Mein Leben (Seume): Unterschied zwischen den Versionen
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{{Zitat|Da es den meisten gegangen war wie mir, oder noch schlimmer, entspann sich bald ein großes Komplott zu unser aller Befreiung. Man hatte soviel gutes Zutrauen zu meinen Einsichten und meinem Mut, daß man mir Leitung und Kommando mit uneingeschränkter Vollmacht übertrug; und ich ging bei mir zu Rate und war nicht übel willens, den Ehrenposten anzunehmen und fünfzehnhundert Mann auf die Freiheit zu führen und sie dann in Ehren zu entlassen, einen jeden seinen Weg. Außer dem glänzenden Antrag kitzelte mich vorzüglich, dem Ehrenmanne von Landgrafen für seine Seelenschacherei einen Streich zu spielen, an den er denken würde, weil er verteufelt viel kostete. Als ich so ziemlich entschlossen war, kam ein alter preußischer Feldwebel zu mir sehr vertraulich. »Junger Mensch«, sagte er, »Sie eilen in Ihr Verderben unvermeidlich, wenn Sie den Antrag annehmen. Selten geht eine solche Unternehmung glücklich durch; der Zufälle, sie scheitern zu machen, sind zu viele. Glauben Sie mir altem Manne, ich bin leider bei dergleichen Gelegenheiten schon mehr gewesen. Sie scheinen gut und rechtschaffen, und ich liebe Sie wie ein Vater. Lassen Sie meinen Rat etwas gelten! Wenn die Sache glücklich durchgeht, werden wir nicht die letzten sein, davon Vorteil zu ziehen.« Ich überlegte, was mir der alte Kriegsmann gesagt hatte, und unterdrückte den kleinen Ehrgeiz, entschuldigte mich mit meiner Jugend und Unerfahrenheit und ließ die Sache vorwärts gehen. Der Kanonier-Feldwebel hatte recht; es wurde alles verraten: ein Schneider aus Göttingen, der ein Stimmchen sang wie eine Nachtigall, erkaufte sich durch die Schurkerei eine Unteroffizierstelle bei der Garde, und da man ihn dort gehörig würdigte und er des Lebens nicht mehr sicher war, die Freiheit und eine Handvoll Dukaten. Ich erinnere mich der Sache noch recht lebhaft. Alle Anstalten zum Ausbruch waren getroffen. Wir lagen in verschiedenen Quartieren, in den Kasernen, dem Schlosse und einem alten Rittersaale. Man wollte um Mitternacht auf ein Zeichen ausziehen, der Wache stürmend die Gewehre wegnehmen, was sich widersetzte, niederstechen, das Zeughaus erbrechen, die Kanonen vernageln, das Gouvernementshaus verriegeln und zum Tore hinausmarschieren. In drei Stünden wären wir in Freiheit gewesen, Leute, die Weg wußten, waren genug dabei. | {{Zitat|Da es den meisten gegangen war wie mir, oder noch schlimmer, entspann sich bald ein großes Komplott zu unser aller Befreiung. Man hatte soviel gutes Zutrauen zu meinen Einsichten und meinem Mut, daß man mir Leitung und Kommando mit uneingeschränkter Vollmacht übertrug; und ich ging bei mir zu Rate und war nicht übel willens, den Ehrenposten anzunehmen und fünfzehnhundert Mann auf die Freiheit zu führen und sie dann in Ehren zu entlassen, einen jeden seinen Weg. Außer dem glänzenden Antrag kitzelte mich vorzüglich, dem Ehrenmanne von Landgrafen für seine Seelenschacherei einen Streich zu spielen, an den er denken würde, weil er verteufelt viel kostete. Als ich so ziemlich entschlossen war, kam ein alter preußischer Feldwebel zu mir sehr vertraulich. »Junger Mensch«, sagte er, »Sie eilen in Ihr Verderben unvermeidlich, wenn Sie den Antrag annehmen. Selten geht eine solche Unternehmung glücklich durch; der Zufälle, sie scheitern zu machen, sind zu viele. Glauben Sie mir altem Manne, ich bin leider bei dergleichen Gelegenheiten schon mehr gewesen. Sie scheinen gut und rechtschaffen, und ich liebe Sie wie ein Vater. Lassen Sie meinen Rat etwas gelten! Wenn die Sache glücklich durchgeht, werden wir nicht die letzten sein, davon Vorteil zu ziehen.« Ich überlegte, was mir der alte Kriegsmann gesagt hatte, und unterdrückte den kleinen Ehrgeiz, entschuldigte mich mit meiner Jugend und Unerfahrenheit und ließ die Sache vorwärts gehen. Der Kanonier-Feldwebel hatte recht; es wurde alles verraten: ein Schneider aus Göttingen, der ein Stimmchen sang wie eine Nachtigall, erkaufte sich durch die Schurkerei eine Unteroffizierstelle bei der Garde, und da man ihn dort gehörig würdigte und er des Lebens nicht mehr sicher war, die Freiheit und eine Handvoll Dukaten. Ich erinnere mich der Sache noch recht lebhaft. Alle Anstalten zum Ausbruch waren getroffen. Wir lagen in verschiedenen Quartieren, in den Kasernen, dem Schlosse und einem alten Rittersaale. Man wollte um Mitternacht auf ein Zeichen ausziehen, der Wache stürmend die Gewehre wegnehmen, was sich widersetzte, niederstechen, das Zeughaus erbrechen, die Kanonen vernageln, das Gouvernementshaus verriegeln und zum Tore hinausmarschieren. In drei Stünden wären wir in Freiheit gewesen, Leute, die Weg wußten, waren genug dabei. | ||
|Seume: Mein Leben, S. | |Seume: Mein Leben, S. 99-100}} | ||
=== Die Bestrafung === | === Die Bestrafung === |
Version vom 28. März 2008, 13:09 Uhr
Johann Gottfried Seume berichtet in seiner unvollendeten autobiographischen Schrift Mein Leben über sein Leben von der Kindheit bis zur Rückkehr von seiner Zeit als hessischer Soldat in Amerika. Hier werden nur kurze Ausschnitte vorgelegt.
Seumes Ausbildungsgang
Intelligent und eigenwillig lernt Seume vor allem, war er selbst für wichtig hält, ist aber einem seiner Lehrer sehr dankbar für seine Anleitung.
Seumes verlässt seine Heimat
Seume studierte Theologie und konnte nach der Lektüre aufklärerischer Schriften mit der Theologie des orthodoxen Luthertums nichts mehr anfangen. Da er aber befürchten musst, später als Prediger immer darauf festgelegt zu werden, beschloss er, dieser Falle zu entrinnen.
Seume wird gezwungen, hessischer Soldat zu werden
Der Plan zu desertieren
Die Bestrafung
Die Weiterreise
Die Atlantiküberquerung
Anmerkungen
Auslassungen und Zusätze zur Erläuterung sind innerhalb der Zitatblöcke durch eckige Klammern kenntlich gemacht.
Buchausgaben
- Peter Goldammer u. Heinz Pietzsch (Hrsg.): Seume. Ein Lesebuch für unsere Zeit, Thüringer Volksverlag Weimar 1954, S.51-129 (Die obigen Seitenangaben folgen dieser Ausgabe.)
- Jörg Drews (Hrsg): Mein Leben. Nebst der Fortsetzung von C. J. Göschen u. C. A. H. Clodius. 2., überarb. Aufl. Stuttgart 2002 (= Reclams Universal Bibliothek, 1060) [1. Aufl. 1991].
- Johann Seume: Mein Leben, Elibron Classics, 2000