Wanderjahre in Italien/Juden in Rom

Aus ZUM-Unterrichten
< Wanderjahre in Italien
Version vom 18. Januar 2022, 11:11 Uhr von Fontane44 (Diskussion | Beiträge) (Umstellung des Abschnitts)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Allgemeine Situation der Juden in Rom

Solange nach dem Untergang der römischen Herrschaft noch der Senat, also eine bloß bürgerliche Behörde, das Regiment der Stadt führte, mochten die Hebräer sich eines besseren Loses zu erfreuen haben; aber mit der Herrschaft der Päpste waren sie dem Fanatismus preisgegeben, welcher sich nach und nach bis zu einer durch das Gesetz geregelten Barbarei steigerte. Doch war in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters der Judenhaß noch nicht so groß, daß man die Hebräer als den Auswurf der Menschheit hätte betrachten und behandeln mögen. Auch gab es manchen Papst, der sie menschenfreundlich in Schutz nahm. Selbst noch zur Zeit Alexanders III. (1159-1185) lebten in Rom freie und angesehene Juden, zumal reiche Ärzte von großem Ruf. Benjamin von Tudela erzählt, daß er damals gegen 200 Juden in Rom gefunden habe, angesehene Männer, und keinem tributbar, worunter der Papst seine Diener habe. «Dort findet man», so sagt er, «sehr weise Leute, von denen der erste der große Rabbi Daniel, und Rabbi Dehiel des Papstes Minister sei, ein schöner Jüngling, klug und weise, der am Hof Alexanders aus und ein geht.»

Noch merkwürdiger ist, daß der Gegenpapst Aneklet II. (gest. 1138), Pier Leone, eines getauften Juden Enkel war. Sein Geschlecht spielte in Rom als eine der angesehensten Patrizierfamilien eine glänzende Rolle, und durch lange Jahrhunderte. [...]

Und bis ins 16. Jahrhundert finden sich jüdische Leibärzte im Vatikan trotz aller Bannbullen dieses oder jenes judenfeindlichen Papstes. Als Orientalen, als Verwandte der Araber standen die Juden überhaupt in aller Welt, auch bei Fürsten und Kaisern, im höchsten Ansehen ärztlicher Wissenschaft. Samuel Sarfadi, ein spanischer Rabbiner, war Leos X. Arzt, ein grundgelehrter und beredter Mann. Natürlich fiel ein Schimmer der päpstlichen Gnade, wenn sich der jüdische Arzt ihrer erfreute, auch auf das Judenvolk in Trastevere zurück. Aber bei der Natur des kirchlichen Regiments, welches persönlich ist, sah die römische Judenschaft ihr Los lediglich vom Charakter der jeweiligen Päpste abhängen, und diese wechselnde Behandlungsweise hielt sie in beständiger Aufregung, nährte oder erschlug ihre Hoffnung und gab sie einem fast gesetzlosen Zustande preis.[1] Es hatten schon viele Konzilien im frühesten Mittelalter die Trennung der Juden von den Christen anbefohlen und ihnen ein Schandabzeichen zu tragen auferlegt; dies Gebot erneute Innocenz III. im Jahre 1215, ebenso andere Päpste. Solche Edikte umgingen die Juden meistens, oder sie kauften sich davon los. Bald auch stieß ein gnädiger Papst um, was ein feindlicher verordnet hatte. Johann XXII. hatte die Juden verfolgt, endlich auch ihren TalmudWikipedia-logo.png untersagt und öffentlich verbrennen lassen. Innocenz VII. dagegen war ihnen gnädig, und am meisten schützte sie Martin V., ein Römer von Geburt. Er gewährte ihnen wieder das Privilegium, Ärzte sein zu können, [...]


Entwürdigende Behandlung der Juden

Für diese karnevalischen Spiele auf der Piazza Navona, am Hügel Testaccio und auf dem Corso hatte sich nach und nach die Sitte festgestellt, die Juden zur Volksbelustigung zu mißbrauchen. Nicht allein mußten sie sich der Entehrung unterwerfen, einen Trupp ihrer Ältesten, in Jacken oder Wämser gekleidet, der Kavalkade der Senatoren voranschreiten zu lassen, wenn diese den Corsozug eröffneten, sondern sie selbst mußten zur Schau rennen. Paul II., ein Venezianer, war es, welcher im festlich begangenen Friedensjahr 1468 den Römern zuerst die Corso-Rennschauspiele zum besten gab und auch die Juden öffentlich rennen ließ. Noch heute ist es Festsitte in den Städten Italiens, um die sogenannten Pallii zu rennen, das heißt, um den Preis von Teppichen und schönen Seidenstoffen, welche der Sieger davonträgt. Als Paul dieses Fest gab, liefen an jedem der acht Karnevalstage Pferde, Esel und Büffel, Greise, Jünglinge, Kinder und Juden. Man gab den Juden, wie man auch später zu tun pflegte, ehe sie rannten, reichlich zu essen, um den Lauf ihnen selbst beschwerlicher, dem Volk aber ergötzlicher zu machen. Sie liefen vom Arco Domiziano bis zur Kirche S. Marcus am Ende des Corso in voller Furie und unter dem Hetzgeschrei und dem Jubelgelächter Roms, während der Heilige Vater auf dem reichverzierten Ballon stand und herzlich lachte. Zwar möchte es scheinen, daß die allgemeine Teilnahme an dem Wettrennen, welchem sich auch Römer, Greise, Jünglinge und Kinder unterzogen, den Charakter der Entehrung entfernt habe; doch muß man wohl bedenken, daß dasselbe Vergnügen, welches Römern eine willige Lust war und als ein olympisches Spiel angesehen wurde, für die Juden als Schimpf galt. Wer nun je einem Corsorennen in Rom beigewohnt hat, wo jetzt der Lauf der Pferde an die Stelle des ehemaligen Judenlaufs getreten ist, und wer es gesehen hat, wie das Volk in fast furioser Aufregung mit Geschrei und grellem Gepfeife die hinwegstürzenden Tiere vorüberhetzt, der mag sich leicht vorstellen, wie in jenen barbarischen Zeiten die durch den Corso gehetzten Hebräer mehr als Spießruten laufen mußten.

Später wollte das Volk den Judenlauf nicht mehr missen, und ich finde in Sprengers «Roma nova» (vom Jahre 1667) die Nachricht, daß die Juden nackt und nur mit einer Binde um die Lenden laufen mußten, und zwar, sagt er, rennen erst die Esel, dann die Juden, dann die Büffel, dann die Berberpferde.

Gerade zwei Jahrhunderte lang erduldeten die Juden Roms diese empörende Entehrung, bis sie nach immer wiederholtem Flehen durch päpstliches Edikt davon erlöst wurden. Clemens IX. Rospigliosi befreite sie davon im Jahre 1668 und legte ihnen auf, statt des Rennens jährlich 300 Skudi zu bezahlen, und statt des Vorschreitens vor der Kavalkade des Senators, in der Thronkammer vor den Konservatoren Huldigung zu leisten und die Karnevalsprämien zu überreichen.

Am ersten Sonnabend des Karnevals pflegten die Häupter der Juden als Deputation der Judenschaft Roms vor den Konservatoren auf dem Kapitol zu erscheinen. Sie warfen sich vor ihrem Sessel nieder, und kniend überreichten sie einen Blumenstrauß und 20 Skudi, mit der Bitte, dies zur Auszier des Ballons zu verwenden, auf welchem der römische Senat auf der Piazza del Popolo seinen Sitz nahm. In gleicher Weise gingen sie zu dem Senator und flehten ihn nach hergebrachter Sitte um die Vergünstigung an, ferner in Rom bleiben zu dürfen. Der Senator setzte seinen Fuß auf ihre Stirn, befahl ihnen aufzustehen, und sagte nach hergebrachter Formel, daß die Juden in Rom nicht aufgenommen, doch aus Barmherzigkeit geduldet seien. Auch diese Demütigung ist gezwungen, aber auch jetzt kommen die Juden am ersten Sonnabend der Karnevalsfeste auf das Kapitol und leisten ihre Huldigung und Tribut für die Pallien der Pferde, welche sie zu beschaffen haben, in Erinnerung dessen, daß nun die Pferde an ihrer Statt das Volk belustigen.

Huldigung der Juden für die Päpste des Mittelalters

Es fehlte im Mittelalter nicht an anderen Huldigungszeremonien, die den Juden auferlegt waren. Beim Fest der Besitznahme des erwählten Papstes vom Lateran mußten sie in festlicher Deputation ihm entgegenkommen, und man will wissen, daß sie schon den alten Kaisern in ähnlicher Weise verehrend sich darstellten. Die Hebräer opferten in ihrem Tempel zu Jerusalem, wenn der römische Kaiser den Thron bestieg, und brachten Gebete für ihn dar; so sagte schon Philo in seiner «Gesandtschaft an den Kaiser Cajus», daß die Juden dreimal für Caligula Opfer vollzogen hätten, das erstemal, als er den Thron bestieg, darauf, als er in gefährliche Krankheit verfiel, das drittemal für seinen Sieg über Deutschland. Daß auch die Juden in Rom das gleiche taten, ist natürlich, und schwerlich haben sie bei den Huldigungsfeierlichkeiten gefehlt, um vor dem Kaiser als Schutzflehende zu erscheinen und solche Duldung zu erbitten, wie sie ihnen von Augustus gewährt worden war.

Als nun an die Stelle der Kaiser die Päpste getreten waren, wechselten nur die Formen, nicht das Wesen der Zeremonien. Bei jeder Huldigung eines Papstes erschienen die Abgesandten der römischen Judenschaft, mit dem Pentateuch auf der Schulter, an dem Wege, wo der päpstliche Triumphzug vorüberkam. Man betrachtete sie nach dem Ausspruch des heiligen Hieronymus gleichsam als die Bibliothekare der christlichen Religion, weil sie das Alte Testament oder vielmehr das Gesetz in ihrer Bundeslade verwahrt gehalten hatten; und indem sie dem neuerwählten Papst als Schutzflehende nahten, taten sie dies, wie man sagt, teils weil ihre Väter in solcher Gestalt vor den Kaisern erschienen waren, teils weil sie, auf einen Messias und Befreier aus der Gefangenschaft hoffend, den jedesmaligen Papst daraufhin betrachteten, ob nicht er es sei, der sie von ihrem Joch befreien würde.

Seit Calixt II., der im Jahre 1119 von den Juden eine solche Zeremonie empfing, haben wir von jeder Huldigungsfeierlichkeit Nachricht. Allen brachten sie den Pentateuch auf der Schulter entgegen, so Eugen III., wie Alexander III. und Gregor IX., und sangen Lieder, zu ihrem Lobe. Cancellieri in seinem Werk «Storia de' possessi» (Geschichte der Besitznahme der Päpste) gibt darüber die besten Aufschlüsse aus den Tagebüchern der päpstlichen Zeremonienmeister.

Der Ort, an welchem die Juden sich aufstellten, wechselte. In der Zeit des älteren Mittelalters war es die Region Parione, einer der ältesten und wichtigsten Stadtteile Roms, diesseits der Hadrianischen Brücke gelegen, wo die Judenschaft den nach dem Lateran ziehenden Papst erwartete. So erzählt schon das alte lateinische Gedicht des Kardinals Giacoma Stefaneschi, welches die Huldigungsfeier Bonifacius' VIII. im Jahr 1295 beschreibt:

Ecce, super Tiberim positum de marmore pontem

Transierat, provectus equo; turrique relicta

De campo Judaea canens, quae caecula corde est,

Occurrit vesana duci Parione sub ipso,

Quae Christo gravidam legem plenamque sub umbra

Exhibuit Moysi. Veneratus et ille figuram

Hanc post terga dedit, cauto sermone locutus.

Ignotus Judaea deus, sibi cognitus olim.

Qui quondam populus, nunc hostis; qui deus et rex

Obnubi patitur, praesentem temnere mavis,

Quem fragilem reputas hominem, sperasque futurum,

Et latet ipse deus – –

Schon hatte er die marmorne Tiberbrücke hoch zu Roß überschritten. Als er am Turm vorüber war, kam ihm die wahnsinnige Judenschaft, Blindheit im Herzen, vom Campus her unter der Führung des Pario selbst entgegen und zeigte das Christus ärgerliche und schattenreiche Gesetz des Moses. Jener ehrte die Rolle, reichte sie hinter sich und sprach in wohlgemessener Rede: ‹Gott ist der Judenschaft unbekannt, obwohl er ihr einst bekannt war. Einst war er vom Volke geliebt, jetzt verhaßt. Dieser Gott und König muß sich verdunkeln lassen, denn du ziehst es vor, den Gegenwärtigen zu verachten, den du für einen vergänglichen Menschen hältst, und hoffst auf den Zukünftigen. Gott selbst aber bleibt dir verborgen.›.

Schon damals hatte dies Schauspiel dieselben Formen, wie sie später beobachtet wurden. Die Juden, Loblieder singend, warteten des im Triumphzug daherreitenden Papstes; sie boten ihm die Gesetzrolle dar, der Papst nahm sie, las einige Worte darin, reichte sie dann hinter sich und sagte: «Wir bestätigen das Gesetz, aber das jüdische Volk und seine Auslegung verdammen wir.» Hierauf ritt er weiter, und die Juden kehrten in ihre Wohnungen zurück. Niedergeschmettert oder zur Hoffnung belebt, je nach dem, was sie mit scheuer Furcht in den Augen des Papstes gelesen hatten. Entweder standen sie hinter der Hadriansbrücke, oder, wie es häufig geschah, an dem Platze, welcher Monte Giordano heißt. Obwohl dieser aus Schutt entstandene Hügel seinen Namen von Giordano Orsini, einem Edlen dieses alten römischen Geschlechts, empfangen hatte, der dort seinen Palast baute, so wählte man vielleicht um des Namens Jordan willen gerade diesen Ort für die Judenzeremonie; und dort standen die Nachkommen Israels, den prachtvoll in Gold gebundenen, mit einem Schleier bedeckten Pentateuch haltend, umringt vom verhöhnenden Volk und allen Mißhandlungen des Spottes oder Hasses ausgesetzt, bis der Papst erschien, und sie ihm kniend das Gesetz überreichten. Mit der Zeit wurde die Mißhandlung der Juden bei dieser Gelegenheit so groß, daß ihrem dringenden Flehen nachgegeben ward, und ihnen Innocenz VIII. Cibo zuerst im Jahre 1484 erlaubte, im innern Raum des Kastells Sant Angelo zu erscheinen. Die Feierlichkeit beschreibt der Zeremonienmeister Burkhard: «Als der Papst vorüberkam, hielt er nahe am Kastell Sant Angelo an, und die Juden, welche sich an die untersten Zinnen im Winkel des genannten Kastells gegen das Erdgeschoß zurückgezogen hatten, im Ornat und mit ihrem Gesetz, reichten es dem heiligen Vater zur Anbetung und Verehrung, mit hebräischen Worten ungefähr dieses Sinnes den Papst anredend: ‹Allerheiligster Vater, wir hebräischen Männer flehen Eure Heiligkeit im Namen unserer Synagoge an, daß wir gewürdigt werden möchten, daß uns das Gesetz, vom allmächtigen Gott dem Moses, unserm Priester, auf dem Berge Sinai übergeben, möge bestätigt und gebilligt sein, wie auch andere erhabene Päpste, die Vorgänger Eurer Heiligkeit, es bestätigt und gebilligt haben.‹ Es antwortete der Papst: ‹Wir billigen das Gesetz, aber euren Glauben und eure Auslegung verdammen wir, weil der, von dem ihr sagt, er werde kommen, gekommen ist, unser Herr Jesus Christus, wie die Kirche uns lehrt und predigt.› Nach vollendeter Zeremonie zogen sich die Juden zurück.»

Erinnert man sich, daß jenes Kastell Sant Angelo das Grabmal Hadrians war, des Kaisers, welcher Jerusalem zum zweitenmal von Grund aus zerstört und die Juden in die Sklaverei verkauft hatte, so stand auch dieser Ort zur Geschichte Israels in einer kränkenden Beziehung; denn das Andenken Hadrians hassen die Juden wie das des Titus.

Ausnahmsweise empfing Pius III. im Jahre 1503, weil er krank war, die Juden in einem Saal des Vatikans selbst. Julius II. empfing ihre Huldigung wieder am Grabmal des Hadrian, wobei sie einen langen Sermon machten, und besonders der spanische Rabbi Samuel, der Leibarzt des Papstes, mit Beredsamkeit sprach. Der Papst antwortete «prout in libello», das heißt nach Vorschrift des Zeremonienbuchs.

(https://www.projekt-gutenberg.org/gregorov/wanderit/wand084.html)


Ghetto

Endlich errichtete Paul IV. den Ghetto oder Judenzwinger. Bis auf seine Zeit hatten die Juden die, wenn auch nicht ausgesprochene Freiheit, überall in Rom zu wohnen. Natürlich wohnten sie sehr selten in der Mitte der Stadt, noch unter den Christen, ihren Hassern, zerstreut, sondern hielten sich beieinander in Trastevere und an dem Flußufer bis zur Brücke Hadrians. Nun wies ihnen der Papst, nach Art der Venezianer, ein streng abgesperrtes Quartier an, welches wenige enge Straßen unmittelbar am Tiber umfaßte und von der Brücke Quattro Capi bis zum heutigen «Platz der Tränen» reichte. Mauern oder Tore sperrten das Judenviertel. Man nannte es zuerst «Vicus Judaeorum», dann kam der Name Ghetto dafür auf, der nicht mit der venezianischen Benennung Giudecca zusammenzuhängen scheint und wahrscheinlich aus dem talmudischen Wort «Ghet» gebildet ist, welches Absonderung heißt. Es war am 26. Juli 1556, als die Juden Roms in diesen Ghetto zogen, weinend und seufzend wie ihre Vorfahren, da man sie in die Gefangenschaft führte. [...]

Als Caraffa im Jahr 1559 starb, und das römische Volk seine Wut an dem Toten auszulassen aufstand, das Haus der Inquisition plünderte und die Minerva, das Kloster der Dominikaner, stürmte, sah man auch die Juden, furchtsam Menschen, die sich an den Revolutionen selbst zur Zeit des Cola di Rienzo nie beteiligt hatten, aus ihrem Zwinger hervorkommen und Flüche auf das Andenken Pauls IV. schleudern. Ein Jude durfte es sogar wagen, der Statue des Papstes auf dem Kapitol den gelben Schandhut aufzusetzen; das Volk lachte, zertrümmerte die Bildsäule und schleifte ihren Kopf mit der Papstkrone durch den Kot. [...]

In den Ghetto eingesperrt, waren die Juden in fremdes Eigentum eingezogen. Denn die Häuser des Viertels gehörten Römern; auch angesehene Familien wohnten daselbst, wie die Boccapaduli. Ausziehend, blieben diese Eigentümer, jene Mieter. Weil sie aber für immer in jene Straßen eingesperrt wurden, mußten sie ein dauerndes Mietverhältnis feststellen, denn ohne dasselbe konnte sich für die Juden zweierlei Not ereignen: Obdachlosigkeit, wenn es dem Eigentümer einfiel, dem hebräischen Mieter zu kündigen; unerträgliche Verschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, wenn er darauf verfiel, den Zins zu steigern. So entstand das Gesetz, welches verordnete: die Römer bleiben im Eigentum der an die Juden vermieteten Wohnungen, aber jene haben die Häuser in Erbpacht; niemals darf dem jüdischen Einwohner die Miete gekündigt werden, sobald er den Zins richtig gezahlt; niemals darf der Zins erhöht werden; der Jude kann nach seinem Willen das Haus verändern und erweitern. Man nannte und nennt dieses noch heute bestehende Recht das «Jus Gazzagà». Kraft desselben ist der Jude im Erbbesitz des Mietkontrakts und darf diesen an Verwandte oder andere verkaufen, und noch heutigentags gilt es als eine köstliche Habe, im Besitz des Jus Gazzagà oder eines erblichen Mietkontraktes zu sein, und hochgepriesen wird das Judenmädchen, welches ihrem Bräutigam als Mitgift ein solches Dokument aufzuweisen imstande ist. [...]

Judenbekehrungspredigten

Mit Strenge hielt man im 18. Jahrhundert darauf, daß die Juden an bestimmten Tagen christlichen Bekehrungspredigten beiwohnten. Schon Gregor XIII. (1572) hatte die Verordnung erlassen, sie sollten gehalten sein, jede Woche eine Predigt anzuhören. Ein Jude selbst hatte diesen Gebrauch eingeführt, natürlich ein bekehrter, Andreas mit Namen, welcher mit hündischer Konvertitenseele in den Papst Gregor drang, jenes Edikt zu erlassen. Man sah also am Sabbat Häscher der Polizei in den Ghetto kommen und die Juden mit Peitschenhieben in die Kirche treiben, Männer, Weiber und Kinder, wenn diese über zwölf Jahre alt waren. Es mußten sich mindestens 100 Männer und 50 Weiber, später 300 an der Zahl, zur Predigt einfinden. Am Eingang der Kirche zählte ein Wächter die Eintretenden; in der Kirche selbst wachten Häscher über die Aufmerksamkeit der Anwesenden, und schien ein Jude teilnahmslos oder schlaftrunken, so weckten ihn Peitschenhiebe und Stöße. Ein Dominikaner hielt die Predigt, wobei das Allerheiligste vom Altar genommen war, er sprach über solche Texte des Alten Testaments, welche die Juden an demselben Tag in ihrer Synagoge hatten lesen oder erklären hören, damit auf die jüdische Erklärung die katholische unmittelbar folge, und der Hebräer imstande sei, die christliche Wahrheit zu erkennen. Diese Predigten wurden anfangs in San Benedetto alla Regola gehalten, später aber in jener Kirche Sant Angelo in Pescaria, vor der einst Cola di Rienzo seine ersten begeisterten Reden an die Römer hielt. Nach dieser Episode kehren wir zu den Judenpredigten zurück. Sie wurden später nur fünfmal im Jahr gehalten, und der Gebrauch wollte von selbst erlöschen, als Leo XII. Genga (1823-1829) ihn erneuerte. Heute ist auch diese Barbarei geschwunden, sie ward abgeschafft im ersten liberalen Regierungsjahr Pius' IX., wie man mir erzählte. Dem zum Christentum bekehrten Juden lohnte natürlich die Erlösung aus dem Ghetto, das Bürgerrecht und alles Menschenrecht, welches dessen Folge ist. Es ereignete sich nicht selten, daß Juden aus dem Ghetto getauft wurden; dann wurden sie, wie das im Charakter von Konvertiten liegt, bekehrungssüchtiger als ihre Bekehrer. So liest man heute auf einer Kirche gegenüber dem Ghetto an der Brücke Quattro Capi, auf deren Fronte die Kreuzigung gemalt ist, in hebräischer und lateinischer Schrift den zweiten Vers aus dem 65. Kapitel des Jesaias: «Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.» Es ist dies eine Mahnung, welche ein bekehrten Jude, dem neuen Glauben zu schmeicheln, dort hat aufschreiben lassen.

(Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien, 1856–1877 Der Ghetto und die Juden in Rom 1853)

Fußnoten

  1. Hervorhebung durch Fontane44