Confessiones (Augustinus)

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Sehnsucht nach Liebe

Gefallen bin ich, und ich lag so tief,
Von falscher Liebe sündenvoll umfangen,
Und konnte nie der Liebe Ruh erlangen,
Ob mich der Weisheit ernster Drang ergrif.

Denn eine falsche war es, die mich rief,
Sie kam in ihrer Truggestalten Prangen,
Ich bin ihr stolz und brünstig angehangen,
Ich träumte lange, ohne daß ich schlief.

In Wollust und im Pfuhl der Ketzerlehren
Floß meine ganze, heiße Jugend hin –
Spät, als ein Mann erst, mocht ich wiederkehren.
Warum so lang in eitlen Sündenmüh'n?
Ich hab' ein Herz, und konnte dich entbehren!
O Wunderhuld, daß ich dein eigen bin!

I. [43] Ich kam nach Karthago, und mich umrauschte überall das Gewirre lasterhafter Liebeshändel. Noch liebte ich nicht und begehrte zu lieben, und in tief verhüllter Bedürftigkeit zürnte ich mir, daß ich mich nicht liebebedürftiger fühlte. Der Liebe hold sucht ich den Gegenstand meiner Liebe, aber ich haßte den Seelenfrieden und den von Fallstricken freien Weg. Augustinus: Confessiones (Bekenntnisse), 3. Buch, S.41-43


Mann: Philosophie, Wollust, Neugier; Frau: Liebe?

Mit Schmerz bedachte ich die lange Zeit, welche nun von meinem neunzehnten Lebensjahre an verstrichen war, seit welchem ich in brennendem Eifer die Weisheit mit dem Vorhaben gesucht, wenn ich sie gefunden hätte, alle meine verwerfliche Begierden und lügnerische Albernheiten aufzugeben; denn siehe, ich lebte im dreißigsten Jahre und klebte noch an diesem Unrath, voll Gier nach dem flüchtigen, zerstreuenden Genuß der Gegenwart. Und das waren in der langen Zeit meine Gedanken: »Morgen werde ich es finden, es wird sich mir darbieten und fest werde ichs halten; siehe, Faustus wird kommen und wird mir Alles erklären. [...]

Ich liebte das selige Leben, und fürchtete, es in seiner Wohnung zu finden, ich floh vor ihm, da ich es suchte. Denn ich wähnte, ich würde gar zu elend werden, wenn ich des Weibes Umarmungen entbehren müßte, und dachte nicht an das Heilmittel deiner Erbarmung, das mich von diesem Uebel erlösen konnte, denn ich hatte es nie noch versucht. Ich hielt die Enthaltsamkeit für Sache der eigenen Kraft, von der ich wußte, daß sie mir fehlte, da ich in Thorheit nicht wußte, was geschrieben steht: »ich kann nicht anders züchtig sein, es gebe mirs denn Gott.« (Weish. 8, 21.) Wahrlich, mir hättest du es gegeben, wäre ich mit Seufzen zu dir gekommen und hätte mit festem Glauben mein Anliegen auf dich geworfen. [...] Wohl suchte mich Alypius von der Heimführung einer Gattin abzuhalten und mich zu überzeugen, wenn ich das ausgeführt hätte, könnten wir nicht ungestört der Liebe zur Weisheit leben, der wir schon so lange verlangten. Er selbst lebte rein, während er sich in der ersten Jugend befleckt, aber dem Laster nicht hingegeben hatte, und es in schmerzendem Gedächtnis seines Falls um so mehr verachtete und um so enthaltsamer lebte. Ich hielt ihm das Beispiel derer entgegen, welche sich auch in der Weisheit befleißigt, Gott erworben und ihre Freunde treu und werth gehalten hätten; und [136] doch war ich weit entfernt von dem Seelenadel solcher Männer, war gebunden von der krankhaften Sinnenlust nach tödlichem Genuße und schleppte mich an meiner Kette. Ich fürchtete, von ihr gelöst zu werden, und da mir schon die Wunde geschlagen war, verschmähte ich die Worte des freundlich Rathenden, die doch einer heilenden Hand glichen. Ja, durch mich sprach die Schlange selbst zu Alypius und umstrickte mit meinen lockenden Worten seinen bisher reinen Pfad. Er selbst wurde mehr aus Neugier, als aus sinnlichen Frieden heirathslustig, da ich, den er so hoch achtete, ihm betheuerte, gar nicht ohne ehelichen Umgang leben zu können und als ich ihn versicherte, der Ehe Freuden seien etwas ganz Anderes, als jene von ihm genoßene, vorübergehende Lust. So wurde er nach dem begierig, ohne dessen Genuß ich mein Leben, das ihm so wohlgefiel, kein Leben, sondern eine Strafe nannte. Seine noch freie Seele wunderte sich über meine Sklaverei, im Verwundern schritt sie zur Neugier und war nahe am Fall und an der Verlobung mit dem Tode. Denn wer die Gefahr liebt, den stürzt sie. Keinen von uns veranlaßte ja das Würdige des Ehestandes, häusliches Walten, Kindes- und Elternliebe, kaum nebenbei dachten wir des; mich trieb gewöhnte Gier, ihn ihre neugierige Verwunderung. So waren wir, bis du Höchster, der du unser niedriges Leben nicht verließest, dich der elenden erbarmtest und wunderbar und verborgen halfest.

Ohne Rast wurde nun darauf hingewirkt, daß ich eine Gattin heimführen möge. Schon freite ich und erhielt das Jawort, wobei sich meine Mutter die größte Mühe gab; denn sie hoffte, nach meiner Verehelichung sollte mich die heilsame Taufe reinigen, für die sie mich mit Freuden täglich tauglicher werden [137] sah. [...] Doch blieben wir bei unserer Wahl, die auf eine Jungfrau gefallen war, wegen deren Jugend wir mit der Vollziehung der Ehe noch zwei Jahre zu warten gedachten. [...]

Inzwischen mehrten meine Sünden sich. Und da Sie, ein Hinderniß gegen meine Vermählung, von meiner Seite gerißen wurde, mit welcher ich mein Lager zu theilen gewöhnt war, wurde mein ihr anhängliches Herz getroffen, verwundert und wollte in Schmerzen verbluten. Sie aber war nach Afrika zurückgekehrt und hatte dir gelobt, nie mehr von einem andern Manne zu wißen. Mir wurde von ihr ein natürlicher Sohn zurückgelassen. Ich Elender aber konnte nicht einmal eines Weibes Nachahmer werden, und den Aufschub nicht ertragen, durch welchen ich die Verlobte erst nach zwei Jahren heimführen sollte; denn ich war nicht ein Freund der Ehe, ein Knecht der Lust war ich; und so nahm ich eine Andere zu mir, ohne sie zum Weibe zu nehmen. (6. Buch), S.133-138

Der Freund Alypius

Als er einst in Karthago, noch las mein Zuhörer, eines Mittags im Forum, nach der Weise der Studierenden, auf eine Rede sich vorbereitete, ließest du zu, daß ihn die Diener des Forums ergriffen, als wäre er ein Dieb. Auch das hast du, mein Gott, nur zugelassen, damit er, der später so wichtige Mann, frühzeitig lerne, daß beim Urtheilfällen kein Mensch so leicht von seinem Mitmenschen [130] in unbesonnener Leichtgläubigkeit verdammt werden dürfe. Einsam nämlich gieng er mit Griffel und Schreibtafel vor der Gerichtsbühne auf und nieder, während ein anderer Jüngling aus der Zahl der Studierenden, der wahre Dieb, mit einem verbogenen Beil, ohne daß mein Freund davon etwas wußte, sich an das bleierne Geländer machte, welches über dem Platze der Geldwechsler angebracht war, und das Blei dort abblieb. Die Wechsler, durch den Klang des Beiles aufmerksam gemacht, besprachen sich drunten an ihrem Ort und sandten Häscher aus, die ergreifen sollten, wen sie fänden. Jener aber bloß, da er seine Stimme hörte, und ließ, aus Furcht, damit ergriffen zu werden, das Beil zurück Alypius, welcher ihn nicht hatte eintreten sehen, aber bemerkte, wie er sich schnell davon machte, wollte die Ursache wißen, betrat den Ort und blieb verwundert stehen, während er das gefundene Beil betrachtete. Die Häscher finden nur ihn, mit dem Beil in der Hand, dessen Klang sie herbeigezogen. Sie nehmen ihn fest, führen ihn fort, unter dem Zusammenlauf des Forums, und rühmen sich, den Dieb auf der That ertappt zu haben. Und so wurde er dem Richter zugeführt. Aber nur bis dahin sollte er belehrt werden, denn plötzlich kamst du, Herr, seiner Unschuld zu Hilfe, deren Zeuge du allein warst. Als man ihn hinführte, entweder zum Gefängniß, oder zum Tode, begegnete ihnen ein Baumeister, der die Aussicht über die öffentlichen Gebäude führte. Die Häscher freuten sich, eben ihm zu begegnen, der sie im Verdacht hatte, als pflegten sie das vom Forum abhanden Kommende zu entwenden; sie freuten sich, daß er nun endlich erkennen möchte, wer der Thäter sei. Aber er hatte den Alypius oft im Haufe eines Senators gesehen, dem er aufzuwarten pflegte; sobald er ihn daher erkannte, entriß er ihn eigenhändig der Schaar, erfuhr von ihm, was geschehen war, und befahl dem lärmenden, [131] drohenden Haufen ihm zu folgen. Und sie kamen vor des Jünglings Wohnung, der die That verübt hatte. Dort war ein Knabe vor der Thüre, zu klein noch, als daß er für seinen Herrn – denn er war in des Jünglings Diensten – etwas zu fürchten vermocht hätte, so daß er Alles leicht angeben konnte. Alypius erkannte ihn und vertraute seinen Verdacht dem Baumeister; dieser zeigte dem Knaben das Beil und fragte ihn, wem es gehöre. Sogleich antwortete er: es gehört uns zu, und weiter ausgefragt, eröffnete er Alles. So kam der Proceß über jenes Haus und wurde der Haufen beschämt, der schon über Alypius triumphirt hatte. Er aber, der künftige Verwalter deines Wortes, der Schiedsmann so vieler Angelegenheiten deiner Kirche, gieng erfahrener und belehrter von dannen.

Ihn also traf ich in Rom. Mit der innigsten Freundschaft hieng er an mir und wanderte mit mir nach Mailand, sowohl um bei mir zu sein, als um die Rechtswissenschaft auszuüben, die er mehr nach dem Willen seiner Eltern, als nach seinem eigenen erlernt hatte. Vorher hatte er dreimal das Amt eines Beisitzers in den Gerichten mit der edelhaften Uneigennützigkeit bekleidet, über die sich seine Kollegen wunderten, während er selbst sich noch viel mehr über sie verwunderte, daß sie das Gold der Unbestechlichkeit vorzogen. Dort wurde seine Jugend nicht nur durch lockenden Gewinn, sie wurde auch durch Anfechtung zur Furcht versucht. In Rom nemlich bekleidete er einst die Stelle eines Beisitzers im Schatzmeisteramte für Italien. Und damals war dort ein sehr angesehener Senator, dem Viele durch empfangene Wohlthaten verpflichtet, aber aus Furcht dienstwillig waren. Der machte einst, nach seiner gewaltthätigen Weise, ein gesetzwidriges Ansinnen, dem Alypius entgegen war,[132] dargebotene Belohnung verlachend und angewandte Drohung verachtend, so daß Jedermann den ungewöhnlichen Muth bewunderte, mit dem er solch einen Mann weder zum Freunde wollte, noch als Feind fürchtete. Der Richter aber, dessen Rath Alypius war, verweigerte das Ansinnen nicht offen, ob er es gleich nicht gewähren wollte, sondern schob alle Schuld auf Alypius, der nicht einwilligen, und wenn der Richter selbst einwillige, gegen ihn stimmen würde. In dieser Stellung wurde er einmal bei einer literarischen Arbeit fast versucht sich um prätorianische Gerichtsgelder zu lassen, aber sein Rechtssinn brachte ihn auf beßeren Entschluß und er hielt die Billigkeit, die ihn abhielt für nutzbringender, als seine Gewalt, die ihm Jenes erlaubte. Das ist eine Kleinigkeit, aber wer im Kleinen treu ist, der ist auch im Großen treu. Und kein leeres Wort sprach der Mund deiner Wahrheit: wenn ihr im ungerechten Mammon nicht treu seid, wer wird euch das Wahrhaftige anvertrauen? Und wenn ihr im Fremden nicht treu seid, wer wird euch geben was euer ist? (Lut. 16, 10-12.) Ein Mann solcher Besinnungen hieng er an mir und berieth sich mit mir über die Wahl unserer Lebensweise. (6. Buch), S.129-132