Katholische Religionslehre/Rechtfertigung: Unterschied zwischen den Versionen

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Paulus bietet eine zweite Deutung der Erlösung, indem er sich auf die Gerechtigkeit bezieht. Weil es sich dann aber um die '''Gerechtsprechung des Ungerechten''', also um eine grundlose Begnadigung handelt, bietet Paulus die Hilfsvorstellung des Begnadigungsortes (ilasterion) an, der für Juden das Allerheiligste im Tempel war.
Paulus bietet eine zweite Deutung der Erlösung, indem er sich auf die Gerechtigkeit bezieht. Weil es sich dann aber um die '''Gerechtsprechung des Ungerechten''', also um eine grundlose Begnadigung handelt, bietet Paulus die Hilfsvorstellung des Begnadigungsortes (ilasterion) an, der für Juden das Allerheiligste im Tempel war.
* ''Wie es also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurtei¬lung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Men¬schen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt. Wie durch den Ungehor¬sam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden.''
* ''Wie es also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurtei¬lung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt. Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden.''
(Römer 5,18-19)
(Römer 5,18-19)
* ''Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott als Ort der Begnadigung proklamiert, Begna¬digung in seinem Blut, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Ver¬gebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden; er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt.'' (Römer 3,23-25)
* ''Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott als Ort der Begnadigung proklamiert, Begnadigung in seinem Blut, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden; er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt.'' (Römer 3,23-25)


=== Markus ===
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=== Liedgut ===
=== Liedgut ===
[[Datei:Effigies.jpg|thumb|right|320px|Pilgerurkunde vom Besuch des Vera Effigies in Rom (19. Jahrhundert)]]
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In der Karwoche ist das Leiden Jesu Christi als Thema vorgegeben, und die Dichter bedienen sich nahezu aller Deutungen und Vergleiche, die Bibel und Tradition an¬bieten. Gelegentlich wird vorgeschlagen, beliebte Lieder wegen ihrer problematischen Gedanken ganz aus dem Liedgut der Kirche zu entfernen, zum Beispiel das Lied O Haupt voll Blut und Wunden  , das von dem evangelischen Dichter Paul Gerhardt 1656 als Übersetzung des Chorals Salve Caput Cruentatum von Arnulf von Löwen aus dem Jahr 1250 geschaffen worden ist. Johann Sebastian Bach hat das Lied mehrfach vertont. Es heißt in der vierten Strophe:<blockquote>''Was du Herr hast erduldet, ist alles meine Last''<br />''Ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast.''</blockquote>
In der Karwoche ist das Leiden Jesu Christi als Thema vorgegeben, und die Dichter bedienen sich nahezu aller Deutungen und Vergleiche, die Bibel und Tradition anbieten. Gelegentlich wird vorgeschlagen, beliebte Lieder wegen ihrer problematischen Gedanken ganz aus dem Liedgut der Kirche zu entfernen, zum Beispiel das Lied O Haupt voll Blut und Wunden  , das von dem evangelischen Dichter Paul Gerhardt 1656 als Übersetzung des Chorals Salve Caput Cruentatum von Arnulf von Löwen aus dem Jahr 1250 geschaffen worden ist. Johann Sebastian Bach hat das Lied mehrfach vertont. Es heißt in der vierten Strophe:<blockquote>''Was du Herr hast erduldet, ist alles meine Last''<br />''Ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast.''</blockquote>
Man kann diese Verse auf das Modell der stellvertretenden Strafe beziehen, man muss aber nicht. Dass einer des anderen Last – auch Schuldenlast im direkten und übertragenen Sinn - trägt, lässt sich ohne Rückgriff auf ein juridisches Erlösungsverständnis erklären. Man müsste das Lied nur weiter singen:<blockquote>''Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein,''<br />''so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Not und Pein.''</blockquote>
Man kann diese Verse auf das Modell der stellvertretenden Strafe beziehen, man muss aber nicht. Dass einer des anderen Last – auch Schuldenlast im direkten und übertragenen Sinn - trägt, lässt sich ohne Rückgriff auf ein juridisches Erlösungsverständnis erklären. Man müsste das Lied nur weiter singen:<blockquote>''Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein,''<br />''so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Not und Pein.''</blockquote>
Da geht es um den Trost in der Angst durch die Nähe des Herrn, von dem auch  Epheserbrief und Hebräerbrief reden. Dies Motiv eignet sich heute in Katechese und Religionsunterricht besonders gut als Ausgangspunkt des Gesprächs.
Da geht es um den Trost in der Angst durch die Nähe des Herrn, von dem auch  Epheserbrief und Hebräerbrief reden. Dies Motiv eignet sich heute in Katechese und Religionsunterricht besonders gut als Ausgangspunkt des Gesprächs.

Version vom 24. November 2009, 16:53 Uhr

Dieser Artikel beschreibt Rechtfertigung - auch Erlösung oder Befreiung - als eines der Kernthemen des Christentums. Da Christen glauben, dass Jesus von Nazaret der Messias (gr. Christus) im Sinne der jüdischen Hoffnung gewesen ist, müssen sie eine Antwort auf die Frage entwickeln, was sich durch diesen Menschen in der Weltgeschichte verändert hat.

Pfarrer Max Heitzer hat in seinem Pfarrbrief „dialog“ 1997 die Vielfalt biblischer Erlösungsdeutungen herausgestellt.[1] Auf dieser Arbeit aufbauend habe ich die von ihm erarbeiteten Möglichkeiten ergänzt, mit Schriftzitaten belegt und in die mutmaßliche historische Reihenfolge gestellt. Dies bildet hier den ersten Teil: Biblische Deutungen der Leistung Christi.

Außerdem enthält der Artikel die Zusammenfassung eines Aufsatzes von Wolfried Härtle: Rechtfertigung heute.[2]

Biblische Deutungen der Leistung Christi

Paulus

Paulus deutet Erlösung als Befreiung:

  • Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen! (Galater 5,1)

Konkret bedeutet das die Befreiung von den gesellschaftlichen Fesseln der Zeit und die Befreiung zu einer neuartigen Gemeinschaft:

  • Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. (Galater 3,26-28)

Paulus bietet eine zweite Deutung der Erlösung, indem er sich auf die Gerechtigkeit bezieht. Weil es sich dann aber um die Gerechtsprechung des Ungerechten, also um eine grundlose Begnadigung handelt, bietet Paulus die Hilfsvorstellung des Begnadigungsortes (ilasterion) an, der für Juden das Allerheiligste im Tempel war.

  • Wie es also durch die Übertretung eines einzigen für alle Menschen zur Verurtei¬lung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt. Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden.

(Römer 5,18-19)

  • Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus. Ihn hat Gott als Ort der Begnadigung proklamiert, Begnadigung in seinem Blut, wirksam durch Glauben. So erweist Gott seine Gerechtigkeit durch die Vergebung der Sünden, die früher, in der Zeit seiner Geduld, begangen wurden; er erweist seine Gerechtigkeit in der gegenwärtigen Zeit, um zu zeigen, dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt. (Römer 3,23-25)

Markus

Die Heilung des Blinden (Rembrandt Hermanesz van Rhijn, 1657)

Das erste Evangelium stellt Jesus als einen Menschen dar, der die Kranken heilt:

  • Er heilte viele, so dass alle, die ein Leiden hatten, sich an ihn herandrängten, um ihn zu berühren. (Markus 3,10)

In einer Grundsatzerklärung stellt sich Jesus das Heilen als seine Aufgabe, erweitert den Begriff allerdings vom Bereich Krankheit auf den Bereich der Sünde:

  • Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten. (Markus 2,17)

In einer zweiten Deutung stellt Markus Jesu Tod als Zahlung eines Lösegeldes für die vielen dar. Man kann daran denken, dass damals fromme Juden Armenkassen einrichteten, um Landsleute aus der Sklaverei freizukaufen:

  • Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Markus 10,45)

Jesu Lebenshingabe ist drittens Voraussetzung seiner Auferstehung, die in der Sicht des Markus mit der Erlösung identisch ist:

  • Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen. (Markus 9,31)

Markus bietet ein viertes Modell an, das in gewisser Weise die anderen Modelle in sich vereinigt; die Deutung der Erlösung als Lebensrettung:

  • Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinet¬will¬len und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten. Was nützt es einem Men¬schen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt? Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurückkaufen? (Markus 8,35-37)

Lukas

Lukas hat sein Evangelium als Wegbeschreibung Jesu mit seinen Jüngern gestaltet, Erlösung bedeutet für ihn, sich mit Jesus auf den Weg zu machen. Vor allem die auf Jesus bezogenen Voraussagen enthalten dieses Verständnis, zum Beispiel die Wahrsagung des greisen Zacharias über seinen Sohn Johannes, den Wegbereiter:

  • Und du, Kind, wirst Prophet des Höchsten heißen; denn du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten. Du wirst sein Volk mit der Erfahrung des Heils beschenken in der Vergebung der Sünden. Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsre Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens. (Lukas 1,76-79)

Die Deutung der Erlösung als Heilung wird – in Fortentwicklung von Markus und Matthäus – mit dem Thema der Vertreibung der bösen Geister verbunden:

  • Wenn ich aber die bösen Geister durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen. (Lukas 11,20)

Die Schüler des Paulus

Unter dem Namen des Paulus sind mehrere Briefe überliefert, die nicht von ihm selbst, sondern von seinen Schülern geschrieben wurden:
Der Colosserbrief beschreibt Erlösung als Aufnahme aller in die Liebe Gottes:

  • Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. (Colosser 3,12)

Der Epheserbrief beschreibt die Verwandlung von Ferne in Nähe durch Christi Tod und die Verwandlung von Feindschaft in Frieden:

  • Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet. (Epheser 2, 13-16)

Der Hebräerbrief

Gnadenstuhl.jpg

In der Sicht des Hebräerbriefes hat Christus für uns bewirkt, dass wir Gott nahe kommen, indem wir durch seine Vermittlung als ewigen Priester vor Gott hintreten:

  • Eine bessere Hoffnung wird eingeführt, durch die wir Gott nahe kommen. (Hebräer 7,19)
  • Jesus hat, weil er auf ewig bleibt, ein unvergängliches Priestertum. Darum kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten. (Hebräer 7,24-25)

Johannes

Johannes deutet die Erlösung so, dass uns Jesus Christus ermöglicht, das ewige Leben Gottes zu erwerben, Kinder Gottes zu werden als seine Erben und als Teilnehmer an seiner Lebensweise:

  • Allen, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, .. aus seiner Fülle haben wir empfangen Gnade über Gnade. (Johannes 1,12.16)
  • Das ist das ewige Leben: Dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. (Johannes 17,3)

Dogma

Es gibt eine kirchliche Sprachregelung, die davor schützen soll, dass die Kirche in Beliebigkeit auseinanderdriftet, weil jeder alles und jedes mit dem gleichen Anspruch auf Wahrheit sagen kann. Diese Sprachregelung ist so organisiert, dass die Bischöfe als Träger des Lehramtes Lehrsätze (Dogmen) formulieren, oft verbunden mit Bannflüchen, die diejenigen aus der Gemeinschaft der Kirche ausschließen, die etwas mit den Dogmen Unvereinbares lehren. Die Dogmen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Bekanntheitsgrades und ihrer Nähe zum Kerndogma des Christentums, der Erlösung der Menschen durch Jesus Christus. Die nach diesen Kriterien wichtigsten Dogmen sind im Glaubensbekenntnis zusammengefasst. Im „großen Glaubensbekenntnis“ heißt es knapp:

  • Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er (Jesus Christus, Gottes eingebore¬ner Sohn) vom Himmel herabgekommen.

Die Synode von Quiercy definierte im Jahre 855:

  • Der allmächtige Gott will alle Menschen ohne Ausnahme heiligen. Es werden aber nicht alle heilig. Die Heiligung der Geheiligten ist ein Geschenk, denen, die zu Grunde gehen, geschieht, was sie verdient haben.[3]

Das Konzil von Trient deutet – wie Luther – Erlösung mit Paulus als Rechtfertigung und zählt in sauberer scholastischer Logik auf: deren Zielursache (die Verherrlichung Gottes und das ewige Leben), deren Wirkursache (Gottes Erbarmen), deren Werkzeug (die Taufe) und deren Form (Gottes gerecht machende Ge¬rechtigkeit). Dazwischen wird auch eine Verdienstursache angegeben:

  • Die Verdienstursache <der Gerechtsprechung des Sünders> ist unser Herr Jesus Christus, der uns, als wir noch seine Feinde waren, in unergründlicher Liebe liebte und uns durch sein hochheiliges Leiden am Kreuzesholz Gerechtsprechung verdiente.

Dogmatik

Eine der theologischen Wissenschaften, die Dogmatik, erforscht den logischen Zusammenhang der Dogmen der Kirche und bietet damit der kirchlichen Lehrtätigkeit in Universität, Predigt und Schule eine zeitgemäße Grundlage. Weil aber die Menschen verschieden sind und verschiedene Blickrichtungen auf das Ganze des Glaubens haben, kann und muss es mehrere Dogmatiken geben, die sich alle auf dieselben Dog¬men der Kirche beziehen. Man kann auch verbreitete Schwerpunktsetzungen der Lehre in der Kirche bedauern, unglückliche historische Entwicklungen aufzeigen und Korrekturen vorschlagen.
Die Vielfalt biblischer Modelle, zu begreifen, was Jesus für die Menschheit getan hat, ist leider in der Geschichte verengt worden, als eine juristische Analogie als die maßgebliche Erlösungslehre galt. Dabei sind zwei Denkmuster miteinander verbunden worden, die gar nicht gut zusammen passen:

  • Das Modell der Erlösung als Begnadigung, als unverdiente Gerechtsprechung.
  • Das Modell der Begleichung einer Schuld und des Loskaufs aus Schuldknechtschaft.

Beides sind in einer feudalen Zeit, in der Sklaverei existierte, sehr starke Hoffnungsbilder; Begnadigung und Loskauf aus der Sklaverei waren sicher die stärkste Befreiung, die ein Mensch für einen anderen erwirken konnte. Kombiniert man aber beide Vergleiche, dann entsteht die Vorstellung einer Begnadigung, für die jemand die verdiente Strafe anstelle des Schuldigen auf sich nimmt. Dies aber würden wir keineswegs als gerecht empfinden. Nehmen wir an, der Bruder eines Mörders würde auf¬grund eines falschen Geständnisses verurteilt und nach Verbüßung der Strafe frei gelassen. Durch verbesserte kriminaltechnische Methoden kann man aber Jahrzehnte nach der Tat dem wirklichen Mörder seine Schuld nachweisen. In diesem Fall würde der wirkliche Mörder auch verurteilt werden – und dem fälschlich verurteilten Bruder stünde Rehabilitation und Entschädigung zu.
In unserer Rechtsordnung dient Strafe nicht der Genugtuung, sondern einerseits dem Schutz der Gesellschaft vor Straftaten, anderseits soll der Straftäter lernen, sich in ein Leben ohne weitere Straftaten hineinzufinden (wodurch ja auch der Schutz vor Straftaten bestmöglich gewährleistet wäre). Die These, bei Gott sei das eben alles anders und seine Wut auf den Sünder könne durch die Hinrichtung dessen, der ohne Sünde war, beruhigt werden, passt daher für uns nicht zu Gott als liebem Vater und treuem Bündnispartner (Römer 8,15; Hebräer 10,23).
Der Christ ist nicht verpflichtet, ein Deutungsmo¬dell der Erlösung zu pflegen, das sich angesichts der Weiterentwicklung des Rechtsverständnisses heute nicht begreiflich machen lässt, ja, absurd erscheint.

Liedgut

Pilgerurkunde vom Besuch des Vera Effigies in Rom (19. Jahrhundert)

In der Karwoche ist das Leiden Jesu Christi als Thema vorgegeben, und die Dichter bedienen sich nahezu aller Deutungen und Vergleiche, die Bibel und Tradition anbieten. Gelegentlich wird vorgeschlagen, beliebte Lieder wegen ihrer problematischen Gedanken ganz aus dem Liedgut der Kirche zu entfernen, zum Beispiel das Lied O Haupt voll Blut und Wunden , das von dem evangelischen Dichter Paul Gerhardt 1656 als Übersetzung des Chorals Salve Caput Cruentatum von Arnulf von Löwen aus dem Jahr 1250 geschaffen worden ist. Johann Sebastian Bach hat das Lied mehrfach vertont. Es heißt in der vierten Strophe:

Was du Herr hast erduldet, ist alles meine Last
Ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast.

Man kann diese Verse auf das Modell der stellvertretenden Strafe beziehen, man muss aber nicht. Dass einer des anderen Last – auch Schuldenlast im direkten und übertragenen Sinn - trägt, lässt sich ohne Rückgriff auf ein juridisches Erlösungsverständnis erklären. Man müsste das Lied nur weiter singen:

Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Not und Pein.

Da geht es um den Trost in der Angst durch die Nähe des Herrn, von dem auch Epheserbrief und Hebräerbrief reden. Dies Motiv eignet sich heute in Katechese und Religionsunterricht besonders gut als Ausgangspunkt des Gesprächs.

Zusammenfassung

In einer Tabelle sind die angebotenen Erlösungsmodelle noch einmal zusammengefasst. Dass es alleine in den kanonischen Schriften sehr viele gibt, mehr jedenfalls als in der Tabelle, zeigt schon, dass man nicht eines gegen andere ausspielen darf.

Erlösungsmodelle

Fakt ist, dass Jesus von Nazaret aufgrund eines ungerechten Urteils hingerichtet wurde und dass die Kirche Jesu Christi nach seinem Tod entstanden ist und dass viele, viele Menschen froh waren und sind, zu dieser Kirche zu gehören. Diese Fakten sind zu erklären und zwar so zu erklären, dass Menschen heute einen Zugang zur Kirche und zu Christus finden und erfahren, was Erlösung bedeutet.

Literatur

  • Wilfried Härle: Spurensuche nach Gott Berlin 2008
  • Denzinger Schönmetzer Enchiridion Symbolorum Editio XXXVI 1976[4]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Dialog (Pfarrbrief vom 20.4.1997)
  2. In: Wilfried Härle: Spurensuche nach Gott Berlin 2008 184-201
  3. Denzinger Schönmetzer: Enchiridion Nr. 623
  4. Hinweis: Es gibt inzwischen neuere Ausgaben des Handbuches als die hier benutzte.