Fremd in Franken/Beutetürken

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Im Gefolge der TürkenkriegeWikipedia-logo.png wurden vom 16. bis ins 18. Jahrhundert zahlreiche Türken oder, genauer gesagt, Muslime aus dem Osmanischen Reich als „Beute“ in die Krieg führenden euro­päischen Länder verschleppt. Für Deutschland wurden bislang knapp 600 dieser „Beutetürken“ nachgewiesen, etwa die Hälfte davon Kinder unter 16 Jahren.

Aufgabe
  1. Erkläre den Begriff „Beutetürke“.
    • Beschreibe Alter, Herkunft und Religion der „Beutetürken“. Finde Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
    • Überlege, ob der Vorwurf der Sklaverei zutrifft.
  2. Erkläre, welche Bedeutung die „Türkentaufen“ hatte.
    • Beschreibe, welche Schritte unternommen werden mussten.
    • Beschreibe, wie sich die weiteren Lebensläufe gestalteten
    • Überlege und bewerte, welche Stellung die „Beutetürken“ in der Gesellschaft erlangt hatten.
  3. Vergleiche die Integration der Beutetürken mit dem Prestige heutiger Migranten .

Einzelschicksale

Ein […] Grabkreuz auf dem Friedhof von Rügland in Mittelfranken erzählt gleich eine ganze Geschichte:

Türkenkreuz des Carl Osman in Rügland

„Hier ruht in Gott Carl Osman,
ward geb. in Constantinopel 1655,
vor Belgrad gefangen 1688,
zu Rügland getauft 1727,
in Diensten gestanden 47 Jahr,
starb 1735, alt 80 Jahr.“

Doch allein mit solchen öffentlich sichtbaren Zeugnissen, deren es nur wenige gibt, kämen wir bei unserer Suche nicht sehr weit.
Erst wenn wir die Quellengattung wechseln und quer durchs Land in den Kirchenbüchern blättern, wächst das Material so an, dass es unser Bild von der deutschen Bevölkerungsgeschichte tatsächlich um einiges verändert.
Auch über Carl Osman in Rügland zum Beispiel erfahren wir auf diesem Wege noch mehr. Anlässlich seiner Taufe schenkte er der Kirche zwei Augsburger Silberleuchter. Für seine Beerdigung setzte er schlitzohrig von seinen Ersparnissen jedem Teilnehmer fünf Kreuzer aus; so kam er zu einer „grossen Leich“ mit sage und schreibe 925 Trauergästen …
Über 600 solcher Fälle konnten bisher auf diese Weise […] identifiziert werden: Lebenslauffragmente von Menschen, die dem Osmanischen Reich entstammten, allesamt demnach Muslime waren und später ihr Leben „bei uns“ fortsetzten. Und ständig kommen weitere Fallgeschichten dazu, die meisten aus dem 16. und 17.Jahrhundert, der Zeit der „Türkenkriege“.

Carl Osman und das Türkenmariandl von Hartmut Heller[1]



Taufe eines Knaben aus dem Osmanischen Reich; Öl auf Leinwand 130x80cm; Schlosskirche Lahm/Itzgrund[2]

Einzigartig ist, dass solch eine „Türkentaufe“ bildlich belegt ist, wie im Fall der 1602 vollzogenen Taufe eines Knaben in dem bei Bamberg gelegenen Ort Lahm im Itzgrund. Die Taufe erfolgte auf Anordnung des Adligen Wolf von Lichtenstein, der den Jungen - eines türkischen »Pascha« Sohn, so die Bildunterschrift - hatte gefangen nehmen lassen. Das Gemälde zeigt im geschmückten Kirchenraum drei zeitlich aufeinander folgende Szenen in simultaner Darstellung.
Zunächst wird der Täufling vom Pfarrer in der christlichen Glaubenslehre examiniert, dann vom bereits erwähnten Wolf von Lichtenstein zum Taufbecken geleitet.
Abschließend ist im oberen Bildfeld die Taufe selbst festgehalten. Assistiert von einem Gehilfen, der die Taufagenda liest, sowie von einem weiteren Helfer, der ein Handtuch bereithält, tauft der Pfarrer den Knaben auf den Namen Wolff Christof. Als Namensgeber fungierte Wolff Christof Truchseß von und zu Pommersfelden. Er und der zweite Taufpate Martin von Lichtenstein sind im Gemälde zusammen mit dem vorgenannten Wolf von Lichtenstein dargestellt.
Fünfzehn Jahre nach dem Ereignis wurde das Gemälde von der Familie Lichtenstein 1617 in Auftrag gegeben und von ihr 1677 restauriert sowie um eine aufwendige Bildumschrift ergänzt. Über die weitere Lebensgeschichte Wolff Christofs wissen wir nichts.


Ibrahim → Johannes Gottlieb Christian

Handschriftliches Protokoll der Türkentaufe in Rückersdorf - Titelblatt[3]

Türkischer Reitersoldat, ein "Spahi"[4], war Ibrahim gewesen, von dem ein ausführ­liches Taufprotokoll aus Rückersdorf bei Nürnberg berichtet. Sein Geburtsort war Stipp in Oberungarn. Nach dem Fall der Festung Ofen 1686 unter den Kriegsgefangenen, hatte ihn der nürnbergische Dragonerhauptmann Gottlieb Tucher v. Simmelsdorf als Leibknecht erkauft und hernach mit auf sein Rückersdorfer Schloss gebracht.
Unter der Anleitung des Ortspfarrers wandelte sich der Muslim zum Christen. Allerdings dürfte noch ein zweiter Anlass den Tauftermin im März 1689 mitbestimmt haben: Denn nur zwei Tage später hielt der nunmehr rechtgläubige Johannes Gottlieb Christian Hochzeit mit der Schlossmagd Margareta Malterin, die von ihm bereits im vierten Monat schwanger war.
Erstaunlicherweise scheint diese Unzucht ihn keineswegs sozial diskreditiert zu haben: Auch ihm standen nürnbergische Ratsherren und Offiziere als Taufzeugen zur Seite. Dass die Trauung nicht in der Kirche, sondern privatim im Pfarrhaus vorgenommen wurde, war eine damals normale Schandstrafe für Fornikanten[5]. Aber das Hoch­zeitsmahl danach richtete die Herrschaft sogar im Schlosse aus. Von den bald darauf geborenen Zwillingen überlebte ein Mädchen.
Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)[6]



Hussin → Friedrich Carl Wilhelm Benedict

Eigentlicher Verlauff einer zu Rückersdorff verrichteten Türken-Tauff
Welche Anno 1694. den 1. Maji an Walpurgis-Tag ... empfangen Hussin/ Ein ... geborner Türck und gewesner Türckischer Sorbazi oder Hauptmann/ etc. Deren erbettene Zeugen und Paten gewesen Die ... Herren/ Herr Wolffgang Friderich Pömer/ etc. Herr Carl Benedict Nützel/ etc. Herr Jobst Wilhelm Ebner/ etc. Herr Johann Friderich Behaim/ etc. deß Innern geheimen Raths ... Nürnberg ... Kriegs-Räthe und Herren etc. Der Tauffer aber war M. Tobias Gabriel Ruprecht/ Diener Christi zu obged. Rückersdorff ...
(Druckschrift)[7]

Hussin, Abkömmling eines vornehmen türkischen Geschlechts aus der Gegend von Constantinopel, selbst allerdings in Budapest geboren, war Janitscharenhauptrnann und auch 1686, 20jährig, vor Ofen in Gefangenschaft geraten.
Mit einem Bayreuther Leut­nant, der ihn vor der drohenden Enthauptung durch Loskauf gerettet hatte, kam er nach Bamberg. Dort erwarb ihn um 45 Reichsthaler Frhr. Christoph v. Wiesenthal, bei dem er, wie wir lesen, sechs Jahre lang durchaus nicht als Leibeigener, sondern wie ein Freier „tractiret“ worden. Als Herr v. Wiesenthal selbst in den Krieg zog, blieb Hussin als Knecht bei einem Wachtmeister Deinhartstein zurück und wechselte von da auf eigenen Wunsch in die Dienste des uns schon bekannten Dragonerhauptmanns Gottlieb Tucher v. Simmels­dorf, der in Rückersdorf bei Nürnberg ansässig war.
Erst hier hören wir von Bemü­hungen um sein christliches Seelenheil. Die Taufe am 1. Mai 1694 wurde zu einem fest­lichen, sogar druckschriftlich publizierten Ereignis des Nürnberger Patriziats. Mitglieder der hochedlen Familien Pömer, Ebner, Nützel und Behaim übernahmen die Gevatterrolle. Nachkommen Hussins, der jetzt Friedrich Carl Wilhelm und mit Nachnamen Benedict hieß, lassen sich bis in unser Jahrhundert verfolgen. 1695 hatte er in Lauf a. d. Pegnitz die Tochter eines Branntweinbrenners geheiratet und danach in Schwaig selbst dieses Gewerbe ausgeübt. Einer der Söhne war Paternostermacher in Nürnberg, ein Enkel zugleich Ringleindreher
Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)[8]

Eine »Türkentaufe« wurde unverkennbar zum Repräsentationsereignis. Als 1694 in Rückersdorf, einem Herrensitz des Nürnberger Patriziergeschlechtes Tucher, der nunmehr 28jährige Hussin getauft wurde, erschien dazu sogar eine festliche Druckschrift. Der Nürnberger Rat sah dem bei Türkentaufen üblich gewordenen Pomp 1690 mit deutlichem Unbehagen zu (STAN Rep. 29 c, Landpflegamt Altdorf S I L 311, Nr. 13).[9]




Fatmeh → Katharina Amalie

Die Möhrin-Tauf zu Altdorf
20.2.1688
Landeskirchl. Archiv Nürnberg BKG 2990

Obwohl in Morea (das ist der griechische Peloponnes) geboren und Kind türkischer Eltern namens Mehmet und Fatmeh war das Mädchen Fatmeh „äußerer Leibs-Gestalt nach eine Möhrin“. Venetianer, die 1686 die Festung Modon bezwungen hatten, entführten die damals 12jährige in die Lagunenstadt.
Dort wurde sie dem deutsch-schwedischen Konsul Pommer „verehrt“, der wohl wenig mit ihr anzufangen wusste und sie weiter­schickte an seinen Freund Johann Fabricius, — einst Prediger der deutschen Kaufleute in Venedig, jetzt Professor an der Universität Altdorf. Da die derart ins Fränkische verschlagene junge Muslimin natürlich zunächst kein Deutsch verstand, hielt Professor Fabricius seinen lutherischen Katechismusunterricht mit ihr in italienischer Sprache.
Eine eigene Druckschrift schildert die zwei Jahre später, am 20. Februar 1688, veranstaltete Tauffeier, bei der eine Professorengattin und die Frau des nürnbergischen Landpflegers als Paten mitwirkten und das Prüfungsgespräch immer noch in Italienisch geführt werden musste.
Nach einer Notiz des Altdorfer Universitätshistorikers Will ist Katharina Amalie, wie Fatmeh nun hieß, im Hause Fabricius schon bald nach der Taufe verstorben.
Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)[10]



Brauereiverwalter Christian Gustav Philipp Artelshöfer

Die Nürnberger Adelsfamilie Tetzel hatte 1601 das Dorf Artelshofen gekauft und besaß dort das Braurecht. 1699 … wurde Christian Gustav Philipp Artelshöfer als Brauereiverwalter be­stallt.

Wer war nun Christian Gustav Philipp Artels­höfer, der zu Walpurgis (1. Mai) 1699 erstmals als Brauereiverwalter in Artelshofen einge­setzt wurde? Aus den Kirchenbüchern der Nachbargemeinde Vorra, ebenfalls im Besitz der Tetzel, geht hervor, dass er ein gebürti­ger Türke war und am 2. Juni 1689 in der Kir­che in Vorra evangelisch getauft wurde. Sein türkischer Name ist leider nicht überliefert, seine Eltern waren Sinan Retschepalli (wohl: Recep Ali), Schneider zu Groß-Zara, und Hebibe. Der in Groß-Zara (wohl Groß-Saros, unga­risch Nagy Säros in Oberungarn, das heutige Vel'ky Saris in der Ostslowakei) Geborene war im Türkenkrieg bei der Belagerung von Ofen 1686 gefangen genommen und Gustav Philipp Tetzel, dem Besitzer von Arteishofen und Vorra, geschenkt worden. Dieser und sein Sohn Gus­tav Georg (1660-1728), dem sein Vater 1689 den Tetzelschen Besitz zu Vorra überschrie­ben hatte, traten als Artelshöfers Taufpaten auf. Dessen erster Vorname deutet auf die Konversion vom Islam zum Christentum hin, die beiden weiteren Vornamen sind diejeni­gen des Vornehmeren seiner Taufpaten.

Christian Gustav Philipp Artelshöfer assimilierte sich sehr schnell. Bereits zehn Jahre nach der Taufe wurde er Brauereiverwal­ter in Artelshofen, ein Gewerbe, das er bis zu seinem Tode 1716 ausübte. Zugteich war er für Fischerei und Vogelfang zuständig und hielt sich Schafe. Als 1702 im Spanischen Erbfolgekrieg, in dem das Kurfürstentum Bayern auf der Seite Frank­reichs stehend den Fränkischen Reichskreis bedrängte,  das reichsstädtische Pflegamt Hersbruck die wehrfähigen Männer in Artels­hofen bewaffnete, erhielt selbstverständlich auch der gebürtige Türke Artelshöfer, der im unteren Dorf wohnte, eine Muskete (StadtAH E 49/11 Nr. 1549).

1701 wird erstmals Artelshöfers Frau Anna erwähnt, eine Wirtstochter aus Artelshofen, die nach seinem Tod sein halbes Jahresgehalt (3  Gulden) gnadenhalber weiterbeziehen durfte.[11].

Warum ?

Wenn wir dieses vergessene historische Kapitel nun neu aufschlagen. dann leisten wir nicht einfach normale rückschauende Geschichtsarbeit. Angesichts der gegenwärtig wieder sehr lauten, weitgehend ablehnenden Ausländerdiskussion — ausgelöst durch Gastarbeiter- und Asylantenströme — bietet sich hier vergleichender Anschauungsunter­richt, wie man früher in Deutschland mit türkischen Minderheiten umging. Man wird zur Kenntnis zu nehmen haben, dass den Türken damals keine Überfremdungsängste entgegenschlugen, dass sie nahezu problemlos assimiliert wurden.
Sozialpsychologisch noch brisanter aber ist, dass im Gefolge dieser Befunde kein vermeintlich "reinrassiger Deutscher" ohne Nachprüfung sicher sein kann, nicht selbst einen Türken in seiner Ahnenreihe, Türkenblut in den eigenen Adern zu haben.
Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)

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Fremd in Franken

  1. Die Exulanten
    1. Exulanten im Nürnberger Land
  2. Die Hugenotten
  3. Beutetürken
  4. Landjudentum in Franken

Weblinks

  1. Carl Osman und das Türkenmariandl Schon Jahrhunderte bevor die ersten Arbeitsimmigranten kamen, wurden hierzulande aus Türken Deutsche (gemacht)
    Hartmut Heller in: Die Zeit Nr. 37, 2003 (Bezahlschranke)
  2. Migrationen 1500–2005: Zuwanderungsland Deutschland
    Ausstellung Deutsches Historisches Museum, Berlin, Ausstellungshalle von I. M. Pei, 22. Oktober 2005 bis 12. Februar 2006
    ISBN 3-86102-136-6 (Museumsausgabe) / 3-938832-02-9 (Buchhandelsausgabe)
    Wolfratshausen 2005, 383 Seiten: zahlr. Ill., Kt., Ed. Minerva
    ISBN 3-86102-136-6
  3. Protokoll der Türkentaufe in Rückersdorf 7.3.1689
    Stadtbibliothek Nürnberg Nor H 50
  4. SipahiWikipedia-logo.png
  5. "Fornikanten" = unverheiratete, die des vorehelichen Geschlechtsverkehrs überführt und per Gerichtsbeschluss zur Heirat gezwungen wurden
  6. Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte von Hartmut Heller
    (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)
  7. Eigentlicher Verlauff einer zu Rückersdorff verrichteten Türken-Tauff
    Druckschrift zur Taufe des Janitscharenhauptmanns Hussin in Rückersdorf 1.5.1694
    Stadtbibliothek Nürnberg Will II, 1230 (Katalogverzeichnis)
  8. Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte von Hartmut Heller
    (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)
  9. »Christian Lorenz, Sohn des Ibraim, weiland Amurath genannt« - Zur Assimilierung türkischer Kriegsgefangener nach 1683
    Hartmut Heller (Nürnberg) in Matreier Gespräche (1989)
  10. Türkentaufen um 1700 - ein vergessenes Kapitel der fränkischen Bevölkerungsgeschichte von Hartmut Heller
    (frankenland-frankonia.uni-wuerzburg.de)
  11. Schätze aus dem Stadtarchiv
    Michael Diefenbacher: Integration um 1700: Bestallungen des Brauereiverwalters Christian Gustav Philipp Artelshöfer
    (Stadtarchiv Nürnberg E 49/II Nr. 1321))