Mit Gedichten arbeiten: W-Fragen
==W-Fragen stellen=≠
Gedichte - aber auch weniger verdichtete Texte - erschließen sich dann am besten, wenn man die richtigen Fragen stellt. Dazu bieten sich die bewährten W-Fragen an, allerdings in angepasster Form, denn ein Gedicht ist nicht dasselbe wie eine Zeitungsnachricht.
Wenn diese Fragen dann noch in einer sinnvollen Abfolge stehen, dann ergeben die Antworten fast schon von alleine eine sinnvoll strukturierte Interpretation. Hier sind Vorschläge für eine Frage-Folge mit Hinweisen auf die damit verknüpften inhaltlichen Erwartungen - und einigen Formulierungsangeboten.
Vorschlag
1. WAS'n DAS? Autor, Titel, Gedichttyp, Zeit, erster Eindruck, Stimmung, Leitfrage
Vorwissen und Assoziationen abfragen: Was weiß ich bereits über den Autor, welchen Assoziationsraum eröffnet die Überschrift, welche Fragen wirft sie auf, welche Erwartungen?
„Das Gedicht „...“ von XY hinterlässt beim ersten Lesen den Eindruck/ das Gefühl/ von Schwermut /Verzweiflung/Weltverachtung/Lebensfreude...“ „Schon der Titel deutet darauf hin/ lässt erkennen/ wirft Verständnisprobleme auf... / legt die Vermutung nahe...“ „Das Gedicht ‚Blabla‘ des barocken/romantischen/klassischen/schwäbischen Dichters XY beschäftigt sich mit dem Thema/Problem/der Erfahrung ... Sein(e) Gedankengang/Botschaft/Inhalt erschließt sich dem Leser (nicht) auf den ersten Blick, ... die Sprache ist dunkel/bildreich/vieldeutig..., helle/dunkle/schrille Klänge herrschen vor und prägen die Stimmung.“
2. WER SPRICHT? Perspektive des lyrischen Ich: Aus welchem Anlass/in welcher Situation/für wen?
„Das Gedicht ist aus der Perspektive eines lyrischen Ich geschrieben, welches .... (Situation)“
3. WOVON? Thema, Motive, Gedichttyp
„Von seiner Thematik/Überschrift/Form/geschichtlichem Hintergrund her kann es als Naturgedicht/Liebesgedicht/Weltanschauungsgedicht/politisches Gedicht/Ballade bezeichnet werden .... die vorherrschenden Motive sind typisch für die Gedankenwelt des 17./18./19. ... Jhdts / klassischer/barocker/romantischer Dichtung. ..“
4. WIE? Struktur, Metrum, Reim und sprachliche Besonderheiten: Wortwahl, Wortarten und Klangfarben, Bilder: Vergleiche (so als ob/ wie / gleichwie ), Metaphern, Chiffren
Aussagen zu Form und Sprache sollten in wenigen Sätzen und zusammenfassend vorweggeschickt werden.
„Das Gedicht besteht aus drei Strophen zu je vier Zeilen, es ist sehr regelmäßig/streng/locker/formlos gebaut, ein Eindruck, der auch durch den Kreuz/Paar-Reim und das un/regelmäßige jambische Grundmetrum unterstützt wird ..." :Oder: "Das Gedicht besitzt keine regelmäßige Struktur, die Strophen sind von unterschiedlicher Länge und bestehen aus freien Versen. Die Form ordnet sich dem freien Sprachfluss unter, die Emotionalität des lyrischen Ich will sich in keine feste Ordnung fügen."
5. WAS GEHT? Grob und Feingliederung, Gedankengang, Handlung
Es empfiehlt sich, bei der endgültigen Abfassung der Interpretation das Augenmerk auf die Abfolge der Motive und die gedankliche Entwicklung im Gedicht zu richten und zwar anhand einer Betrachtung von Strophe zu Strophe.
"Das Gedicht beginnt mit einer Schilderung der ...." "In den ersten Zeilen bereits wendet sich das lyrische Ich ... "Die ersten beiden/drei ... Strophen/Zeilen bilden eine gedankliche Einheit, in welcher die Situation des lyrischen Ich ... Dies drückt sich auch in der Sprache aus, z.B. .... "In der dritten Strophe verändert sich dann die Sichtweise/Perspektive des ... ein neuer Ton/ ein neuer Gedanke/ eine höhere Abstraktionsstufe ... wird erkennbar ... "Während zuvor anschauliche Bilder/Vergleiche vorlagen, so wird nun ... "Die letzte Strophe /letzten Zeilen fassen noch einmal ... /drücken ... aus / gipfeln in ...
6. WAS SOLL'S? Einordnung und Wertung: historischer Zusammenhang, Intention des Autors, persönliche Meinung, z.B.
„In seiner Thematik/Motivik/Bildhaftigkeit/Düsternis/Naturbeseeltheit ... und formalen Gestaltung ist dieses Gedicht typisch für ....“ „Die Aussageabsicht des Autors kommt vor allem in .... zum Ausdruck...“ „Dem Gedicht merkt man seine Herkunft aus dem .... Jahrhundert / aus der Zeit des ... deutlich/ kaum an: Es ist in seinem Gedankengang nur schwer/ mühelos nachvollziehbar und völlig/ziemlich veraltet/ antiquiert ...“ „Seine Thematik ist auch heute noch / nur bedingt/ kaum aktuell / bedenkenswert und für mich persönlich dadurch gelungen/ misslungen/ bemerkenswert/ gar nichts wert, dass ...“