Landschaftsbeschreibungen in der Literatur: Unterschied zwischen den Versionen
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'''Am "Magnetpol der größtmöglichen Einsamkeit" - [[Patrick Süßkind]], "[[Das Parfum]]"''' | '''Am "Magnetpol der größtmöglichen Einsamkeit" - [[Patrick Süßkind]], "[[Das Parfum]]"''' | ||
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:Dieser Pol, nämlich der menschenfernste Punkt des ganzen Königreichs, befand sich im Zentralmassiv der Auvergne, etwa fünf Tagesreisen südlich von Clermont, auf dem Gipfel eines zweitausend Meter hohen Vulkans namens Plomb du Cantal. | |||
:Der Berg bestand aus einem riesigen Kegel bleigrauen Gesteins und war umgeben von einem endlosen, kargen, nur von grauem Moos und grauem Ge-strüpp bewachsenen Hochland, aus dem hier und da braune Felsspitzen wie verfaulte Zähne aufragten und ein paar von Bränden verkohlte Bäume. Selbst am helllichten Tage war diese Gegend von so trostloser Unwirtlichkeit, daß der ärmste Schafhirte der ohnehin armen Provinz seine Tiere nicht hierher getrieben hätte. Und bei Nacht gar, im bleichen Licht des Mondes, schien sie in ihrer gottverlassenen Öde nicht mehr von dieser Welt zu sein. Selbst der weithin gesuchte auvergnatische Bandit Lebrun hatte es vorgezogen, sich in die Cevennen durchzuschlagen und dort ergreifen und vierteilen zu lassen, als sich am Plomb du Cantal zu verstecken, wo ihn zwar sicher niemand gesucht und gefunden hätte, wo er aber ebenso sicher den ihm schlimmer erscheinenden Tod der lebenslangen Einsamkeit gestorben ware. In meilenweitem Umkreis des Berges lebten kein Mensch und kein or-dentliches warmblütiges Tier, bloß ein paar Fledermäuse und ein paar Käfer und Nattern. Seit Jahrzehnten hatte niemand den Gipfel bestiegen. | :Der Berg bestand aus einem riesigen Kegel bleigrauen Gesteins und war umgeben von einem endlosen, kargen, nur von grauem Moos und grauem Ge-strüpp bewachsenen Hochland, aus dem hier und da braune Felsspitzen wie verfaulte Zähne aufragten und ein paar von Bränden verkohlte Bäume. Selbst am helllichten Tage war diese Gegend von so trostloser Unwirtlichkeit, daß der ärmste Schafhirte der ohnehin armen Provinz seine Tiere nicht hierher getrieben hätte. Und bei Nacht gar, im bleichen Licht des Mondes, schien sie in ihrer gottverlassenen Öde nicht mehr von dieser Welt zu sein. Selbst der weithin gesuchte auvergnatische Bandit Lebrun hatte es vorgezogen, sich in die Cevennen durchzuschlagen und dort ergreifen und vierteilen zu lassen, als sich am Plomb du Cantal zu verstecken, wo ihn zwar sicher niemand gesucht und gefunden hätte, wo er aber ebenso sicher den ihm schlimmer erscheinenden Tod der lebenslangen Einsamkeit gestorben ware. In meilenweitem Umkreis des Berges lebten kein Mensch und kein or-dentliches warmblütiges Tier, bloß ein paar Fledermäuse und ein paar Käfer und Nattern. Seit Jahrzehnten hatte niemand den Gipfel bestiegen. | ||
:Grenouille erreichte den Berg in einer Augustnacht des Jahres 1756. Als der Morgen graute, stand er auf dem Gipfel. Er wußte noch nicht, daß seine Reise hier zuende war. Er dachte, dies sei nur eine Etappe auf dem Weg in immer noch reinere Lüfte, und er drehte sich im Kreise und ließ den Blick seiner Nase über das gewaltige Panorama des vulkanischen Ödlands streifen: nach Osten hin, wo die weite Hochebene von Saint- Flour und die Sümpfe des Flusses Riou lagen; nach Norden hin, in die Gegend, aus der er gekommen und wo er tagelang durch karstiges Gebirge gewandert war; nach Westen, von woher der leichte Ylorgenwind ihm nichts als den Geruch von Stein und hartem Gras entgegentrug; nach Süden schließlich, wo die Ausläufer des Plomb sich meilenweit hinzogen bis zu den dunklen Schluchten der Truyere. Überall, in jeder Himmelsrichtung, herrschte die gleiche Menschenferne, und zugleich hätte jeder Schritt in jede Richtung wieder größere Menschennähe bedeutet. Der Kompaß kreiselte. Er gab keine Orientierung mehr an. Grenouille war am Ziel. Aber zugleich war er gefangen. | :Grenouille erreichte den Berg in einer Augustnacht des Jahres 1756. Als der Morgen graute, stand er auf dem Gipfel. Er wußte noch nicht, daß seine Reise hier zuende war. Er dachte, dies sei nur eine Etappe auf dem Weg in immer noch reinere Lüfte, und er drehte sich im Kreise und ließ den Blick seiner Nase über das gewaltige Panorama des vulkanischen Ödlands streifen: nach Osten hin, wo die weite Hochebene von Saint- Flour und die Sümpfe des Flusses Riou lagen; nach Norden hin, in die Gegend, aus der er gekommen und wo er tagelang durch karstiges Gebirge gewandert war; nach Westen, von woher der leichte Ylorgenwind ihm nichts als den Geruch von Stein und hartem Gras entgegentrug; nach Süden schließlich, wo die Ausläufer des Plomb sich meilenweit hinzogen bis zu den dunklen Schluchten der Truyere. Überall, in jeder Himmelsrichtung, herrschte die gleiche Menschenferne, und zugleich hätte jeder Schritt in jede Richtung wieder größere Menschennähe bedeutet. Der Kompaß kreiselte. Er gab keine Orientierung mehr an. Grenouille war am Ziel. Aber zugleich war er gefangen. | ||
:[...]Ein ungeheurer Jubel brach in ihm aus. So wie ein Schiffbrüchiger nach wochenlanger Irrfahrt die erste von Menschen bewohnte Insel ekstatisch begrüßt, feierte Grenouille seine Ankunft auf dem Berg der Einsamkeit." | :[...]Ein ungeheurer Jubel brach in ihm aus. So wie ein Schiffbrüchiger nach wochenlanger Irrfahrt die erste von Menschen bewohnte Insel ekstatisch begrüßt, feierte Grenouille seine Ankunft auf dem Berg der Einsamkeit." | ||
|aus Kapitel 24}} | |||
==Fundstellen== | ==Fundstellen== |
Version vom 7. Januar 2006, 16:48 Uhr
Landschaftsbeschreibungen in der deutschsprachigen Literatur
Einordnungen
Aus Der Grüne Heinrich von Gottfried Keller
Beispiele
Landschaft als Offenbarung
Landschaft klassisch
Gestaltete Landschaft - Naturverbesserungen:
Durch die Landschaft in die Vorzeit:
Innere Landschaften - Gemütslandschaften
Goethes Werther - Büchners Lenz
Die Leiden des jungen Werthers
Georg Büchner: Lenz
Traumlandschaften
Verloren in mittäglicher Traum-Landschaft: J. F. v. Eichendorff: Das Marmorbild (1818)
Kommentar:
Überblickte Landschaften - Fernblicke
Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Zweiter Teil, Kap. 16. Abendlandschaft / Berta von Bruneck)
Adalbert Stifter: Der Hagestolz (Kap. 4: "Wanderung")
Bewegte Landschaften
- Kahnfahrt mit Landschaft: Adalbert Stifter: Der Hagestolz (4. Wanderung)
Bedrohliche Landschaft
Am "Schauplatz einer Drohung": Alfred Andersch, Sansibar oder der letzte Grund
- Kapitel 2: Der junge KPD-Genosse Gregor radelt in Richtung einer Stadt an der Ostsee, wo er einen gefährlichen Auftrag zu erfüllen hat. Er stellt sich vor, wie der Vorhang sich öffnet und eine Landschaft tut sich auf. Aber er nähert sich auch dem "Schauplatz einer Drohung", weswegen sich die Landschaft ihm verschließt.
Bedrohte Landschaft
- Beispieltexte erwünscht
Industrialisierte Landschaft
- Von Drähten und Schienen: Gerhart Hauptmann, Bahnwärter Thiel
Einsamkeit
Am "Magnetpol der größtmöglichen Einsamkeit" - Patrick Süßkind, "Das Parfum"