente, um die Krise abzuwehren, die Entwicklung sei also pfadabhängig. Doch habe dieser Weg bisher in jeder Krise zu mehr Konvergenz geführt: 'Die Krise Europas besteht in seinem Zusammenwachsen.'" (S.409) sieh: Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit
Meldungen und Kommentare
- Tweets zu Eurokrise
- 5 Mythen über Griechenland, Süddeutsche Zeitung 30.3.2015
- Schuldenkrise in Griechenland. Venizelos warnt vor "Selbstmord der Euro-Zone", Süddeutsche Zeitung 26.7.12
- Aufkauf von Staatsanleihen. Anleger bejubeln Draghis Euro-Versprechen, Spiegel online 26.7.12
- "Wir brauchen eine völlig neue supranationale EU", ZEIT online 25.7.12
- Neue Ideen zur Euro-Rettung. Sahra Wagenknechts erzliberales Manifest, Spiegel online 25.7.12