Katholische Religionslehre/Religionskritik: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Zitat|Je klüger der Mensch wird, um so mehr Kräfte und Hilfsquellen wird er sich mit seinen Einsichten erschließen; die Wissenschaften, die Künste und der Fleiß helfen ihm, und die Erfahrung gibt ihm Gewissheit oder verschafft ihm Mittel, sich dem streben vieler Ursachen zu widersetzen, die ihn nicht mehr beunruhigen, sobald er sie erkannt hat. Kurz, seine Furcht verringert sich in demselben Maße, wie sich sein Geist aufklärt. Der unterrichtete Mensch hört auf, abergläubisch zu sein,<ref>ebd. S. 317</ref>|}}
{{Zitat|Je klüger der Mensch wird, um so mehr Kräfte und Hilfsquellen wird er sich mit seinen Einsichten erschließen; die Wissenschaften, die Künste und der Fleiß helfen ihm, und die Erfahrung gibt ihm Gewissheit oder verschafft ihm Mittel, sich dem streben vieler Ursachen zu widersetzen, die ihn nicht mehr beunruhigen, sobald er sie erkannt hat. Kurz, seine Furcht verringert sich in demselben Maße, wie sich sein Geist aufklärt. Der unterrichtete Mensch hört auf, abergläubisch zu sein,<ref>ebd. S. 317</ref>|}}
und "Aberglauben" im Sinne d'Holbachs ist jede Überzeugung, die sich auf etwas Übernatürliches richtet. Da macht er keinen Unterschied zwischen den Mythen der ''Wilden'', der christlichen Theologie und den Gottesbeweisen der zeitgenössischen Philosophie. Selbst [http://de.wikipedia.org/wiki/Isaac_Newton Isaak Newtons] Theologie wird bei allem Respekt vor seiner Leistung in der Physik, abgelehnt. In ermüdender Wiederholung erklärt d'Holbach, dass die ''unveränderlichen Ordnungen, die man im Universum walten sieht,'' zu erklären sind als ''notwendige Folgen der Gesetze der Materie.''<ref>ebd. S. 412</ref><br>
und "Aberglauben" im Sinne d'Holbachs ist jede Überzeugung, die sich auf etwas Übernatürliches richtet. Da macht er keinen Unterschied zwischen den Mythen der ''Wilden'', der christlichen Theologie und den Gottesbeweisen der zeitgenössischen Philosophie. Selbst [http://de.wikipedia.org/wiki/Isaac_Newton Isaak Newtons] Theologie wird bei allem Respekt vor seiner Leistung in der Physik, abgelehnt. In ermüdender Wiederholung erklärt d'Holbach, dass die ''unveränderlichen Ordnungen, die man im Universum walten sieht,'' zu erklären sind als ''notwendige Folgen der Gesetze der Materie.''<ref>ebd. S. 412</ref><br>
Man muss sich klar machen, dass 1770 noch wenig von den Gesetzen der Materie bekannt war, auf die sich D'Holbach berief: Erst 1795 veröffentlichte James Hutton seine Theory on Earth, die Gründungsschrift der Geologie, erst ab 1800 bewies Simon de Laplace die Stabilität des Sonnensystems, erst ab 1824 baute Justus Liebig das erste aller chemischen Laboratorien in Gießen auf,<ref>http://www.liebig-museum.de/dokumente/historische_staetten.pdf</ref> erst 1827 schuf Ohm die Terminologie der Elektrizitätslehre. Der aufgeklärte Mensch, der die materiellen Ursachen in der Natur erkannt hat, war also ausschließlich eine Zukunftsvision.<br>
Man muss sich klar machen, dass 1770 noch wenig von den Gesetzen der Materie bekannt war, auf die sich D'Holbach berief: Erst 1795 veröffentlichte James Hutton seine Theory on Earth, die Gründungsschrift der Geologie, erst ab 1800 bewies Simon de Laplace die Stabilität des Sonnensystems, erst ab 1824 baute Justus Liebig das erste aller chemischen Laboratorien in Gießen auf,<ref>http://www.liebig-museum.de/dokumente/historische_staetten.pdf</ref> erst 1827 schuf Ohm die Terminologie der Elektrizitätslehre. Der ''unterrichtete Mensch'' war also ausschließlich eine abstrakte Utopie.<br>
Auch aufgeschlossene Zeitgenossen lehnten daher das Buch ab. So schreibt Johann Wolfgang Goethe im Rückblick in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit:
Auch aufgeschlossene Zeitgenossen lehnten daher das Buch ab. So schreibt [http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Wolfgang_Goethe Johann Wolfgang Goethe] (1749-1832) im Rückblick in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit:<ref>Goethes Werke sind im Internet verfügbar. Dichtung und Wahrheit ist enthalten in der Kategorie [http://de.wikisource.org/wiki/Johann_Wolfgang_von_Goethe#Prosa Prosa]</ref>
{{Zitat|Keiner von uns hatte das Buch hinausgelesen; denn wir fanden uns in der Erwartung getäuscht in der wir es aufgeschlagen hatten. System der Natur ward angekündigt, und wir hofften also wirklich etwas von der Natur, unserer Abgöttin, zu erfahren, .. und wir hätten gerne von Sonnen und Sternen, von Planeten und Monden, von Bergen Tälern, Flüssen und Meeren und von allem, was darin lebt und webt, das Nähere und Allgemeine erfahren. Dass dabei manches wohl vorkommen müsste, was dem gemeinen Menschen als schädlich, der Geistlichkeit als gefährlich .. erscheinen möchte, daran hatten wir keinen Zweifel. .. Allein wie hohl und leer ward uns in dieser tristen atheistischen Halbnacht zumute, in welcher die Erde mit all ihren Gebilden, der Himmel mit allen seinen Gestirnen verschwand. .. Wir wären zufrieden gewesen, wenn der Verfasser wirklich aus seiner bewegenden Materie die Welt vor unseren Augen aufgebaut hätte. Aber er mochte von der Natur so wenig wissen als wir. Denn indem er einige allgemeine Begriffe hingepfahlt, verlässt er sie sogleich, um dasjenige, was .. als höhere Natur in der Natur erscheint, zur materiellen .. richtungs- und gestaltlosen Natur zu verwandeln, und glaubt dadurch recht viel gewonnen zu haben.<ref>Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit, Insel Ausgabe Frankfurt 1975, Band II, 546-547</ref>|}}
{{Zitat|Keiner von uns hatte das Buch hinausgelesen; denn wir fanden uns in der Erwartung getäuscht in der wir es aufgeschlagen hatten. System der Natur ward angekündigt, und wir hofften also wirklich etwas von der Natur, unserer Abgöttin, zu erfahren, .. und wir hätten gerne von Sonnen und Sternen, von Planeten und Monden, von Bergen Tälern, Flüssen und Meeren und von allem, was darin lebt und webt, das Nähere und Allgemeine erfahren. Dass dabei manches wohl vorkommen müsste, was dem gemeinen Menschen als schädlich, der Geistlichkeit als gefährlich .. erscheinen möchte, daran hatten wir keinen Zweifel. .. Allein wie hohl und leer ward uns in dieser tristen atheistischen Halbnacht zumute, in welcher die Erde mit all ihren Gebilden, der Himmel mit allen seinen Gestirnen verschwand. .. Wir wären zufrieden gewesen, wenn der Verfasser wirklich aus seiner bewegenden Materie die Welt vor unseren Augen aufgebaut hätte. Aber er mochte von der Natur so wenig wissen als wir. Denn indem er einige allgemeine Begriffe hingepfahlt, verlässt er sie sogleich, um dasjenige, was .. als höhere Natur in der Natur erscheint, zur materiellen .. richtungs- und gestaltlosen Natur zu verwandeln, und glaubt dadurch recht viel gewonnen zu haben.<ref>Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit, Insel Ausgabe Frankfurt 1975, Band II, 546-547</ref>|}}
Wie Goethe mag es vielen gegangen sein; doch die Unlust das System der Natur ''hinauszulesen'' konnte nicht verhindern, dass ein neuer Maßstab der Radikalität gesetzt war, hintem den die selbsternannten ''freien Geister'' des 19. jahrhunderts nicht zurückbleiben wollten.
Wie Goethe mag es vielen gegangen sein; doch die Unlust das System der Natur ''hinauszulesen'' konnte nicht verhindern, dass ein neuer Maßstab der Radikalität gesetzt war, hintem den die selbsternannten ''freien Geister'' des 19. jahrhunderts nicht zurückbleiben wollten.

Version vom 4. Januar 2010, 10:19 Uhr

Vorlage:ZBK Dieser Artikel behandelt Religionskritik als Thema für den Abiturjahrgang (je nachdem Stufe 12 oder 13)

Antike: Euhemeros und Lukrez

Euhemeros (340-260 v. Chr.)

Ob Euhemeros tatsächlich der Vater der Religionskritik war oder für den "Euhemerismus" nur aufgrund der dürftigen Quellenlage verantwortlich gemacht wurde, ist schwer zu sagen.
Religiöse Menschen verehren ihre Götter, weil sie den Menschen Gutes und Böses bringen können; das ist die Motivation "von innen". Unter Euhemerismus versteht man nun eine alternative Erklärung, dass nämlich Menschen historische Vorbilder zu Göttern übersteigert haben und es auf diese Weise zur Verehrung der Götter gekommen sei: Das ist eine Erklärung religiöser Phänomene "von außen", die ihre innere Motivierung relativieren kann.

Lukrez (97-55 v. Chr.)

Der römische Dichter Titus Lucretius Carus ist durch seine Lehrgedichte berühmt geworden, vor allem: De natura - Über die Natur.[1]
Sein Ideal ist die heitere Gelassenheit des Weisen, wie sie ein unbeteilgter Zuschauer einer erbitterten Schlacht oder der unbehelligte Beobachter eines Seemannes genießt, der sich in Seenot geraten abmüht. Sein Tempel ist nicht Sitz der Götter, sondern des unparteiischen Wissens, sein Vorbild ist Epikur (341-270 v. Chr.).
Vor den Priestern warnt Lukrez, weil sie den Menschen um dieses Glück betrügen, indem sie ihm Märchen erzählen, die mit lähmender Angst sein Glück vollständig verwirren. Die Göttergeschichten, die sie dazu verwenden, erklärt Lukrez als Träume, die fälschlich für real gehalten wurden.
Es ist nicht so, dass Lukrez die Götter für nichtexistent gehalten hätte; aber es vertrug sich mit seinem Ideal heiterer Gelassenheit natürlich nicht, dass sich die Götter um den Menschen kümmern und auf seine Gebete und Gaben reagieren könnten.

Paul Henri Thiry D'Holbach

Für die weitere Geschichte der Religionskritik ist vor allem die französische Aufklärung entscheidend. François Marie Arouet(1694-1778), der sich selbst Voltaire nannte, war ein sarkastischer Romanautor. Der Vorwurf des Atheismus geht mit Sicherheit zu weit, doch zusammen mit der Forderung einer Gleichheit aller Menschen vor dem Recht kritisierte er die Beteiligung der Kirche am absolutistischen Herrschaftssystem. Manfred Lütz erzählt die Anekdote, der alte Voltaire habe stets alle seine Bediensteten fortgeschickt, wenn er seine Philosophenfreunde zum Abendessen auf seinem Schloss Fernie empfing. Er fürchtete, seine Diener könnten ihn ausrauben, wenn sie sich religionskritische Gedanken machten.[2]
Denis Diderot(1713-1784) machte aus der Aufgabe ein englisches Lexikon zu übersetzen, das Projekt einer umfassenden Sammlung allen Wissens seiner Zeit, die Encyclopédie. Darin kam Gott nicht mehr vor. Doch das Interesse dieser Aufklärer an materialistischer Philosophie war eher unsystematisch.
Das ändert sich bei Paul Dietrich von Holbach (1723-1789), ebenfalls Mitarbeiter der Encyclopédie. In Frankreich nannte er sich Paul Thiry d'Holbach. -, und er stellt seinen Materialismus in einem eigenen Werk - System der Natur (1770) - auf eine systematische Grundlage:

Zitat
Die Natur kann alles; sobald eine Sache existiert, ist es ein Beweis, dass die Natur sie hervorgebracht hat.[3]

Die Entstehung der Religion erklärt er aus der Unkenntnis der Natur, entsprechend sagt er voraus, dass sie bald verschwinden wird:

Zitat
Je klüger der Mensch wird, um so mehr Kräfte und Hilfsquellen wird er sich mit seinen Einsichten erschließen; die Wissenschaften, die Künste und der Fleiß helfen ihm, und die Erfahrung gibt ihm Gewissheit oder verschafft ihm Mittel, sich dem streben vieler Ursachen zu widersetzen, die ihn nicht mehr beunruhigen, sobald er sie erkannt hat. Kurz, seine Furcht verringert sich in demselben Maße, wie sich sein Geist aufklärt. Der unterrichtete Mensch hört auf, abergläubisch zu sein,[4]

und "Aberglauben" im Sinne d'Holbachs ist jede Überzeugung, die sich auf etwas Übernatürliches richtet. Da macht er keinen Unterschied zwischen den Mythen der Wilden, der christlichen Theologie und den Gottesbeweisen der zeitgenössischen Philosophie. Selbst Isaak Newtons Theologie wird bei allem Respekt vor seiner Leistung in der Physik, abgelehnt. In ermüdender Wiederholung erklärt d'Holbach, dass die unveränderlichen Ordnungen, die man im Universum walten sieht, zu erklären sind als notwendige Folgen der Gesetze der Materie.[5]
Man muss sich klar machen, dass 1770 noch wenig von den Gesetzen der Materie bekannt war, auf die sich D'Holbach berief: Erst 1795 veröffentlichte James Hutton seine Theory on Earth, die Gründungsschrift der Geologie, erst ab 1800 bewies Simon de Laplace die Stabilität des Sonnensystems, erst ab 1824 baute Justus Liebig das erste aller chemischen Laboratorien in Gießen auf,[6] erst 1827 schuf Ohm die Terminologie der Elektrizitätslehre. Der unterrichtete Mensch war also ausschließlich eine abstrakte Utopie.
Auch aufgeschlossene Zeitgenossen lehnten daher das Buch ab. So schreibt Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) im Rückblick in seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit:[7]

Zitat
Keiner von uns hatte das Buch hinausgelesen; denn wir fanden uns in der Erwartung getäuscht in der wir es aufgeschlagen hatten. System der Natur ward angekündigt, und wir hofften also wirklich etwas von der Natur, unserer Abgöttin, zu erfahren, .. und wir hätten gerne von Sonnen und Sternen, von Planeten und Monden, von Bergen Tälern, Flüssen und Meeren und von allem, was darin lebt und webt, das Nähere und Allgemeine erfahren. Dass dabei manches wohl vorkommen müsste, was dem gemeinen Menschen als schädlich, der Geistlichkeit als gefährlich .. erscheinen möchte, daran hatten wir keinen Zweifel. .. Allein wie hohl und leer ward uns in dieser tristen atheistischen Halbnacht zumute, in welcher die Erde mit all ihren Gebilden, der Himmel mit allen seinen Gestirnen verschwand. .. Wir wären zufrieden gewesen, wenn der Verfasser wirklich aus seiner bewegenden Materie die Welt vor unseren Augen aufgebaut hätte. Aber er mochte von der Natur so wenig wissen als wir. Denn indem er einige allgemeine Begriffe hingepfahlt, verlässt er sie sogleich, um dasjenige, was .. als höhere Natur in der Natur erscheint, zur materiellen .. richtungs- und gestaltlosen Natur zu verwandeln, und glaubt dadurch recht viel gewonnen zu haben.[8]

Wie Goethe mag es vielen gegangen sein; doch die Unlust das System der Natur hinauszulesen konnte nicht verhindern, dass ein neuer Maßstab der Radikalität gesetzt war, hintem den die selbsternannten freien Geister des 19. jahrhunderts nicht zurückbleiben wollten.

Feuerbach, Marx und Freud

Religionskritik aus Sicht der Theologie

Anmerkungen

  1. Lukrez Werke sind auch in deutscher Sprache und im lateinischen Original im Internet veröffentlicht.
  2. Manfred Lütz: Gott, eine kleine Geschi8chte des Größten, München 2007, 163-164.
  3. D'Holbach. System der Natur dt. Frankfurt 1978, 416
  4. ebd. S. 317
  5. ebd. S. 412
  6. http://www.liebig-museum.de/dokumente/historische_staetten.pdf
  7. Goethes Werke sind im Internet verfügbar. Dichtung und Wahrheit ist enthalten in der Kategorie Prosa
  8. Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit, Insel Ausgabe Frankfurt 1975, Band II, 546-547