Katholische Religionslehre/Gottesbeweis: Unterschied zwischen den Versionen
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Die Frage nach einem weltbldunabhängigen Element der aristotelischen Theologie wird wie nicht anders zu erwarten, heftig und kontrovers diskutiert. Der folgende Gedankengang ist ein Vorschlag. Aber selbstverständlich könnte man es auch ganz anders machen: | Die Frage nach einem weltbldunabhängigen Element der aristotelischen Theologie wird wie nicht anders zu erwarten, heftig und kontrovers diskutiert. Der folgende Gedankengang ist ein Vorschlag. Aber selbstverständlich könnte man es auch ganz anders machen: | ||
Gegeben ist ein Prozess, eine Bewegung, ein Sachverhalt. Dieser trägt seine Ursache entweder in sich selbst, sodass dieser Sachverhalt in jeder denkbaren Welt unvermeidlich ist, oder er braucht eine äußere Ursache, sodass wir ihn nicht in jeder denkbaren Welt immer, sondern nur unter bestimmten Bedingungen (hervorgerufen durch die geeigneten Ursachen) antreffen, oder es lassen sich für ihn in keiner denkbaren Welt die notwendigen Ursachen auftreiben, sodass wir ihn in keiner möglichen Welt überhaupt je antreffen. | {{Kasten_blass|Gegeben ist ein Prozess, eine Bewegung, ein Sachverhalt. Dieser trägt seine Ursache entweder in sich selbst, sodass dieser Sachverhalt in jeder denkbaren Welt unvermeidlich ist, oder er braucht eine äußere Ursache, sodass wir ihn nicht in jeder denkbaren Welt immer, sondern nur unter bestimmten Bedingungen (hervorgerufen durch die geeigneten Ursachen) antreffen, oder es lassen sich für ihn in keiner denkbaren Welt die notwendigen Ursachen auftreiben, sodass wir ihn in keiner möglichen Welt überhaupt je antreffen. | ||
Wir wollen Sachverhalten, die man gelegentlich antreffen kann, "kontingent" nennen und ihnen eine Wahrscheinlichkeit größer als „0“ und kleiner als „1“ zuordnen, die in jeder denkbaren Welt notwendigen Sachverhalte nennen wir "Notwnedig und ordnen eine „1“ zu, und den "unmöglichen" Sachverhalten, die in keiner denkbaren Welt vorkommen, eine „0“. | Wir wollen Sachverhalten, die man gelegentlich antreffen kann, "kontingent" nennen und ihnen eine Wahrscheinlichkeit größer als „0“ und kleiner als „1“ zuordnen, die in jeder denkbaren Welt notwendigen Sachverhalte nennen wir "Notwnedig und ordnen eine „1“ zu, und den "unmöglichen" Sachverhalten, die in keiner denkbaren Welt vorkommen, eine „0“. | ||
Wer nach Gott fragt, sollte ihn als etwas Notwendiges begreifen, dessen Wahrscheinlichkeit 1 ist, der also zu jeder denkbaren Welt als notwendiger Ursprung dazugehört. | Wer nach Gott fragt, sollte ihn als etwas Notwendiges begreifen, dessen Wahrscheinlichkeit 1 ist, der also zu jeder denkbaren Welt als notwendiger Ursprung dazugehört. | ||
Wenn es so etwas nicht gäbe, dann würde jeder Sachverhalt durch eine unendliche Kette von Ursachen hervorgebracht, da jede Ursache, deren Wahrscheinlichkeit von 1 verschieden ist, ihre Existenz nicht sich selbst, sondern außerhalb von ihr liegenden Bedingungen verdankt, also eine Ursache braucht, die wieder eine Ursache braucht, und so weiter ohne Anfang der Kette. | Wenn es so etwas nicht gäbe, dann würde jeder Sachverhalt durch eine unendliche Kette von Ursachen hervorgebracht, da jede Ursache, deren Wahrscheinlichkeit von 1 verschieden ist, ihre Existenz nicht sich selbst, sondern außerhalb von ihr liegenden Bedingungen verdankt, also eine Ursache braucht, die wieder eine Ursache braucht, und so weiter ohne Anfang der Kette. | ||
Eine solche unendliche Kette kontingenter Ursachen ist aber nicht denkbar. Denn die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens mehrerer kontingenter Sachverhalte ist das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten. Ein Produkt aus unendlich vielen Zahlen kleiner als 1 unterschreitet aber jeden noch so kleinen Unterschied von „0“; also ist das Zusammentreffen unendlich vieler Ursachen in einem beliebigen Sachverhalt unmöglich – im Widerspruch zur Erfahrung, denn wir sind von Sachverhalten umgeben. | Eine solche unendliche Kette kontingenter Ursachen ist aber nicht denkbar. Denn die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens mehrerer kontingenter Sachverhalte ist das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten. Ein Produkt aus unendlich vielen Zahlen kleiner als 1 unterschreitet aber jeden noch so kleinen Unterschied von „0“; also ist das Zusammentreffen unendlich vieler Ursachen in einem beliebigen Sachverhalt unmöglich – im Widerspruch zur Erfahrung, denn wir sind von Sachverhalten umgeben. | ||
Es kann also für jeden Sachverhalt nur eine endliche Kette kontingenter Ursachen geben, insgesamt verursacht durch eine notwendige, über alle Bedingtheit erhabene, nicht wegzudenkende Ursache, die wir „Gott“ nennen dürfen. | Es kann also für jeden Sachverhalt nur eine endliche Kette kontingenter Ursachen geben, insgesamt verursacht durch eine notwendige, über alle Bedingtheit erhabene, nicht wegzudenkende Ursache, die wir „Gott“ nennen dürfen.|}} | ||
=== Anselm von Canterbury (1033-1109) === | === Anselm von Canterbury (1033-1109) === |
Version vom 8. Januar 2010, 09:21 Uhr
Was ist ein Beweis?
Mathematische Beweise
Am besten nehmen wir ein Beispiel, den Beweis des Vorlage:Wpd für die Unendlichkeit der Reihe der Primzahlen.
Definition: Eine Primzahl ist eine natürliche Zahl, die nur durch sich oder durch 1 glatt geteilt werden kann. Wenn ich einen Kuchen in 7 Stücke aufnschneide, dann können 7 Personen oder eine gerecht bedacht werden, wenn ich ihn in 6 Stücke teile, kann ich auch 2 oder 3 Personen einen gerechten Anteil geben. Deshalb ist 7 eine Primzahl und 6 nicht.
Wenn wir annehmen, es gebe eine höchste Primzahl, dann gibt es auch eine Liste aller Primzahlen, und ich kann ein Produkt aller Primzahlen bilden. Ich nenne es PP.
Dann gilt: PP-1 und PP+1 können nicht Produkte der Primzahlen sein, die wir schon kennen; sie müssen entweder selber Primzahlen sein oder das Produkt zweier Primzahlen, die in unserer Liste noch nicht vorkommen.
Beispiel: Nehmen wir einmal wider besseres Wissen an, die Zahl 13 sei die größte Primzahl. Das Produkt 2*3*5*7*11*13 = 30030 wäre dann das Produkt aller Primzahlen (PP). Doch die beiden Zahlen PP-1 und PP+1 können durch keinen der Primfaktoren von PP geteilt werden, und , in der Tat: 30029 ist eine Primzahl, und 30031 = 59 * 509 ist das Produkt zweier Primzahlen, die größer als 13 sind.
Folgerung: Die Vorstellung einer Liste aller Primzahlen ist widersprüchlich; es gibt keine höchste Primzahl.
Kommentar: Gedankengänge wie diese beweisen die Leistungsfähigkeit der Mathematik. Die größte bislang gefundene Primzahl ist 2^43112609 - 1.[1] Und doch wissen wir sicher, dass es noch größere Primzahlen gibt, und diese Gewissheit geht ins Grenzenlose.
Aber es kann keinen Gottesbeweis nach Art mathematischer Beweise geben, denn die Mathematik kann nur über Objekte reden, die sie definieren kann. Und Gott ist kein definierbares Objekt.
Wissenschaft als Dialog mit der Natur
Beweise nach juristischem Vorbild
Vor Gericht gelten Zeugenaussagen und Indizien.
Da Indizien mehr oder weniger wissenschaftlich fundierte Beobachtungsaussagen sind, haben wir damit in der Gottesfrage ähnliche Schwierigkeiten wie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt.
Zeugenaussagen für die Existenz Gottes gibt es genug: Amos, Jesaia, Jeremia, Paulus und viele andere Propheten haben in historisch belastbaren Quellenschriften zu Protokoll gegeben, dass sie Gott begegnet sind.
Aber vor Gericht muss auch geprüft werden, ob eine Zeugenaussage glaubwürdig ist. Wer aber die Glaubwürdigkeit der Propheten anzuerkennen bereit ist, der ist in der Gottesfrage schon positiv entschieden und benötigt keinen Beweis mehr.
Aber vor Gericht ist auch noch ein anderer Punkt entscheidend: Die Frage der Beweislast. Das Recht arbeitet mit Vermutungen, zum Beispiel mit der Unschuldsvermutung, die denjenigen, der jemandem eine Straftat vorwirft, zum Beweis verpflichtet, während der Verteidiger des Verdächtigen die Unschuld nicht beweisen muss.
Wer stellt in der Gottesfrage die weitergehende - die beweispflichtige - Behauptung auf? – Zunächst scheint es der zu sein, der behauptet: „Es gibt Gott.“ Wenn man aber untersucht, was die gegenteilige Behauptung bedeutet, „es gibt keinen Gott,“ dann erkennt man, dass sie viel weiter reicht: Denn da wird ja behauptet, dass es keine übernatürlichen Ursachen geben kann, dass demnach alles nach Naturgesetzen geschieht und deshalb auch naturwissenschaftlicher Erkenntnis zugänglich ist.
Wenn wir hingegen zugeben, dass es eine übernatürliche Ursache gibt, dann wissen wir zwar, dass das Verursachte ein Ziel hat, aber wir wissen auch, dass wir ihn nur auf eine einzige Weise herausfinden können, indem wir den Verursacher nach dem Sinn fragen.
Die Folgen sind bis in alltägliche Konflikte hinein gravierend: Wer an die Allzuständigkeit der Wissenschaft glaubt, hat eine Vorstellung, dass man alles mit Gewissheit wissen könnte. Dazu aller¬dings benötigt der Einzelne Fachleute. Wie beispielsweise ein Kranker, der von seinen Ärzten Diagnosen, Pillen, Operationen oder Transplantationen bekommt, deren Wirkung er nicht begreift, von denen also nur der Fachmann weiß, ob es wirklich gut ist oder nicht. Für einen Gottgläubigen gibt es nur eine Art der Gewissheit: „Sich auf die Zusage einer anderen Person (sei es Gott oder sei es ein Mitmensch) verlassen.“ Er wird dem Arzt nicht vor allem deshalb zuhören und seinen Ratschlägen folgen, weil er Fachmann ist. Er wird in dieser Hinsicht keine Illusionen haben, dass es in medizinischen Fragen Gewissheit gebe. Vielmehr enthält alle menschliche Bemühung ein Irrtumsrisiko, und im Arzt sieht ein Gläubiger nicht zuerst den Fachmann, sondern den Mitmenschen, dem er vertraut, dass er nach bestem Wissen und Gewissen informiert und behandelt.
Gläubige anerkennen also eine Welt der Gewissheit, die mit Forschung und Technik hergestellt wird und die niemals absolut ist, sondern immer nur „statistisch“, und sie Anerkennen eine Welt der Verlässlichkeit, die durch Zusagen und Vertrauen hergestellt wird und die genau in dem Maß gilt, in dem die beteiligten Personen zu ihren Zusagen stehen.
Etappen der Gottesbeweisfrage
Xenophon (426-345 v. Chr.)
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Aristoteles war der Forscher unter den griechischen Philosophen. Als Beispiel kann man einen Vergleich heranziehen: Während Plato in seiner Schrift Der Staat aus der Idee der Gerechtigkeit einen idealen Staat entwickelte und in Sizilien mit der Verwirklichung seiner Ideen prompt Schiffbruch erlitt, ließ Aristoteles von seinen Mitarbeiten alle verfügbaren Staatsverfassungen sammeln und verglich sie miteinander.
Die Theologie des Aristoteles ist ein Element seiner Physik. Das ist der Versuch, die bekannten Beobachtungen und die schon vorhandenen Theorieerfahrungen zu einem Gesamtbild des Kosmos zusammenzustellen. Dazu gehört die Auffassung, dass es vier Elemente gebe, denen ihr natürlicher Ort zugeordnet werden könne - Erde und Wasser gehören nach "unten" (Richtung Erdmittelpunkt); Feuer und Luft gehören nach "oben" (Richtung Himmel) -. Die Sterne hingegen bestehen aus einer fünften Materie (der Quintessenz), von der wir nichts wissen.
Der eigentliche Gottesbeweis[2] im achten Buch der Physik und im zwölften Buch der Metaphysik geht aus von einer Analyse der "Bewegung" ("Kinesis" - Hans Wagner übersetzt "Prozess"). Aritoteles versteht darunter die Verwirklichung eines Zustandes, der zuvor nur möglich war. Wenn er dann zeigt, dass es unmöglich nur Bewegliches geben kann, sondern auch etwas, das bewegt, ohne sich selbst zu bewegen, einen unbewegten Beweger, dann hat Aristoteles die Fixsternsphäre im Blick, deren vollkommene Kreisbewegung ihn auf eine Ursache schließen lässt, die dadurch bewegt, dass sie geliebt wird.
Die aristotelische Kosmologie war für 1800 Jahre maßgeblich. Das christliche Mittelalter arbeitete an dem Problem, die Beweise des Aristoteles mit den Dogmen der Kirche in Einklang zu bringen. Zum Beispiel ließ sich die Annahme, der Kosmos sei im großen und ganzen unveränderlich und ewig, nicht mit dem Dogma der Schöpfung der Welt durch Gott vereinbaren. Deshalb überwand die mttelalterliche Theologie und Philosophie schrittweise die aristotelische Kosmologie, etwa, als Johannes Buridanus (1300-1358) den aristotelischen Bewegungsbegriff durch das Trägheitsprinzip in Frage stellte oder als Nikolaus Kopernikus (1473-1543) anstelle der Erde die Sonne im Mittelpunkt des Universums sah und Johannes Kepler (1571-1630) entdeckte, dass sich die Sterne nicht auf Kreisbahnen, sondern auf Ellipsen bewegen. Schließlich löste Isaac Newton (1642-1727) die aristotelische Physik durch die klassische Mechanik ab.
Die Frage nach einem weltbldunabhängigen Element der aristotelischen Theologie wird wie nicht anders zu erwarten, heftig und kontrovers diskutiert. Der folgende Gedankengang ist ein Vorschlag. Aber selbstverständlich könnte man es auch ganz anders machen:
Anselm von Canterbury (1033-1109)
Der Prior und Abt Vorlage:Wpd hat als Lehrer seiner Brüder ein Programm formuliert: Fides Quaerens Intellectum: Glaube, der Verstehen erstrebt. Was das bedeutet, erkennt man, wenn es mit dem Verstehen nicht klappt, wie Anselm dem Roscelin vorwirft:
Wer - etwas aus der Glaubenslehre - versteht, der danke Gott. Wer es aber nicht versteht, der neige sein Haupt zum Verehren, und setze sich nicht Hörner auf, um zu verstoßen
Brief an Roscelin über die Dreifaltigkeit
Das Proslogion ist ein Gebet, wie der Name es sagt, eine Ansprache an Gott. Das Büchlein ist konzentriertester Ausdruck des Anselmschen Programms. Das erste Kapitel ist ein Gebetstext, der es die herrliche Bestimmung und den furchtbaren Sündenfall des Menschen beschreibt, als 2. Kapitel folgt der Gedankengang, der als ontologisches Argument Geschichte gemacht hat:
Von dir (Gott) glauben wir, dass du das bist, über das hinaus etwas Größeres nicht gedacht werden kann (aliquid quo maius cogitari non postest). Existiert nun das nicht, über das Größeres nicht gedacht werden kann, nur weil der Tor sagt: Es ist kein Gott (Psalm 10,4)?
Aber wenn ich doch sage „Etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann,“ so versteht er doch, was ich sage, und was er versteht, ist in seinem Verstand.
Ist es aber nur in seinem Verstand oder auch in der Wirklichkeit?
Wenn es nur in seinem Verstand ist, so könnte man sich doch wenigstens denken, dass es auch wirklich existiert, und das ist größer.
Etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, wenn es nur im Verstand ist, wäre also etwas, über das hinaus Größeres gedacht werden kann, (nämlich dass es auch wirklich existiert), und das kann nicht sein.
Es muss also etwas existieren, über das hinaus größeres nicht gedacht werden kann, sowohl im Verstand als auch in der Wirklichkeit.
Anselm Proslogion c.2
Kommentar:
- Dieser kurze und einfache Gedankengang ist der meist diskutierte „Gottesbeweis“ überhaupt. Auf welch schmalem Grad sich der Gedankengang bewegt, zeigt sich im Grunde erst im 15. Kapitel des Proslogion, in welchem Anselm beweist, dass „etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann“ größer ist als alles, was gedacht werden kann. Der fiktive Gesprächspartner könnte jetzt sein allererstes Zugeständnis noch einmal zur Diskussion stellen: Das war doch etwas naiv, dass ich dir zugegeben habe, ich hätte verstanden, was du sagtest: „Etwas über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann.“ Jetzt beweist du mir aber, dass ich dieses etwas gar nicht denken kann, weil es größer ist als alles, was ich denken kann. Wie kann ich etwas „verstehen“, was ich nicht „denken“ kann? – Ich nehme also mein Zugeständnis, ich hätte verstanden, was du sagtest, zurück.
- In diesem Zusammenhang ist der Anfang des Gedankenganges sehr wichtig: Von dir, Gott, glauben wir, dass du etwas bist, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Gott ist also nicht etwas, was wir uns ausgedacht haben oder ausdenken könnten, sondern wir sind auf diesen Gedanken nur gekommen, weil er sich uns durch Schöpfung und Offenbarung mitgeteilt hat und wir darauf mit unserem Glauben geantwortet haben. Dann heißt der Beweis in einem Satz zusammengefasst: Das gläubige Verstehen Gottes sprengt jedes denkbare System des Denkens.
- Religiös sein, das bedeutet unter Umständen lebenslang auf Sexualität zu verzichten und für seine Überzeugungen mit seinem Leben einzustehen. Es ist deshalb eine ziemlich merkwürdige Erwartung, dass sich ein Mensch auf eine Religion einlässt, weil er einen intelligenten Gedankengang hört oder liest. Auf der anderen Seite wäre es merkwürdig, wenn im Glauben erfasst wird, was wirklich ist, dieser Glaube aber zugleich allem, was wir logisch finden, komplett widerspräche. Diese „Lücke“ schließt das Unum Argumentum, indem es jeden verunsichert, der sich in abgeschlossenen Systemen unter einem leeren Himmel gemütlich einrichten möchte. Dadurch gibt es dem Kraft, der sich auf den Glauben einlässt; aber Glauben bleibt in jeder Hinsicht „gewagt“– als Herausforderung an das Denken und an das Handeln gleichermaßen.
Johannes Duns Scotus (1275-1309)
Immanuel Kant (1724-1804)
Um gleich eingangs mit zwei Vorurteilen aufzuräumen:
- Immanuel Kant[3] war zeitlebens fest davon überzeugt, dass Gott existiert. Vom Anfang bis zum Ende seines Schaffens gibt er dieser Überzeugung auch Ausdruck.
- Es ist keineswegs so, dass Kant die Gotteslehre ausschließlich in der Ethik beheimatet sieht. In der Kritik der reinen Vernunft werden zwar im Abschnitt über das transzendetale Ideal der Vernunft die traditionellen Gottesbeweise kritisiert, aber im Rahmen der Dialektik, in welchem insgesamt die Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit des theoretischen Erkennens Thema ist.
Die Bedeutung der kantischen Vernunftkritik für die Gottesfrage wird am klarsten in der Kritik der Urteilskraft dargestellt. Der Gedankengang sei knapp referiert:
Kant geht aus von der Unterscheidung zwischen bestimmenden und reflektierenden Urteilen. Wir können bestimmen – also auch vor- und zurückberechnen -, wie die Dinge sich verhalten, wenn wir ihren Mechanismus verstanden haben. Ein Mechanismus lässt sich in mathematischen Gleichungen ausdrücken, man kann ihn zeichnen und wenn man die passenden Materialien zur Hand hat, auch nachbauen. Die mathematische Beschreibung der Himmelsmechanik war der viel bewunderte Erfolg der Epoche Kants, doch bei allem Scharfsinn war es Isaac Newton (1643-1727) nicht gelungen, die Stabilität eines Systems aus mehr als zwei Himmelskörpern nachzuweisen. Deshalb glaubte er, dass Gott persönlich für die Feinjustierung der Umlaufbahnen der Sterne sorgen müsse. Kants Zeitgenosse Pierre Simon de Laplace (1749-1827) erfand neue Näherungsverfahren in den mechanischen Berechnungen und konnte vermeintlich das Mehrkörperproblem beherrschen: Wo bleibt denn Gott in ihrer Theorie, fragte ihn Kaiser Napoleon. Diese Hypothese habe ich nicht nötig, antwortete der Physiker dem erstaunten Herrscher. Erst zweihundert Jahre später stellt sich nun heraus, dass Laplace sich die Sache etwas zu einfach gemacht hatte und in seinen Berechnungen Terme unberücksichtigt ließ, die sich im Laufe lan¬ger Zeiträume aufsummieren und für Instabilität im Sonnensystem sorgen. Die Sterne bewegen sich nicht von Ewigkeit zu Ewigkeit auf denselben Bahnen, sondern verändern diese nur sehr, sehr langsam.
Die bestimmende Urteilskraft gibt keine vollständige Erkenntnis über alles und jedes. Zum Beispiel ist die bewegende Kraft – im Sonnensystem die Schwerkraft – etwas, das nicht me¬chanisch gedeutet werden kann. Newton hatte sie für eine direkte göttliche Wirkung ge¬hal¬ten. Auch was die Materie ist und wie die Unterschiede zu Stande kommen zwischen den verschiedenen Chemikalien, zwischen anorganischen und organischen Stoffen, lässt sich durch bestimmende Urteilskraft nicht klären. Wer denkt, das habe sich durch die Fortschritte der physikalischen Chemie seit Kant geändert, übersieht, dass man die Objekte der Quantenmechanik nicht konstruieren kann, diese also nicht im kantischen, sondern nur in einem übertragenen Sinn „mechanisch“ sind. Die Interpretation der Quantenphysik spielt aber für die Interpretation Kants keine Rolle.
Im Ergebnis müssen wir entweder darauf verzichten, über Dinge zu reden, deren Mechanismus wir nicht verstanden haben, die vielleicht gar keine Mechanismen sind, oder wir müssen ein anderes Urteilsvermögen nutzen: Während die bestimmende Urteilskraft Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge darstellt, untersucht die reflektierende Urteilskraft Kausalität nach Begriffen. Dass es so etwas gibt, wissen wir aus unserer eigenen Erfahrung: Gleich werde ich frühstücken, und mir ist es dabei wurschtegal, wie es mein Gehirn anstellt einen solchen Vorsatz zu fassen, welche Mechanismen ich in Bewegung setze, um in die Küche zu kommen und alles zu richten; mir geht es nur darum, dass ich mir ein gut belegtes Brötchen einverleiben und eine heiße Tasse Tee dazu trinken kann. Den Begriff „Frühstücken“ verstehe ich durch meine reflektierende Urteilskraft, ohne irgendwelche Mechanismen konstruieren zu können, und wenn ich den Amseln in meinem Garten zusehe, die Raupen aus der Wiese picken, dann glaube ich durch meine reflektierende Urteilskraft in etwa verstehen zu können, was die Vö¬gel da machen, und dass man es etwas mit meinem eigenen Frühstück gut vergleichen kann.
Eine Untersuchung meiner Umwelt durch die reflektierende Urteilskraft wird also darauf hinauslaufen, Erscheinungen in der Natur als Analogie meiner zweckbestimmten Handlungsweise zu erkennen. Darauf beruht die kantische Definition eines Lebewesens, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass in ihm alles Mittel und wechselseitig auch Zweck ist. Kant nimmt durchaus den Gedanken Darwins vorweg, dass alle Lebewesen miteinander natürlicherweise verwandt seien, und er diskutiert sogar, ob nicht die Erde in einem der Kristallisation ähnlichen Vorgang urtümliches Leben spontan hervorgebracht haben könnte. Das än¬dert aber nichts am Grundsatz: Wir können die Verstehensleistung, die wir durch die reflektierende Urteilskraft erreichen, nicht auf Mechanismen reduzieren, also bleibt die Zweckmäßigkeitsbetrachtung zulässig und notwendig, um das Leben und die Natur insgesamt, in der Leben vorkommt, zu verstehen.
Nachdem er dieses Ergebnis erreicht hat, denkt Kant darüber nach, ob es zulässig ist, aus der Betrachtung der reflektierenden Urteilskraft ein System zu machen, so etwas wie eine Hierarchie der Zwecke zu ermitteln mit einem Endzweck von allem als Ordnung stiftendem Zentrum. Ja, sagt Kant, das ist nicht nur zulässig, sondern es ist sogar unvermeidlich, denn der Ausgangspunkt aller analogen Anwendungen unserer Begriffe im Tier- und Pflanzenreich, ja in der Natur insgesamt, ist unsere Erfahrung Dinge zu begreifen und etwas zu wol¬len. In uns ist die Kausalität nach Begriffen eine Kausalität durch Freiheit, und wenn irgendetwas, dann kann nur das Endzweck der ganzen Welt sein. Ist aber Kausalität durch Freiheit in der Welt möglich, dann muss man auch die Möglichkeit zugestehen, dass die Welt insgesamt durch Kausalität aus Freiheit hervorgebracht worden ist, und das ist eine Möglich¬keit, die ihre Wirklichkeit einschließt. Wenn es sich aber um Frei¬heit handelt, der wir die Exis¬tenz der Welt und unsere eigene Existenz verdanken, dann ver¬bietet es sich der Weltursache vorschreiben zu wollen, wie sie zu sein und sich zu benehmen habe. Deshalb kommt Kant zu dem Schluss:
Die teleologische Naturbetrachtung treibt uns zwar an, eine Theologie zu suchen, kann aber selbst keine hervorbringen.
Damit ist eigentlich auch die Falsifikationsbedingung der Gottesüberzeugung ausgesprochen:
Löst die menschliche Freiheit in einen Mechanismus auf, dann werden wir euch zugeben, dass Freiheit unmöglich und Gott nicht existent ist!