Wanderjahre in Italien/Juden in Rom

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Allgemeine Situation der Juden in Rom

Und bis ins 16. Jahrhundert finden sich jüdische Leibärzte im Vatikan trotz aller Bannbullen dieses oder jenes judenfeindlichen Papstes. Als Orientalen, als Verwandte der Araber standen die Juden überhaupt in aller Welt, auch bei Fürsten und Kaisern, im höchsten Ansehen ärztlicher Wissenschaft. Samuel Sarfadi, ein spanischer Rabbiner, war Leos X. Arzt, ein grundgelehrter und beredter Mann. Natürlich fiel ein Schimmer der päpstlichen Gnade, wenn sich der jüdische Arzt ihrer erfreute, auch auf das Judenvolk in Trastevere zurück. Aber bei der Natur des kirchlichen Regiments, welches persönlich ist, sah die römische Judenschaft ihr Los lediglich vom Charakter der jeweiligen Päpste abhängen, und diese wechselnde Behandlungsweise hielt sie in beständiger Aufregung, nährte oder erschlug ihre Hoffnung und gab sie einem fast gesetzlosen Zustande preis.[1] Es hatten schon viele Konzilien im frühesten Mittelalter die Trennung der Juden von den Christen anbefohlen und ihnen ein Schandabzeichen zu tragen auferlegt; dies Gebot erneute Innocenz III. im Jahre 1215, ebenso andere Päpste. Solche Edikte umgingen die Juden meistens, oder sie kauften sich davon los. Bald auch stieß ein gnädiger Papst um, was ein feindlicher verordnet hatte. Johann XXII. hatte die Juden verfolgt, endlich auch ihren Talmud untersagt und öffentlich verbrennen lassen. Innocenz VII. dagegen war ihnen gnädig, und am meisten schützte sie Martin V., ein Römer von Geburt. Er gewährte ihnen wieder das Privilegium, Ärzte sein zu können, [...]

Entwürdigende Behandlung der Juden

Für diese karnevalischen Spiele auf der Piazza Navona, am Hügel Testaccio und auf dem Corso hatte sich nach und nach die Sitte festgestellt, die Juden zur Volksbelustigung zu mißbrauchen. Nicht allein mußten sie sich der Entehrung unterwerfen, einen Trupp ihrer Ältesten, in Jacken oder Wämser gekleidet, der Kavalkade der Senatoren voranschreiten zu lassen, wenn diese den Corsozug eröffneten, sondern sie selbst mußten zur Schau rennen. Paul II., ein Venezianer, war es, welcher im festlich begangenen Friedensjahr 1468 den Römern zuerst die Corso-Rennschauspiele zum besten gab und auch die Juden öffentlich rennen ließ. Noch heute ist es Festsitte in den Städten Italiens, um die sogenannten Pallii zu rennen, das heißt, um den Preis von Teppichen und schönen Seidenstoffen, welche der Sieger davonträgt. Als Paul dieses Fest gab, liefen an jedem der acht Karnevalstage Pferde, Esel und Büffel, Greise, Jünglinge, Kinder und Juden. Man gab den Juden, wie man auch später zu tun pflegte, ehe sie rannten, reichlich zu essen, um den Lauf ihnen selbst beschwerlicher, dem Volk aber ergötzlicher zu machen. Sie liefen vom Arco Domiziano bis zur Kirche S. Marcus am Ende des Corso in voller Furie und unter dem Hetzgeschrei und dem Jubelgelächter Roms, während der Heilige Vater auf dem reichverzierten Ballon stand und herzlich lachte. Zwar möchte es scheinen, daß die allgemeine Teilnahme an dem Wettrennen, welchem sich auch Römer, Greise, Jünglinge und Kinder unterzogen, den Charakter der Entehrung entfernt habe; doch muß man wohl bedenken, daß dasselbe Vergnügen, welches Römern eine willige Lust war und als ein olympisches Spiel angesehen wurde, für die Juden als Schimpf galt. Wer nun je einem Corsorennen in Rom beigewohnt hat, wo jetzt der Lauf der Pferde an die Stelle des ehemaligen Judenlaufs getreten ist, und wer es gesehen hat, wie das Volk in fast furioser Aufregung mit Geschrei und grellem Gepfeife die hinwegstürzenden Tiere vorüberhetzt, der mag sich leicht vorstellen, wie in jenen barbarischen Zeiten die durch den Corso gehetzten Hebräer mehr als Spießruten laufen mußten.

Später wollte das Volk den Judenlauf nicht mehr missen, und ich finde in Sprengers «Roma nova» (vom Jahre 1667) die Nachricht, daß die Juden nackt und nur mit einer Binde um die Lenden laufen mußten, und zwar, sagt er, rennen erst die Esel, dann die Juden, dann die Büffel, dann die Berberpferde.

Gerade zwei Jahrhunderte lang erduldeten die Juden Roms diese empörende Entehrung, bis sie nach immer wiederholtem Flehen durch päpstliches Edikt davon erlöst wurden. Clemens IX. Rospigliosi befreite sie davon im Jahre 1668 und legte ihnen auf, statt des Rennens jährlich 300 Skudi zu bezahlen, und statt des Vorschreitens vor der Kavalkade des Senators, in der Thronkammer vor den Konservatoren Huldigung zu leisten und die Karnevalsprämien zu überreichen.

Am ersten Sonnabend des Karnevals pflegten die Häupter der Juden als Deputation der Judenschaft Roms vor den Konservatoren auf dem Kapitol zu erscheinen. Sie warfen sich vor ihrem Sessel nieder, und kniend überreichten sie einen Blumenstrauß und 20 Skudi, mit der Bitte, dies zur Auszier des Ballons zu verwenden, auf welchem der römische Senat auf der Piazza del Popolo seinen Sitz nahm. In gleicher Weise gingen sie zu dem Senator und flehten ihn nach hergebrachter Sitte um die Vergünstigung an, ferner in Rom bleiben zu dürfen. Der Senator setzte seinen Fuß auf ihre Stirn, befahl ihnen aufzustehen, und sagte nach hergebrachter Formel, daß die Juden in Rom nicht aufgenommen, doch aus Barmherzigkeit geduldet seien. Auch diese Demütigung ist gezwungen, aber auch jetzt kommen die Juden am ersten Sonnabend der Karnevalsfeste auf das Kapitol und leisten ihre Huldigung und Tribut für die Pallien der Pferde, welche sie zu beschaffen haben, in Erinnerung dessen, daß nun die Pferde an ihrer Statt das Volk belustigen.

(Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien (Gregorovius), 1856–1877 Der Ghetto und die Juden in Rom 1853)

Fußnoten

  1. Hervorhebung durch Fontane44