Mein Leben (Seume): Unterschied zwischen den Versionen
K (→Seume wird gezwungen, hessischer Soldat zu werden: Seitenzahl korrigiert) |
K (→Seumes verlässt seine Heimat: Seitenzahl korrigiert) |
||
Zeile 9: | Zeile 9: | ||
''Seume studierte Theologie und konnte nach der Lektüre aufklärerischer Schriften mit der Theologie des orthodoxen Luthertums nichts mehr anfangen. Da er aber befürchten musst, später als Prediger immer darauf festgelegt zu werden, beschloss er, dieser Falle zu entrinnen.'' | ''Seume studierte Theologie und konnte nach der Lektüre aufklärerischer Schriften mit der Theologie des orthodoxen Luthertums nichts mehr anfangen. Da er aber befürchten musst, später als Prediger immer darauf festgelegt zu werden, beschloss er, dieser Falle zu entrinnen.'' | ||
{{Zitat|Nach vielen Kämpfen, die mir allerdings wohl das Ansehen eines Melancholischen geben mochten, ging ich auf und davon, ohne einen fest bestimmten Vorsatz, wohin und wozu. Ich nahm mein Monatsgeld, verkaufte einige Bücher, die etwas Wert hatten, und nach Abzahlung meiner kleinen Schulden, die ich notwendig haben mußte, blieben mir ungefähr neun Taler. Mit diesen dachte ich schon nach Paris zu kommen und mich umzusehen, was da für mich zu tun sei. Von dort aus – wer sieht nicht gern zuvor Paris? – dachte ich nach Metz in die Artillerieschule, da ich eben damals angefangen hatte, etwas ernsthaft Französisch und Mathematik zu treiben. Das übrige überließ ich billig dem Schicksal. Das Traurigste war der qualvolle Gedanke an meine Mutter; und ich muß bekennen, daß ich mir alle, obwohl vergebliche Mühe gab, ihn zu unterdrücken, da ich die Unmöglichkeit sah, meine Sinnesart zu ändern, und die Unmöglichkeit, bei dieser Sinnesart als ehrlicher Mann hierzubleiben. Sie war zwar keine Zelotin und würde mich nicht sogleich verdammt haben; doch würde ihr ruhiges Wesen es widersprechend gefunden haben, daß ein Kopf sich nicht bei dem beruhigen könne, wobei sich so viele Hunderttausende ehrsam beruhigen. Auf alle Fälle würde ihr meine Lage, wenn ich geblieben wäre, fast ebenso schmerzlich gewesen sein als meine Entfernung. Ich ging also nach Berichtigung meiner Schulden fort, ohne irgend jemand eine Silbe gesagt zu haben. Den Degen an der Seite, einige Hemden auf dem Leibe und im Reisesack und einige Klassiker in der Tasche, marschierte ich zwar ganz rüstig und leicht, aber nichts weniger als ruhig durch die Dörfer nach Dürrenberg, setzte dort über die Saale ging über das Schlachtfeld bei Roßbach und blieb die erste Nacht in einem kleinen Dorf bei Freiburg, das glaube ich, Zeugefeld hieß. Hier schrieb ich in meiner Verlassenheit und mit schwerem Gefühl abends eine gar rührende Elegie über meinen Zustand. Sie gehört zu den Heiligtümern meiner Seele; niemand hat sie gesehen, und sie hat sich bald aus meinem Taschenbuche verloren, sowie meine Stimmung sich erheiterte und einen etwas stoischen Takt erhielt. Den zweiten Abend blieb ich in einem Dorfe vor Erfurt, wo man mich mit vieler Teilnahme sehr gut, sehr wohlfeil bewirtete und mich schonend merken ließ, ich hätte wohl jemand mit dem Instrumente da, man wies auf den Degen, etwas übel behandelt und müsse das Weite suchen. Ich widersprach zwar, aber man schien doch so etwas zu glauben. In Erörterungen mochte ich mich nicht einlassen, und ihre Meinung tat mir weiter keinen Schaden. | {{Zitat|Nach vielen Kämpfen, die mir allerdings wohl das Ansehen eines Melancholischen geben mochten, ging ich auf und davon, ohne einen fest bestimmten Vorsatz, wohin und wozu. Ich nahm mein Monatsgeld, verkaufte einige Bücher, die etwas Wert hatten, und nach Abzahlung meiner kleinen Schulden, die ich notwendig haben mußte, blieben mir ungefähr neun Taler. Mit diesen dachte ich schon nach Paris zu kommen und mich umzusehen, was da für mich zu tun sei. Von dort aus – wer sieht nicht gern zuvor Paris? – dachte ich nach Metz in die Artillerieschule, da ich eben damals angefangen hatte, etwas ernsthaft Französisch und Mathematik zu treiben. Das übrige überließ ich billig dem Schicksal. Das Traurigste war der qualvolle Gedanke an meine Mutter; und ich muß bekennen, daß ich mir alle, obwohl vergebliche Mühe gab, ihn zu unterdrücken, da ich die Unmöglichkeit sah, meine Sinnesart zu ändern, und die Unmöglichkeit, bei dieser Sinnesart als ehrlicher Mann hierzubleiben. Sie war zwar keine Zelotin und würde mich nicht sogleich verdammt haben; doch würde ihr ruhiges Wesen es widersprechend gefunden haben, daß ein Kopf sich nicht bei dem beruhigen könne, wobei sich so viele Hunderttausende ehrsam beruhigen. Auf alle Fälle würde ihr meine Lage, wenn ich geblieben wäre, fast ebenso schmerzlich gewesen sein als meine Entfernung. Ich ging also nach Berichtigung meiner Schulden fort, ohne irgend jemand eine Silbe gesagt zu haben. Den Degen an der Seite, einige Hemden auf dem Leibe und im Reisesack und einige Klassiker in der Tasche, marschierte ich zwar ganz rüstig und leicht, aber nichts weniger als ruhig durch die Dörfer nach Dürrenberg, setzte dort über die Saale ging über das Schlachtfeld bei Roßbach und blieb die erste Nacht in einem kleinen Dorf bei Freiburg, das glaube ich, Zeugefeld hieß. Hier schrieb ich in meiner Verlassenheit und mit schwerem Gefühl abends eine gar rührende Elegie über meinen Zustand. Sie gehört zu den Heiligtümern meiner Seele; niemand hat sie gesehen, und sie hat sich bald aus meinem Taschenbuche verloren, sowie meine Stimmung sich erheiterte und einen etwas stoischen Takt erhielt. Den zweiten Abend blieb ich in einem Dorfe vor Erfurt, wo man mich mit vieler Teilnahme sehr gut, sehr wohlfeil bewirtete und mich schonend merken ließ, ich hätte wohl jemand mit dem Instrumente da, man wies auf den Degen, etwas übel behandelt und müsse das Weite suchen. Ich widersprach zwar, aber man schien doch so etwas zu glauben. In Erörterungen mochte ich mich nicht einlassen, und ihre Meinung tat mir weiter keinen Schaden. | ||
|Seume: Mein Leben, S. 95- | |Seume: Mein Leben, S. 95-96}} | ||
== Seume wird gezwungen, hessischer Soldat zu werden == | == Seume wird gezwungen, hessischer Soldat zu werden == |
Version vom 28. März 2008, 13:13 Uhr
Johann Gottfried Seume berichtet in seiner unvollendeten autobiographischen Schrift Mein Leben über sein Leben von der Kindheit bis zur Rückkehr von seiner Zeit als hessischer SoldatDatei:Wikipedia-logo.png in Amerika. Hier werden nur kurze Ausschnitte vorgelegt.
Seumes Ausbildungsgang
Intelligent und eigenwillig lernt Seume vor allem, war er selbst für wichtig hält, ist aber einem seiner Lehrer sehr dankbar für seine Anleitung.
Seumes verlässt seine Heimat
Seume studierte Theologie und konnte nach der Lektüre aufklärerischer Schriften mit der Theologie des orthodoxen Luthertums nichts mehr anfangen. Da er aber befürchten musst, später als Prediger immer darauf festgelegt zu werden, beschloss er, dieser Falle zu entrinnen.
Seume wird gezwungen, hessischer Soldat zu werden
Der Plan zu desertieren
Die Bestrafung
Die Weiterreise
Die Atlantiküberquerung
Anmerkungen
Auslassungen und Zusätze zur Erläuterung sind innerhalb der Zitatblöcke durch eckige Klammern kenntlich gemacht.
Buchausgaben
- Peter Goldammer u. Heinz Pietzsch (Hrsg.): Seume. Ein Lesebuch für unsere Zeit, Thüringer Volksverlag Weimar 1954, S.51-129 (Die obigen Seitenangaben folgen dieser Ausgabe.)
- Jörg Drews (Hrsg): Mein Leben. Nebst der Fortsetzung von C. J. Göschen u. C. A. H. Clodius. 2., überarb. Aufl. Stuttgart 2002 (= Reclams Universal Bibliothek, 1060) [1. Aufl. 1991].
- Johann Seume: Mein Leben, Elibron Classics, 2000