Landschaftsbeschreibungen in der Literatur

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Landschaftsbeschreibungen in der deutschsprachigen Literatur

Einordnungen

"Große Dichtung gibt es von der Beseelung der ganzen Welt, jedes Steins, jedes Blatts, jedes Tierleins, durch die allumfassende Liebe und es gibt große Dichtung vom gegenläufigen Prozeß, von der unausweichlichen Verödung der Welt, ihrer Entseelung und Erkältung, vom allgemeinen Verdorren und Vertrocknen. Das 'Mayfest' wird zur 'Winterreise'. Ganz schrecklich kann das bei Lenau sein. Eichendorff - »und über die Wasser weht's kalt« - beginnt, wie Brentano, aus solcher Versteppung heraus wieder den alten Gott zu beschwören."
(Peter v. Matt: Liebesverrat, die Treulosen in der Literatur dtv 1991 S.225)

Aus Der Grüne Heinrich von Gottfried Keller

»Zuvörderst will ich ein Landschaftsmaler werden«, erwiderte ich, »und habe dazu allerdings große Lust und hoffe, der liebe Gott werde mir auch das Geschick geben!«
»Ein Landschaftsmaler? Das heißt, merkwürdige Städte, Gebirge und Weltgegenden abbilden? Hm! Dieses scheint mir nicht so übel zu sein, da lernt man wenigstens die Welt kennen und kommt weit umher; Länder, Meere und allenfalls auch die Menschen dazu; aber dazu gehört besonderer Mut und eigenes Glück, wie mich dünkt, und vor allem soll, meines Erachtens, ein junger Mensch darauf denken, wie er im Lande bleiben und sich redlich nähren, auch seinen Mitbürgern sich nützlich und seinen Eltern dienstbar erweisen kann!«
»Die Landschaftsmalerei, die ich im Sinne habe, ist nicht sowohl, was Ihr hiermit darunter versteht, Herr Vetter, als etwas ganz anderes!«
»Nun, und das wäre?«
»Sie besteht nicht darin, daß man merkwürdige und berühmte Orte aufsucht und nachmacht, sondern darin, daß man die stille Herrlichkeit und Schönheit der Natur betrachtet und abzubilden sucht, manchmal eine ganze Aussicht, wie diesen See mit den Wäldern und Bergen, manchmal einen einzigen Baum, ja nur ein Stücklein Wasser und Himmel.«  [...]
»Gibt es denn eine solche Art der Kunst und wird sie anerkannt?« fragte der gute Schulmeister ganz verblüfft.
»Jawohl«, erwiderte ich, »in den Städten, in den Häusern der Vornehmen, da hängen schöne glänzende Gemälde, welche meistens stille grüne Wildnisse vorstellen, so reizend und trefflich gemalt, als sähe man in Gottes freie Natur, und die eingeschlossenen gefangenen Menschen erfrischen ihre Augen an den unschuldigen Bildern und nähren diejenigen reichlich, welche sie zustande bringen!«
Der Schulmeister trat an das Fenster und schaute etwas überrascht hinaus.
»Also dieser kleine See zum Beispiel, diese meine holdselige Einsamkeit würde ein genugsamer Gegenstand sein für die Kunst, obgleich niemand den Namen kennte, bloß wegen der Milde und Macht Gottes, die sich auch hier offenbart?«
»Ja gewiß! Ich hoffe noch, Euch diesen See mit seinem dunklen Ufer, mit dieser Abendsonne so zu malen, daß Ihr mit Vergnügen diesen Nachmittag darin erkennen sollt und selbst sagen müßt, es sei weiter hierzu nichts nötig, um bedeutend zu sein, das heißt, wenn ich ein Maler werden kann und was Rechtes lerne!« setzte ich hinzu.
»Jetzt habe ich alter Mensch wieder etwas Neues gelernt«, sagte mein Vetter gerührt [...]
(Gottfried Keller: Der grüne Heinrich (Neufassung 1879) 1. Teil, 21. Kapitel)

Beispiele

(Textstellen folgen)

Landschaft klassisch

  • Gestaltete Landschaft - Naturverbesserungen: J.W.v.Goethe: Die Wahlverwandschaften
  • Durchgangslandschaft in die Geschichte: Friedrich Schiller "Der Spaziergang"


Frei empfängt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich;
Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad.
Um mich summt die geschäftige Bien', mit zweifelndem Flügel
Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichten Klee.
Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste,
Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft.
Doch jetzt braust's aus dem nahen Gebüsch: tief neigen der Erlen
Kronen sich, und im Wind wogt das versilberte Gras;
Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein.
In des Waldes Geheimniß entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor.
Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubigtes Gitter
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.
Aber plötzlich zerreißt der Flor. Der geöffnete Wald gibt
Überraschend des Tags blendendem Glanz mich zurück.
Unabsehbar ergießt sich vor meinen Blicken die Ferne,
Und ein blaues Gebirg endigt im Dufte die Welt.
Tief an des Berges Fuß, der gählings unter mir abstürzt,
Wallet des grünlichten Stroms fließender Spiegel vorbei.
Endlos unter mir seh' ich den Äther, über mir endlos,
Blicke mit Schwindel hinauf, blicke mit Schaudern hinab.
Aber zwischen der ewigen Höh' und der ewigen Tiefe
Trägt ein geländerter Steig sicher den Wandrer dahin.

Innere Landschaften - Gemütslandschaften

"Nichts aber ist in diesem Zusammenhang aufregender als ein Vergleich zwischen der ersten Seite von Büchners 'Lenz' und den naturhymnischen Passagen im 'Werther'. [...] In den Landschaftsspektakeln des »Werther« bricht die verborgene Seele der Natur aus, einer göttlich-stürmischen Natur. Da braust und wogt pneumatisch die kosmische Liebe. Bei Büchner braust und tobt und blitzt und gleißt es ebenfalls in der Natur, auf den Kuppen der Vogesen, die gleichen Wörter tauchen auf und ein verwandtes Ungestüm der Bilder und Metaphern. Aber jetzt ist die Beseelung der Welt die fürchterliche Projektion eines gestörten Kopfs, der seine arme Wirrnis, seinen Hirnbrand in die Landschaft spiegelt. Kein Erdgeist wälzt sich in den Schluchten und widerhallt von den Felswänden, sondern es halluziniert in einem armen kaputten Schädel und alle »Würckungskrafft« ist nichts weiter als beginnende Schizophrenie. Das ist nicht mehr der »heilige Wahnsinn« als »höchste menschliche Erscheinung«, was von Werther zu sagen durchaus am Platze wäre, sondern es ist: die deutsche Gegenreligion als Geisteskrankheit." ((Peter v. Matt: Liebesverrat, die Treulosen in der Literatur dtv 1991 S.225))
  • Verloren in mittäglicher Traum-Landschaft: J.F.v.Eichendorff: Das Marmorbild (1818)


Überblickte Landschaften

  • Gottfried Keller: Der grüne Heinrich (Abendlandschaft)
  • Adalbert Stifter: Der Hagestolz (4. Wanderung))


Bewegte Landschaften

  • Kahnfahrt mit Landschaft: Adalbert Stifter: Der Hagestolz (4. Wanderung)


Bedrohliche Landschaft

  • Am "Schauplatz einer Drohung": Alfred Andersch Sansibar oder der letzte Grund

Bedrohte Landschaft

Gesuchte Einsamkeit

  • Der "Magnetpol der größtmöglichen Einsamkeit" (Patrick Süßkind: Das Parfum)


Siehe auch