Parisische Umrisse: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Georg Forster]] 1993/94 aus Paris über die [[Französische Revolution]] (Forster ist am 10.1.1794 an Lungenentzündung gestorben.) | [[Georg Forster]] 1993/94 aus Paris über die [[Französische Revolution]] (Forster ist am 10.1.1794 an Lungenentzündung gestorben.) | ||
{{Zitat|Anmerkung des Einsenders. Sie werden hier einen andern Pariser Correspondenten auftreten lassen, der freilich die gegenwärtige Lage der Sache in Frankreich mit seiner eigenen Brille betrachtet. Er ist der Revolution, wie man sehen wird, auf keine Weise abgeneigt, wiewohl er sie aus einem ganz besondern Gesichtspunkt in Schutz zu nehmen scheint. [...] seine Partheilichkeit werden Ihre Leser wohl von selbst gewahr werden, ohne daß wir jedesmal daran zu erinnern brauchten. Übrigens aber hat es mir geschienen, als ob es theils der Abwechslung wegen, theils um die Leser in ihrer richterlichen Eigenschaft bei dem großen Weltprozesse vollständig zu instruiren, unmöglich schade könne, auf diese Art et alteram partem gebührend vernommenen zu haben.[727] | {{Zitat|Anmerkung des Einsenders. Sie werden hier einen andern Pariser Correspondenten auftreten lassen, der freilich die gegenwärtige Lage der Sache in Frankreich mit seiner eigenen Brille betrachtet. Er ist der Revolution, wie man sehen wird, auf keine Weise abgeneigt, wiewohl er sie aus einem ganz besondern Gesichtspunkt in Schutz zu nehmen scheint. [...] seine Partheilichkeit werden Ihre Leser wohl von selbst gewahr werden, ohne daß wir jedesmal daran zu erinnern brauchten. Übrigens aber hat es mir geschienen, als ob es theils der Abwechslung wegen, theils um die Leser in ihrer richterlichen Eigenschaft bei dem großen Weltprozesse vollständig zu instruiren, unmöglich schade könne, auf diese Art et ''alteram partem''<ref>vgl. ''audiatur et altera pars'': Man soll auch die zweite Seite anhören.</ref> gebührend vernommenen zu haben.[727] | ||
Paris, den 1sten des Wintermonds (Brumaire) im 2ten Jahr der Republik. | ''Paris, den 1sten des Wintermonds (Brumaire)<ref>Der {{wpde|Brumaire}} (deutsch auch Nebelmonat) ist der zweite Monat des republikanischen Kalenders der Französischen Revolution.</ref> im 2ten Jahr der Republik.'' | ||
Die Hauptstadt Frankreichs war seit langer Zeit die hohe Schule der Menschenkenntniß. Mehr als jemals ist sie es jetzt, und es bedarf nur eines kurzen Aufenthalts und eines flüchtigen Blicks, um hier inne zu werden, was man anderwärts in Jahrzehenden kaum ergrübelt, und nicht nur den Geist der Gegenwart, sondern auch die Zeichen der Zukunft zu enträthseln. In der neuen Republik ist Paris, was Rom einst in dem Universalreiche war: das ungeheure Haupt, von welchem sich alle Bewegungen durch die Provinzen fortpflanzen, und wo alle Gegenwirkungen zusammen fließen. London, mit einer weit größern Volksmenge, die, im Vergleich mit der Bevölkerung Englands, sich gegen Paris wie sieben zu eins verhält, hat nicht den zehnten Theil der Wichtigkeit und des Einflusses auf das Land. Die moralische Herrschaft von Paris über die benachbarten Departemente, zum Beispiel, wird durch die Revolutionsarmee recht anschaulich, die gestern ausgezogen ist, um für die Verproviantirung der Hauptstadt zu sorgen; denn daß in der öffentlichen Meinung die größte Stärke dieses Heeres besteht, wird niemand bezweifeln wollen, der es nur sechstausend stark gesehen hat. [...] | Die Hauptstadt Frankreichs war seit langer Zeit die hohe Schule der Menschenkenntniß. Mehr als jemals ist sie es jetzt, und es bedarf nur eines kurzen Aufenthalts und eines flüchtigen Blicks, um hier inne zu werden, was man anderwärts in Jahrzehenden kaum ergrübelt, und nicht nur den Geist der Gegenwart, sondern auch die Zeichen der Zukunft zu enträthseln. In der neuen Republik ist Paris, was Rom einst in dem Universalreiche war: das ungeheure Haupt, von welchem sich alle Bewegungen durch die Provinzen fortpflanzen, und wo alle Gegenwirkungen zusammen fließen. London, mit einer weit größern Volksmenge, die, im Vergleich mit der Bevölkerung Englands, sich gegen Paris wie sieben zu eins verhält, hat nicht den zehnten Theil der Wichtigkeit und des Einflusses auf das Land. Die moralische Herrschaft von Paris über die benachbarten Departemente, zum Beispiel, wird durch die Revolutionsarmee recht anschaulich, die gestern ausgezogen ist, um für die Verproviantirung der Hauptstadt zu sorgen; denn daß in der öffentlichen Meinung die größte Stärke dieses Heeres besteht, wird niemand bezweifeln wollen, der es nur sechstausend stark gesehen hat. [...] | ||
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Sie werden es nunmehr so ungereimt nicht finden, daß ich vorhin an das duo dum faciunt idem etc. erinnert habe. Die Erscheinungen unter dem Joche des Despotismus können denen, die sich während einer republikanischen Revolution ereignen, sehr ähnlich sehen, und die letzteren sogar einen Anstrich von Fühllosigkeit und Grausamkeit haben, den man dort wohl hinter einer sanfteren Larve zu verbergen weiß; doch sind sie schon um deswillen himmelweit verschieden, weil sie durch ganz verschiedenartige Kräfte bewirkt werden, und von der öffentlichen Meinung selbst einen ganz verschiedenen Stempel erhalten. Eine Ungerechtigkeit verliert ihr Empörendes, ihr Gewaltthätiges, ihr Willkührliches, wenn die öffentliche Volksmeinung, die als Schiedsrichterin unumschränkt in letzter Instanz entscheidet, dem Gesetze der [733] Nothwendigkeit huldigt, das jene Handlung oder Verordnung oder Maßregel hervorrief. | Sie werden es nunmehr so ungereimt nicht finden, daß ich vorhin an das duo dum faciunt idem etc. erinnert habe. Die Erscheinungen unter dem Joche des Despotismus können denen, die sich während einer republikanischen Revolution ereignen, sehr ähnlich sehen, und die letzteren sogar einen Anstrich von Fühllosigkeit und Grausamkeit haben, den man dort wohl hinter einer sanfteren Larve zu verbergen weiß; doch sind sie schon um deswillen himmelweit verschieden, weil sie durch ganz verschiedenartige Kräfte bewirkt werden, und von der öffentlichen Meinung selbst einen ganz verschiedenen Stempel erhalten. Eine Ungerechtigkeit verliert ihr Empörendes, ihr Gewaltthätiges, ihr Willkührliches, wenn die öffentliche Volksmeinung, die als Schiedsrichterin unumschränkt in letzter Instanz entscheidet, dem Gesetze der [733] Nothwendigkeit huldigt, das jene Handlung oder Verordnung oder Maßregel hervorrief. | ||
Dieser Vortheil ist wesentlicher, als Sie es viel leicht mit vielen Antigallikanern geglaubt haben mögen, und ersetzt uns so manche Unvollkommenheit derRevolutionsregierung, daß man diese nie richtig beurtheilen wird, bis man ihm nicht volle Gerechtigkeit hat widerfahren lassen. Der National – Convent herrscht lediglich durch die Opinion, bald, indem er sich ihr bequemt, bald, indem er durch seine Berathschlagungen und seine ungeheure Thätigkeit auf sie zurückwirkt und sie bestimmt. So wenig wünschenswerth unser Zustand in Absicht auf die Regierung immerhin genannt und geschildert werden mag, so irrt man doch bei Ihnen gar zu sehr, wenn man von ihrer heterokliten Beschaffenheit auf ihre Zerstörbarkeit schließt; denn was ihr Dauer und Stärke verspricht, ist ja gerade diese durch das Ganze jetzt unwiderstehlich herrschende Einheit des Volkswillens, verbunden mit der Repräsentantenvernunft. Setzen Sie diese letztere so tief herab, wie es Ihnen gut dünkt; dennoch bleibt noch immer ein solcher Lichtherd übrig, daß, sobald nur jener Einklang mit dem allgemeinen Wollen vorhanden ist, nichts dem politischen Riesen widerstehen kann. Warum verhält es sich beim Despotismus anders? Die Auflösung liegt am Tage. Die Einheit fehlt; Vernunft und Wille sind beide nur im Kopfe des Herrschers und seiner Räthe; das Volk ist eine leblose Masse, ein todter Körper, der bloß mechanischen Antrieben gehorcht; jene geistigen Kräfte durchströmen und beleben ihn nicht, verbinden ihn nicht mit sich selbst zu einem lebendigen Ganzen. Beider Zweck und Streben sind gänzlich verschieden. Freilich giebt es noch ein Mittel, die Trägheit, oder die Kraft des Widerstandes im Volke zu überwinden; aber das Beispiel Frankreichs haben wir zu deutlich vor Augen. Wehe dem Deutschen Necker, der sie dort entbindet und in Bewegung setzet!|Georg Forster: Parisische Umrisse, S.729 - 733}} | Dieser Vortheil ist wesentlicher, als Sie es viel leicht mit vielen Antigallikanern geglaubt haben mögen, und ersetzt uns so manche Unvollkommenheit derRevolutionsregierung, daß man diese nie richtig beurtheilen wird, bis man ihm nicht volle Gerechtigkeit hat widerfahren lassen. Der National – Convent herrscht lediglich durch die Opinion, bald, indem er sich ihr bequemt, bald, indem er durch seine Berathschlagungen und seine ungeheure Thätigkeit auf sie zurückwirkt und sie bestimmt. So wenig wünschenswerth unser Zustand in Absicht auf die Regierung immerhin genannt und geschildert werden mag, so irrt man doch bei Ihnen gar zu sehr, wenn man von ihrer heterokliten Beschaffenheit auf ihre Zerstörbarkeit schließt; denn was ihr Dauer und Stärke verspricht, ist ja gerade diese durch das Ganze jetzt unwiderstehlich herrschende Einheit des Volkswillens, verbunden mit der Repräsentantenvernunft. Setzen Sie diese letztere so tief herab, wie es Ihnen gut dünkt; dennoch bleibt noch immer ein solcher Lichtherd übrig, daß, sobald nur jener Einklang mit dem allgemeinen Wollen vorhanden ist, nichts dem politischen Riesen widerstehen kann. Warum verhält es sich beim Despotismus anders? Die Auflösung liegt am Tage. Die Einheit fehlt; Vernunft und Wille sind beide nur im Kopfe des Herrschers und seiner Räthe; das Volk ist eine leblose Masse, ein todter Körper, der bloß mechanischen Antrieben gehorcht; jene geistigen Kräfte durchströmen und beleben ihn nicht, verbinden ihn nicht mit sich selbst zu einem lebendigen Ganzen. Beider Zweck und Streben sind gänzlich verschieden. Freilich giebt es noch ein Mittel, die Trägheit, oder die Kraft des Widerstandes im Volke zu überwinden; aber das Beispiel Frankreichs haben wir zu deutlich vor Augen. Wehe dem Deutschen Necker, der sie dort entbindet und in Bewegung setzet!|Georg Forster: Parisische Umrisse, S.729 - 733}} | ||
{{Zitat|Paris, den 15ten Wintermonds, im 2ten Jahr der R. | {{Zitat|''Paris, den 15ten Wintermonds, im 2ten Jahr der R.'' | ||
Sie wissen, so gut wie ich, mein Lieber, daß wenn man dem Französischen Leichtsinne Zeit läßt und das Stündlein des Ernstes und der Besonnenheit abwarten kann, niemand gegen Andre, und zumal gegen Fremde, billiger ist, und ihnen lieber Gerechtigkeit widerfahren läßt, als der Franzose. Dieser Zug in unsrem Nationalcharakter hat sich nicht geändert; ich möchte vielmehr sagen, man ist in der Billigkeit des Urtheils fortgeschritten, so wenig der allgemeine Krieg diese Denkungsart zu begünstigen scheint. Die Phraseologie unsrer Tribünen und Zeitungsblätter muß Sie hierüber nicht irre machen; sie ist bloßer Kurialstyl, und gehört zur neuern Diplomatie. So lange wir von unsren Feinden keine andre Benennung als die von Schurken, Spitzbuben, Bösewichtern, Gottesläugnern und Königsmördern erhalten können; so lange schallt es gräßlich aus unsrem Revier mit Tyrannen, Räubern, Ungeheuern, Sklaven, Banditen und Viehmenschen zurück. Vernünftige Leute, deren es, wills Gott! viele auf beiden Seiten giebt, wissen, was von diesem Feldgeschrei zu halten ist, und führen den Krieg nur in der Absicht, zum Frieden zu gelangen. In Ernst hat wohl noch niemand, der bei gesundem Verstande war, mit Schimpf- und Ekelnahmen etwas zu beweisen geglaubt; und wem wollte man endlich auch auf diese Art beweisen? [...] | Sie wissen, so gut wie ich, mein Lieber, daß wenn man dem Französischen Leichtsinne Zeit läßt und das Stündlein des Ernstes und der Besonnenheit abwarten kann, niemand gegen Andre, und zumal gegen Fremde, billiger ist, und ihnen lieber Gerechtigkeit widerfahren läßt, als der Franzose. Dieser Zug in unsrem Nationalcharakter hat sich nicht geändert; ich möchte vielmehr sagen, man ist in der Billigkeit des Urtheils fortgeschritten, so wenig der allgemeine Krieg diese Denkungsart zu begünstigen scheint. Die Phraseologie unsrer Tribünen und Zeitungsblätter muß Sie hierüber nicht irre machen; sie ist bloßer Kurialstyl, und gehört zur neuern Diplomatie. So lange wir von unsren Feinden keine andre Benennung als die von Schurken, Spitzbuben, Bösewichtern, Gottesläugnern und Königsmördern erhalten können; so lange schallt es gräßlich aus unsrem Revier mit Tyrannen, Räubern, Ungeheuern, Sklaven, Banditen und Viehmenschen zurück. Vernünftige Leute, deren es, wills Gott! viele auf beiden Seiten giebt, wissen, was von diesem Feldgeschrei zu halten ist, und führen den Krieg nur in der Absicht, zum Frieden zu gelangen. In Ernst hat wohl noch niemand, der bei gesundem Verstande war, mit Schimpf- und Ekelnahmen etwas zu beweisen geglaubt; und wem wollte man endlich auch auf diese Art beweisen? [...] | ||
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Entstanden 1793/94, Erstdruck in: Friedens- Präliminarien (Berlin), 1. Bd., 1793, 4. Stück, und 2. Bd., 1794, 5/6. Stück. | Entstanden 1793/94, Erstdruck in: Friedens- Präliminarien (Berlin), 1. Bd., 1793, 4. Stück, und 2. Bd., 1794, 5/6. Stück. | ||
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Version vom 18. August 2015, 04:39 Uhr
Georg Forster 1993/94 aus Paris über die Französische Revolution (Forster ist am 10.1.1794 an Lungenentzündung gestorben.)
Entstanden 1793/94, Erstdruck in: Friedens- Präliminarien (Berlin), 1. Bd., 1793, 4. Stück, und 2. Bd., 1794, 5/6. Stück.
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