Katholische Religionslehre/Rechtfertigung
Dieser Artikel beschreibt Rechtfertigung - auch Erlösung oder Befreiung - als eines der Kernthemen des Christentums. Da Christen glauben, dass Jesus von Nazaret der Messias (gr. Christus) im Sinne der jüdischen Hoffnung gewesen ist, müssen sie eine Antwort auf die Frage entwickeln, was sich durch diesen Menschen in der Weltgeschichte verändert hat.
Pfarrer Max Heitzer hat in seinem Pfarrbrief „dialog“ 1997 die Vielfalt biblischer Erlösungsdeutungen herausgestellt.[1] Auf dieser Arbeit aufbauend habe ich die von ihm erarbeiteten Möglichkeiten ergänzt, mit Schriftzitaten belegt und in die mutmaßliche historische Reihenfolge gestellt. Dies bildet hier den ersten Teil: Biblische Deutungen der Leistung Christi.
Außerdem enthält der Artikel die Zusammenfassung eines Aufsatzes von Wolfried Härtle: Rechtfertigung heute.[2]
Biblische Deutungen der Leistung Christi
Paulus
Paulus deutet Erlösung als Befreiung:
- Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen! (Galater 5,1)
Konkret bedeutet das die Befreiung von den gesellschaftlichen Fesseln der Zeit und die Befreiung zu einer neuartigen Gemeinschaft:
- Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. (Galater 3,26-28)
Paulus bietet eine zweite Deutung der Erlösung, indem er sich auf die Gerechtigkeit bezieht. Weil es sich dann aber um die Gerechtsprechung des Ungerechten, also um eine grundlose Begnadigung handelt, bietet Paulus die Hilfsvorstellung des Begnadigungsortes (ilasterion) an, der für Juden das Allerheiligste im Tempel war.
- Wie es also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurtei¬lung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Men¬schen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt. Wie durch den Ungehor¬sam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden.
(Römer 5,18-19)
- Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott als Ort der Begnadigung proklamiert, Begna¬digung in seinem Blut, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Ver¬gebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden; er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt. (Römer 3,23-25)
Markus
Das erste Evangelium stellt Jesus als einen Menschen dar, der die Kranken heilt:
- Er heilte viele, so dass alle, die ein Leiden hatten, sich an ihn herandrängten, um ihn zu berühren. (Markus 3,10)
In einer Grundsatzerklärung stellt sich Jesus das Heilen als seine Aufgabe, erweitert den Begriff allerdings vom Bereich Krankheit auf den Bereich der Sünde:
- Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten. (Markus 2,17)
In einer zweiten Deutung stellt Markus Jesu Tod als Zahlung eines Lösegeldes für die vielen dar. Man kann daran denken, dass damals fromme Juden Armenkassen einrichteten, um Landsleute aus der Sklaverei freizukaufen:
- Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Markus 10,45)
Jesu Lebenshingabe ist drittens Voraussetzung seiner Auferstehung, die in der Sicht des Markus mit der Erlösung identisch ist:
- Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen. (Markus 9,31)
Markus bietet ein viertes Modell an, das in gewisser Weise die anderen Modelle in sich vereinigt; die Deutung der Erlösung als Lebensrettung:
- Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinet¬will¬len und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten. Was nützt es einem Men¬schen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurückkaufen? (Markus 8,35-37)
Lukas
Lukas hat sein Evangelium als Wegbeschreibung Jesu mit seinen Jüngern gestaltet, Erlösung bedeutet für ihn, sich mit Jesus auf den Weg zu machen. Vor allem die auf Jesus bezogenen Voraussagen enthalten dieses Verständnis, zum Beispiel die Wahrsagung des greisen Zacharias über seinen Sohn Johannes, den Wegbereiter:
- Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen; denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten. Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken in der Vergebung der Sünden. Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsre Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens. (Lukas 1,76-79)
Die Deutung der Erlösung als Heilung wird – in Fortentwicklung von Markus und Matthäus – mit dem Thema der Vertreibung der bösen Geister verbunden:
- Wenn ich aber die bösen Geister durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen. (Lukas 11,20)
Die Schüler des Paulus
Unter dem Namen des Paulus sind mehrere Briefe überliefert, die nicht von ihm selbst, sondern von seinen Schülern geschrieben wurden:
Der Colosserbrief beschreibt Erlösung als Aufnahme aller in die Liebe Gottes:
- Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. (Colosser 3,12)
Der Epheserbrief beschreibt die Verwandlung von Ferne in Nähe durch Christi Tod und die Verwandlung von Feindschaft in Frieden:
- Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet.
(Epheser 2, 13-16)
Literatur
- Wilfried Härle: Spurensuche nach Gott Berlin 2008
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Dialog (Pfarrbrief vom 20.4.1997)
- ↑ In: Wilfried Härle: Spurensuche nach Gott Berlin 2008 184-201