Mein Leben (Seume): Unterschied zwischen den Versionen
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{{Zitat|Den dritten Abend übernachtete ich in Vach [Vacha], und hier übernahm trotz allem Protest der Landgraf von Kassel [Friedich II.], der damalige große Menschenmakler, durch seine Werber die Besorgung meiner ferneren Nachtquartiere nach Ziegenhain, Kassel und weiter nach der neuen Welt. | {{Zitat|Den dritten Abend übernachtete ich in Vach [Vacha], und hier übernahm trotz allem Protest der Landgraf von Kassel [ {{wpde|Friedrich_II._(Hessen-Kassel)|Friedich II.}} ], der damalige große Menschenmakler, durch seine Werber die Besorgung meiner ferneren Nachtquartiere nach Ziegenhain, Kassel und weiter nach der neuen Welt. | ||
[...] Man brachte mich als Halbarrestanten nach der Festung Ziegenhain, wo der Jammergefährten aus allen Gegenden schon viele lagen, um mit dem nächsten Frühjahr nach Fawcets Besichtigung nach Amerika zu gehen. Ich ergab mich in mein Schicksal und suchte das Beste daraus zu machen, so schlecht es auch war. Wir lagen lange in Ziegenhain, ehe die gehörige Anzahl der Rekruten vom Pfluge und dem Heerwege und aus den Werbestädten zusammengebracht wurde. Die Geschichte und Periode ist bekannt genug: niemand war damals vor den Handlangern des Seelenverkäufers sicher; Überredung, List, Betrug, Gewalt, alles galt. Man fragte nicht nach den Mitteln zu dem ver dammlichen Zwecke. Fremde aller Art wurden angehalten, eingesteckt, fortgeschickt. Mir zerriß man meine akademische Inskription als das einzige Instrument meiner Legitimierung. Am Ende ärgerte ich mich weiter nicht; leben muß man überall; wo so viele durchkommen, wirst du auch; über den Ozean zu schwimmen war für einen jungen Kerl einladend genug, und zu sehen gab es jenseits auch etwas. So dachte ich. Während unseres Aufenthalts in Ziegenhain brauchte mich der alte General Gore zum Schreiben und behandelte mich mit vieler Freundlichkeit. Hier war denn ein wahres Quodlibet von Menschenseelen zusammengeschichtet, gute und schlechte und andere, die abwechselnd beides waren. Meine Kameraden waren noch ein verlaufener Musensohn aus Jena, ein bankrotter Kaufmann aus Wien, ein Posamentierer aus Hannover, ein abgesetzter Postschreiber aus Gotha, ein Mönch aus Würzburg, ein Oberamtmann aus Meinungen, ein preußischer Husarenwachtmeister, ein kassierter hessischer Major von der Festung und andere von ähnlichem Stempel. Man kann denken, daß es an Unterhaltung nicht fehlen konnte; und nur eine Skizze von dem Leben der Herren müßte eine unterhaltende, lehrreiche Lektüre sein. | [...] Man brachte mich als Halbarrestanten nach der Festung Ziegenhain, wo der Jammergefährten aus allen Gegenden schon viele lagen, um mit dem nächsten Frühjahr nach Fawcets Besichtigung nach Amerika zu gehen. Ich ergab mich in mein Schicksal und suchte das Beste daraus zu machen, so schlecht es auch war. Wir lagen lange in Ziegenhain, ehe die gehörige Anzahl der Rekruten vom Pfluge und dem Heerwege und aus den Werbestädten zusammengebracht wurde. Die Geschichte und Periode ist bekannt genug: niemand war damals vor den Handlangern des Seelenverkäufers sicher; Überredung, List, Betrug, Gewalt, alles galt. Man fragte nicht nach den Mitteln zu dem ver dammlichen Zwecke. Fremde aller Art wurden angehalten, eingesteckt, fortgeschickt. Mir zerriß man meine akademische Inskription als das einzige Instrument meiner Legitimierung. Am Ende ärgerte ich mich weiter nicht; leben muß man überall; wo so viele durchkommen, wirst du auch; über den Ozean zu schwimmen war für einen jungen Kerl einladend genug, und zu sehen gab es jenseits auch etwas. So dachte ich. Während unseres Aufenthalts in Ziegenhain brauchte mich der alte General Gore zum Schreiben und behandelte mich mit vieler Freundlichkeit. Hier war denn ein wahres Quodlibet von Menschenseelen zusammengeschichtet, gute und schlechte und andere, die abwechselnd beides waren. Meine Kameraden waren noch ein verlaufener Musensohn aus Jena, ein bankrotter Kaufmann aus Wien, ein Posamentierer aus Hannover, ein abgesetzter Postschreiber aus Gotha, ein Mönch aus Würzburg, ein Oberamtmann aus Meinungen, ein preußischer Husarenwachtmeister, ein kassierter hessischer Major von der Festung und andere von ähnlichem Stempel. Man kann denken, daß es an Unterhaltung nicht fehlen konnte; und nur eine Skizze von dem Leben der Herren müßte eine unterhaltende, lehrreiche Lektüre sein. | ||
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==Die Atlantiküberquerung== | == Die Atlantiküberquerung == | ||
{{Zitat|In den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt, geschichtet und gepökelt wie die Heringe. Den Platz zu sparen, hatte man keine Hängematten, sondern Verschläge in der Tabulatur des Verdecks, das schon niedrig genug war, und nun lagen noch zwei Schichten übereinander. Im Verdeck konnte ein ausgewachsener Mann nicht gerade stehen, und im Bettverschlage nicht gerade sitzen. Die Bettkasten waren für sechs und sechs Mann; man denke die Menage. Wenn viere darin lagen, waren sie voll; und die beiden letzten mußten hineingezwängt werden. Das war bei warmem Wetter nicht kalt: es war für einen einzelnen gänzlich unmöglich, sich umzuwenden, und ebenso unmöglich, auf dem Rücken zu liegen. Die geradeste Richtung mit der schärfsten Kante war nötig. Wenn wir so auf einer Seite gehörig geschwitzt und gebraten hatten, rief der rechte Flügelmann: »Umgewendet!« und es wurde umgeschichtet; hatten wir nun auf der andern Seite quantum satis [so lange wie möglich] ausgehalten, rief das nämliche der linke Flügelmann, und wir zwängten uns wieder in die vorherige Quetsche. Das war eine erbauliche, vertrauliche Lage, ungefähr wie im hohen Paradiese, wenn auf der Bühne des Volks Lieblingsstück gegeben wurde. | {{Zitat|In den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt, geschichtet und gepökelt wie die Heringe. Den Platz zu sparen, hatte man keine Hängematten, sondern Verschläge in der Tabulatur des Verdecks, das schon niedrig genug war, und nun lagen noch zwei Schichten übereinander. Im Verdeck konnte ein ausgewachsener Mann nicht gerade stehen, und im Bettverschlage nicht gerade sitzen. Die Bettkasten waren für sechs und sechs Mann; man denke die Menage. Wenn viere darin lagen, waren sie voll; und die beiden letzten mußten hineingezwängt werden. Das war bei warmem Wetter nicht kalt: es war für einen einzelnen gänzlich unmöglich, sich umzuwenden, und ebenso unmöglich, auf dem Rücken zu liegen. Die geradeste Richtung mit der schärfsten Kante war nötig. Wenn wir so auf einer Seite gehörig geschwitzt und gebraten hatten, rief der rechte Flügelmann: »Umgewendet!« und es wurde umgeschichtet; hatten wir nun auf der andern Seite quantum satis [so lange wie möglich] ausgehalten, rief das nämliche der linke Flügelmann, und wir zwängten uns wieder in die vorherige Quetsche. Das war eine erbauliche, vertrauliche Lage, ungefähr wie im hohen Paradiese, wenn auf der Bühne des Volks Lieblingsstück gegeben wurde. | ||
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*Johann Seume: Mein Leben, Elibron Classics, 2000 | *Johann Seume: Mein Leben, Elibron Classics, 2000 | ||
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* [[American Revolution]] | |||
* [[Die verkauften Landeskinder]] | |||
* [[Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802]] | |||
[[Kategorie:Werke]] | |||
[[Kategorie:Geschichte]] |
Aktuelle Version vom 21. Oktober 2023, 11:00 Uhr
Johann Gottfried Seume berichtet in seiner unvollendeten autobiographischen Schrift Mein Leben über sein Leben von der Kindheit bis zur Rückkehr von seiner Zeit als hessischer Soldat in Amerika. Hier werden nur kurze Ausschnitte vorgelegt.
Seumes Ausbildungsgang
Intelligent und eigenwillig lernt Seume vor allem, war er selbst für wichtig hält, ist aber einem seiner Lehrer sehr dankbar für seine Anleitung.
Seumes verlässt seine Heimat
Seume studierte Theologie und konnte nach der Lektüre aufklärerischer Schriften mit der Theologie des orthodoxen Luthertums nichts mehr anfangen. Da er aber befürchten musst, später als Prediger immer darauf festgelegt zu werden, beschloss er, dieser Falle zu entrinnen.
Seume wird gezwungen, hessischer Soldat zu werden
Der Plan zu desertieren
Die Bestrafung
Die Weiterreise
Die Atlantiküberquerung
Anmerkungen
Auslassungen und Zusätze zur Erläuterung sind innerhalb der Zitatblöcke durch eckige Klammern kenntlich gemacht.
Buchausgaben
- Peter Goldammer u. Heinz Pietzsch (Hrsg.): Seume. Ein Lesebuch für unsere Zeit, Thüringer Volksverlag Weimar 1954, S.51-129 (Die obigen Seitenangaben folgen dieser Ausgabe.)
- Jörg Drews (Hrsg): Mein Leben. Nebst der Fortsetzung von C. J. Göschen u. C. A. H. Clodius. 2., überarb. Aufl. Stuttgart 2002 (= Reclams Universal Bibliothek, 1060) [1. Aufl. 1991].
- Johann Seume: Mein Leben, Elibron Classics, 2000