Mit Gedichten arbeiten: Umformen: Unterschied zwischen den Versionen

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Probieren Sie's mal aus.
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Man präsentiere ein Gedicht als Fließtext und lasse diesen zu einem Gedicht formen. Geeignet sind reimlose Gedichte, damit die Überlegungen zur Gestaltung sich auf eine innere, gedankliche Struktur konzentrieren. Also nicht ein romantisches Gedicht in Volksliedstrophen. Aber z.B. das Gedicht "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin:
:'' Mit gelben Birnen hänget und voll mit wilden Rosen das Land in den See, Ihr holden Schwäne, und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilig-nüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm ich, wenn es Winter ist, die Blumen, und wo den Sonnenschein, und Schatten der Erde? Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.'' 
Der Vergleich mit dem 'Original' kann dann zu interessanten Interpretationsgesprächen führen, in denen nicht zwingend das Original besser wegkommen muss. Gedichte von Bertolt Brecht - ohne Reim und Metrum - sind ebenfalls gut geeignet.
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Version vom 1. Januar 2019, 15:05 Uhr

Umformen und verdichten

Gedichte formen

Gedichte sind

in Form gebrachte Sprache.

Gedichte sind zuallererst durch ihr äußeres Erscheinungsbild gekennzeichnet, durch gebrochene Zeilen, unterschiedliche Zeilenlängen, durch die Gruppierung von Zeilen zu Strophen.
Indem der Verfasser/die Verfasserin dem Wortmaterial eine eigene Ordnung gibt, also indem er/sie Worte zu Zeilen gruppiert oder auch isoliert, können diese mit zusätzlicher Bedeutung angereichert werden.

Unterrichtsidee

Vom Fließtext zur Gedichtform

1. Der Gedichtband Zaubersprüche von Sarah Kirsch (Ebenhausen bei München, 1974, S. 5) beginnt mit diesem Fließ-Text:

Anziehung

Der Nebel zieht auf, das Wetter schlägt um. Der Mond versammelt Wolken im Kreis. Das Eis auf dem See hat Risse und reibt sich. Komm über den See.

Die Aufgabe lautet:

Bringt diesen Text in die Gestalt eines Gedichtes. Verwendet dazu ein DIN A4 Papier - oder größer.
Alles ist möglich, nur nicht das Weglassen oder Hinzufügen von Wörtern.
Gebt anschließend über eure Überlegungen Auskunft.
Umformungen: vom Fließtext zum Gedicht

Hier mögliche Umsetzungen →→→

Kurzkommentar:

Das ist zunächst keine schwierige Aufgabe. Ihre Durchführung kann aber Interpretationsgespräche auslösen und die Aufmerksamkeit auf Wortbedeutungen lenken. Dadurch kann sich des Weiteren die Sinnhaftigkeit von - scheinbar willkürlichen - Zeilenbrüchen erschließen.

Auch die ästhetische Gestaltung spielt eine Rolle: Die Farbe, die Schrift, die Platzierung auf dem Papier, eventuell auch die Umrandungen und Hintergründe. Wird diese Aufgabe mit Computer oder Tablet bearbeitet, dann kommen noch weitere typographische Aspekte hienzu wie z.B. die Wahl der Schriftfamilie.

Probieren Sie's mal aus.

Eine Variante

Man präsentiere ein Gedicht als Fließtext und lasse diesen zu einem Gedicht formen. Geeignet sind reimlose Gedichte, damit die Überlegungen zur Gestaltung sich auf eine innere, gedankliche Struktur konzentrieren. Also nicht ein romantisches Gedicht in Volksliedstrophen. Aber z.B. das Gedicht "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin:

Mit gelben Birnen hänget und voll mit wilden Rosen das Land in den See, Ihr holden Schwäne, und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilig-nüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm ich, wenn es Winter ist, die Blumen, und wo den Sonnenschein, und Schatten der Erde? Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.

Der Vergleich mit dem 'Original' kann dann zu interessanten Interpretationsgesprächen führen, in denen nicht zwingend das Original besser wegkommen muss. Gedichte von Bertolt Brecht - ohne Reim und Metrum - sind ebenfalls gut geeignet.

Prosa verdichten

Gedichte sind

verdichtete Sprache.

In Gedichten herrscht Sprachökonomie, also Sparsamkeit und Genauigkeit bei der Verwendung von Wörtern und Sätzen. Dadurch können die Wörter in neue Sinnzusammenhänge, in ungewöhnlichere Assoziationsfelder gerückt werden.

Unterrichtsidee

Von Prosa zum Gedicht


Und jetzt, Sonntagnachmittag, die Wolken quirlten am Himmel, als drängten sie nach einem Ausgang, in den sie verströmen konnten, die Häuser standen lautloser als sonst, wie stumm und abweisend waren die Fenster geschlossen, unerschütterlich steckten die Scheiben zwischen den weißgestrichenen Rahmen, war das die einzige Antwort, die die Umgebung bereit hielt? Klirrende Kaffeetische, hinter Vorhängen verborgen, Familientreffen, Geplauder und Gekicher, das keinen Laut nach außen dringen ließ, wollten denn alle in Ruhe gelassen werden und sollte es immer so weiter gehen mit diesen höhlenhaften Sonntagen, in die ganze Generationen hineinkrochen, als wäre nie etwas geschehen, als könnte man, wenigstens in Gedanken, einen Sonntag an den nächsten reihen, stumm, auf einem Band, das alle ereignislosen Tage sammelte, um ein Leben ohne Gefahren herzustellen, Block an Block, fugenlos aneinandergeschmiegt, ohne Lücken. ohne Spalten zum Entkommen?

(aus Jürgen Theobaldy: Sonntags Kino, Rotbuch  Verlag Berlin 1978 S. 81/1)

Arbeitsanweisung:

  1. Betrachte diesen Prosatext als Material für ein Gedicht über das Thema "Sonntagnachmittag" (oder so ähnlich oder auch ganz anders)
  2. Unterstreiche, was Dir brauchbar erscheint. Schreibe das Unterstrichene auf ein Blatt und überlege, wie sich das am besten zusammenbauen („montieren") lässt. Verändere den Text, wenn nötig.
  3. Experimentiere mit den Tempora (Präsens? Präteritum?), achte auf Klangfarbe (Alliteration, Assonanz) und Sprech-Rhythmus. Gruppiere Zeilen zu Strophen.
  4. Überlege, ob Du ein lyrisches Ich einfügen möchtest und wie.
  5. Wiederhole den Vorgang des Unterstreichens, Heraus- und Zusammenschreibens ruhig mehrmals, bis zu Deiner (zumindest vorläufigen!) Zufriedenheit.
  6. Versuche nicht zu reimen.

Kurzkommentar:

Es ist hilfreich, wenn der vorliegende Prosatext schon eine gewisse atmosphärische Dichte besitzt, so dass er innere und äußere Bilder erzeugt, die sich herausschälen und typografisch gestalten lassen. Dialoge oder Aktionen geben das nicht so her, wohl aber Erzählerberichte und Schilderungen, wie sie oft am Anfang von Erzählabschnitten zu finden sind.

Hier noch ein etwas anderer Ausgangstext, selbstgemacht:

Der Wecker scheppert, vom Bett her antwortet dumpfes Grunzen. Durch das Fenster quillt Straßenlärm und der Morgen graut ins Zimmer. Aufstehen! befiehlt der Wecker. Ein Bein zappelt in die Hose, ein Arm bohrt sich durch den Pullover, den Kopf kratzt ein Kamm. Aus dem Spiegel blicken trübe Augen, die Zahnbürste verbeult das Gesicht, links und recht und links und rechts, und scheuert Schaum aus dem Mund. Der Wecker verlangt: Auf Hochtouren kommen, gute Miene zum bösen Spiel, kühler Kopf und Sonne im Herzen. Der Wecker läutet den Tag ein: Es gilt, eine Chance wahrzunehmen, einen Erfolg zu verbuchen, eine gute Tat zu vollbringen. Alltägliches Morgengrauen: randvoll mit Rätseln, wie ein Vorhang, der darauf wartet, geöffnet zu werden, oder ein Loch, in das du fällst, wenn der Fuß nicht weiß wohin. (K. Dautel)

Siehe auch