Gottesbeweis
Inhaltsverzeichnis
Was ist ein Beweis?
Mathematische Beweise
In der Mathematik geht es um scharfe, unmissverständliche Definitionen. Die Aussagen, die sich mit den so definierten Gegenständen treffen lassen, müssen sich rein logisch aus den Definitionen ableiten lassen. Ob man diese Gegenstände irgendwo auffinden und die Aussagen anwenden kann, ist für die Mathematik zweitrangig. Zum Beispiel kann man irre große Zahlen oder irre kleine Zahlen definieren. Die mathematischen Aussagen über diese Zahlen gelten, auch wenn es gar nicht so viele Sachen gibt oder so kleine Größen in gar keiner Beobachtung auftauchen.
Was ein solcher Beweis leistet, macht man sich am besten an einem Beispiel klar.
Gedankengänge wie diese beweisen die Leistungsfähigkeit der Mathematik. Sie kann mit reiner Logik aus ihren Definitionen Folgerungen ableiten, und sie muss nicht erst nachschauen, ob diese auch stimmen. Sie müssen stimmen, weil das Gegenteil in sich widersprüchlich ist.
Es sei denn, das ganze Konzept der Mathematik vom Begriff der Unendlichkeit enthielte einen Widerspruch.
Wissenschaft als Dialog mit der Natur
Die Naturwissenschaften sind in der Erforschung ihrer Gegenstände ohne Zweifel sehr erfolgreich, und ihre Ergebnisse lassen sich in vielen Fällen technisch nutzen, so dass der Erfolg der Naturwissenschaften auch denjenigen einleuchtet, die zwar von Chemie, Physik, Biologie oder Informatik wenig verstehen, aber als Nutzer der durch die Wissenschaften ermöglichten Produkte davon profitieren. Der Gedanke liegt nahe, die Naturwissenschaften von allen anderen Forschungen menschlicher Vernunft abzugrenzen und als einzigen sicheren Zugang zur Wirklichkeit auszuzeichnen.
Infolge der Veröffentlichung des Tractatus_logico_philosophicus des jungen Ludwig_Wittgenstein
(1889-1951) versuchte insbesondere der Wiener Kreis
, endgültig wissenschaftliche Aussagen von "Metaphysik
" abzugrenzen, der man jeden Sinn absprach. So lautet der berühmte Schlusssatz des Tractatus:
Die Sätze des Tractatus fallen unter das Sinnlosigkeitsverdikt, das sie aussprechen; wer den Tractatus gelesen und den Unterschied zwischen sinnlosen und empirisch gehaltvollen Sätzen kennen gelernt hat, ist gleichsam auf einer Leiter aufgestiegen, die hernach keinen Nutzen mehr hat, weil der Aufgestiegene sich nur noch mit gehaltvollen Sätzen befassen wird, zu denen die des Tractatus nicht gehören.
Um die Naturwissenschaften als privilegierten Weg zur Wahrheit von anderen geistigen Tätigkeiten abzugrenzen, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Zwischen wissenschaftlichen und anderen Aussagen lässt sich ein Unterschied definieren.
- Methoden der Überprüfung wissenschaftlicher Aussagen an der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit lassen sich unzweideutig abgrenzen.
- Es gibt bei der Unterscheidung zwischen Wissenschaft und unwissenschaftlichem Denken keine Willkür, sondern alle Kriterien stehen logisch miteinander im Zusammenhang und sind plausibel.
Diese Kriterien sind notwendige Voraussetzungen jedes Szientismus, der nur "Wissenschaft" gelten lassen will, oder Empirismus
, der Erfahrungswissenschaften als Zugang zur Wahrheit privilegieren will. Die Kriterien sind ohne weiteres erfüllbar, solange es um eine durch ihre Methoden und ihren Gegenstandsbereich abgegrenzte Wissenschaft geht:
Die Probleme des Szientismus, beginnen dann, wenn alle Wissenschaften durch eindeutige Abgrenzung von allem unterschieden werden sollen, was nicht Wissenschaft ist. Es sind vor allem zwei:
- Thomas Kuhn
, Paul Feyerabend
und Kurt Hübner
haben gezeigt, dass alle vorgeschlagenen szientistischen Kriterien scheitern, wenn sie große Umwälzungen der Wissenschaftsgeschichte rechtfertigen sollen, etwa den Übergang von der aristotelischen
Kosmologie und Physik zur kopernikanischen
und newtonschen
oder den Übergang von der Mechanik, wie Laplace
und Hamilton
sie beschrieben haben, zu Quantenphysik
und Relativitätstheorie
.
- Rupert Sheldrake
(*1942) hat in seinen Büchern darauf hingewiesen, dass die Wissenschaft ihren Gegenstandsbereich allzu sehr eingegrenzt hat und paranormale Phänomene wie Vorauswissen ebenso voreilig ausschließt wie die Möglichkeit, dass Größen, die man als Naturkonstanten definiert hat - zum Beispiel die Vakuumlichtgeschwindigkeit - vielleicht veränderlich sein könnten.
Ilya Prigogine (1917-2003) hat das Vorgehen der Wissenschaften als Dialog mit der Natur bezeichnet.
Er stellt sich das so vor: Wir stellen aus unseren theoretischen Überlegungen heraus Fragen an die Natur und versuchen anhand der Resultate unserer Untersuchungen nicht nur Antworten auf die gestellten Fragen zu finden, sondern auch bessere Fragen zu stellen. Methodologische oder theoretische Vorfestlegungen können einem richtigen Instinkt folgen und zu hartnäckiger Forschung inspirieren, die sich letztlich als erfolgreich erweist, wie Einsteins allgemeine Relativitätstheorie
, die entwickelt wurde, bevor es empirische Hinweise für sie gab. Vorfestlegungen können sich aber auch als hinhaltender Widerstand gegen die richtige Idee erweisen; auch dafür ist Albert Einstein (1879-1955) ein Beispiel, der 20 Jahre lang die empirische und theoretische Evidenz nicht wahrhaben wollte, die für die Quantenphysik
sprach.
Die heutige Kosmologie beschreibt eine gigantische, aber endliche Welt, die in einem Ausnahmezustand begann und auf einem Ausnahmeplaneten Leben in unglaublicher Vielfalt hervorgebacht hat, darunter einen Beobachter, der aufgrund einer Ausnahmesituation alle Organisationsstufen des Daseins von den Bestandteilen der Atome bis zu den Galaxienhaufen und den gewaltigen intergalaktischen Räumen mit seinen Sinnen und Theorien erforschen kann.
Es sind vor allem vier Fragen, auf die die Naturwissenschaft keine Antwort hat:
- Warum gibt es überhaupt eine Welt?
- Warum folgt die Welt, soweit wir sie kennen, Naturgesetzen, die wir begreifen können?
- Warum gibt es gerade die Anfangsbedingungen, die der Welt die Entwicklung ermöglicht haben, die sie beobachtbar genommen hat?
- Warum hat es gerade die Abfolge von Ereignissen gegeben, die zu unserer Existenz geführt haben?
Beweise nach juristischem Vorbild
Vor Gericht gelten Zeugenaussagen und Indizien.
Da Indizien mehr oder weniger wissenschaftlich fundierte Beobachtungsaussagen sind, haben wir damit in der Gottesfrage ähnliche Schwierigkeiten wie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt.
Bei Zeugenaussagen muss das Gericht prüfen, ob eine Zeugenaussage glaubwürdig ist.
Vor Gericht ist auch noch ein anderer Punkt entscheidend: Die Frage der Beweislast. Das Recht arbeitet mit Vermutungen, zum Beispiel mit der Unschuldsvermutung, die denjenigen, der jemandem eine Straftat vorwirft, zum Beweis verpflichtet, während der Verteidiger des Verdächtigen die Unschuld nicht beweisen muss.
Fazit
Menschen argumentieren und versuchen sich gegenseitig zu überzeugen. Eine eindeutige Unterscheidung zwischen "zwingenden" Beweisen und bloßer Spekulation gibt es nicht. Fred_Hoyle war zum Beispiel selbst dadurch nicht vom Urknall
zu überzeugen, dass die von ihm selbst als entscheidendes Kriterium vorgeschlagene Hintergrundstrahlung
tatsächlich von Wilson
und Penzias
gefunden worden war. Erst recht werden Anhänger der Homöopathie
oder selbst der Astrologie
sich kaum von noch so schlüssigen physikalischen oder statistischen Argumenten überzeugen lassen.
All das gilt verstärkt für die Frage nach Gott. Zu ihm hat in der Tat jeder und jede einen (oder keinen) eigenen Zugang. Die Idee des Gottesbeweises besteht aber darauf, dass auch die Frage nach Grund und Sinn des Ganzen eine Herausforderung für die menschliche Vernunft darstellt. Die Alternative wäre ein Positivismus der Religionen und Weltanschauungen, der davon ausgeht, dass die Frage, wer in den letzten Fragen Recht hat, nicht nur nicht endgültig geklärt werden kann, sondern nicht einmal miteinander besprochen werden kann.
Etappen der Gottesbeweisfrage
Die deutsche Wikipedia enthält einen Artikel Gottesbeweis, der insbesondere systematisch vorgeht, apriorische (vom Begriff ausgehende) von aposteriorischen (von der Erfahrung ausgehende) Argumenten unterscheidet und dafür historische Beispiele anführt.
Die Intention dieses Artikels in ZUM_Unterrichten ist unterrichtspraktischer. Die Texte werden in den Zusammenhang von Ursprung und Wirkung gestellt, und der interessierte Schüler, die interessierte Schülerin kann sich aus einem Argumentationsmuster einen Text aussuchen und für sich analysieren. Man kann das natürlich auch gemeinsam im Unterricht machen.
Xenophon (426-345 v. Chr.)
In seinen Erinnerungen an Sokrates berichtet Xenophon, dass Sokrates
seine Zuhörer davon überzeugt habe, dass die Götter existieren und dem Menschen wohl gesonnen sind.
Thomas von Aquin (1224-1275) hat das Argument in überarbeiteter Form in seine Summa theologica
einbezogen, indem er es philosophisch zuspitzt und mit dem theologischen Motiv der Spuren der Dreieinigkeit (Vestigia Trinitatis) verbindet. Denn dass das Verhalten der Dinge Regeln zu folgen scheint, wird als Spur des Logos Gottes gedeutet; dass die Dinge für etwas gut sind, gilt als die Spur des Heiligen Geistes und die Existenz der Natur als Spur des Vaters.
[Alle Werke des Thomas von Aquin sind im Internet veröffentlicht.]
Als 1687 die Philosophiae Naturalis Principia mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie) des Isaac Newton herausgekommen waren, gab es ein neues Vorbild der Wissenschaftlichkeit. Und die Zeit verlangte nach einer Theologie, die zu dieser Physik passte, eine Physikotheologie. 1691 stiftete der irische Naturforscher Robert_Boyle
(1627-1692) ein Kapital, aus dem das Gehalt eines Predigers bestritten werden sollte, der Gottes Existenz und Eigenschaften aus dem regelmäßigen Bau der Natur beweisen sollte. Dadurch erhielt die Physikotheologie großen Auftrieb. Nicht nur Philosophen arbeiteten Gottesbeweise in dieser Tradition aus, sondern auch die Dichtung nahm sich des Themas an; namentlich seien genannt Alexander_Pope
(1688-1744) und Barthold_Hinrich_Brockes
(1680-1747). Aus dessen Werk Irdisches_Vergnügen_in_Gott
seien ein paar Verse wiedergegeben:
Allerdings tendierte die Physikotheologie der Aufklärungszeit zur Gottesidee des Deismus
. Gott wurde demnach als Urheber der Naturgesetze angesehen, aber es wurde ausgeschlossen, dass er in den Lauf der Welt in irgendeiner Form eingreifen könnte.
Immanuel Kant (siehe unten) fordert Hochachtung für den physikotheologischen Gottesbeweis.
Dennoch hat er keinen Platz in der reinen theoretischen Vernunft, weil Gott nun mal kein Gegenstand unserer Erfahrung und damit auch kein Gegenstand einer Erfahrungswissenschaft ist. Allerdings hat die Erfahrungswissenschaft im Sinne Kants nicht nur keinen Begriff für "Gott", sondern sie gerät auch mit den Begriffen "Welt" und "Materie" in innere Widersprüche (Antinomien). Ein anderes Vermögen der menschlichen Urteilskraft wird deshalb von Kant gefordert, wenn über das Ganze der Wirklichkeit gesprochen werden soll. Darauf kommen wir zurück.
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Aristoteles war der Forscher unter den griechischen Philosophen. Als Beispiel kann man einen Vergleich heranziehen: Während Plato in seiner Schrift Der Staat
aus der Idee der Gerechtigkeit einen idealen Staat entwickelte und in Sizilien
mit der Verwirklichung seiner Ideen prompt Schiffbruch erlitt, ließ Aristoteles von seinen Mitarbeiten alle verfügbaren Staatsverfassungen sammeln und verglich sie miteinander.
Die Theologie des Aristoteles ist ein Element seiner Physik. Das ist der Versuch, die bekannten Beobachtungen und die schon vorhandenen Theorieerfahrungen zu einem Gesamtbild des Kosmos zusammenzustellen. Dazu gehört die Auffassung, dass es vier Elemente gebe, denen ihr natürlicher Ort zugeordnet werden könne: Erde und Wasser gehören nach "unten" (Richtung Erdmittelpunkt); Feuer und Luft gehören nach "oben" (Richtung Himmel). Die Sterne hingegen bestehen aus einer fünften Materie (der Quintessenz), von der wir nichts wissen.
Der eigentliche Gottesbeweis im achten Buch der Physik und im zwölften Buch der Metaphysik geht aus von einer Analyse der "Bewegung" ("Kinesis" - Hans Wagner übersetzt "Prozess"). Aristoteles versteht darunter die Verwirklichung eines Zustandes, der zuvor nur möglich war, aber durch eine Bewegungsursache, einen Anstoß wirklich gemacht wird. Wenn der Gegenstand, der anstößt, selbst wieder einen Anstoß braucht, haben wir die Ursache der Bewegung nicht gefunden. Die Annahme, dass es eine unendliche Kette von Anstößen gibt, damit irgendeine Bewegung zustandekommt, scheitert an dem Widerspruch, dass dann irgendwann einmal alle Dinge nur im Zustand der Möglichkeit sind und auf einen Erstanstoß für immer warten müssen, während wir doch jede Menge verwirklichte Möglichkeiten sehen.
Wenn Aristoteles nachweist, dass es unmöglich nur Bewegliches geben kann, sondern auch etwas geben muss, das bewegt, ohne sich selbst zu bewegen, einen unbewegten Beweger, dann hat Aristoteles die Fixsternsphäre im Blick, deren ewig-vollkommene Kreisbewegung ihn auf eine Ursache schließen lässt, die dadurch bewegt, dass sie von den vielen Sternen, die sich Aristoteles als intelligente Wesen denkt, geliebt wird.
Zur Wirkungsgeschichte
Thomas von Aquino hat sich mit diesem Beweis in seinem Kommentar zur Physik des Aristoteles sehr gründlich beschäftigt und den Gedankengang in seinen großen Lehrbüchern knapp zusammengefasst. Johannes Duns Scotus hat ihn ebenfalls aufgegriffen. Im christlichen Mittelalter sah man in Aristoteles einen Zeugen für die Glaubensaussage, dass der Mensch auch mit seiner Vernunft Gott erkennen kann.
Die aristotelische Kosmologie war für 1800 Jahre maßgeblich. Das christliche Mittelalter arbeitete an dem Problem, die Beweise des Aristoteles mit den Dogmen der Kirche in Einklang zu bringen. Zum Beispiel ließ sich die Annahme, der Kosmos sei im großen und ganzen unveränderlich und ewig, nicht mit dem Dogma der Schöpfung der Welt durch Gott vereinbaren. Zug um Zug überwand die mittelalterliche Theologie und Philosophie die aristotelische Kosmologie. Johannes Buridanus (1300-1358) stellte zum Beispiel den aristotelischen Bewegungsbegriff durch das Trägheitsprinzip in Frage. Nikolaus Kopernikus
stellte (1473-1543) anstelle der Erde die Sonne in den Mittelpunkt des Universums. Johannes Kepler
(1571-1630) entdeckte, dass sich die Sterne nicht auf Kreisbahnen, sondern auf Ellipsen bewegen. Schließlich löste Isaac Newton
(1642-1727) die aristotelische Physik durch die klassische Mechanik ab.
Mit der Ablösung der aristotelischen Kosmologie und Physik durch die newtonsche ist dem Bewegungsbeweis mindestens das anschauliche Demonstrationsobjekt abhanden gekommen. Die Frage nach einem weltbildunabhängigen Element der aristotelischen Theologie wird, wie nicht anders zu erwarten, heftig und kontrovers diskutiert. Der folgende Gedankengang ist ein Vorschlag. Aber selbstverständlich könnte man es auch ganz anders machen:
Anselm von Canterbury (1033-1109)
Der Prior, Abt und Bischof Anselm von Canterbury hat als Lehrer seiner Brüder ein Programm formuliert: Fides Quaerens Intellectum: Glaube, der Verstehen anstrebt. Was das bedeutet, erkennt man, wenn es mit dem Verstehen nicht klappt, wie Anselm dem Roscelin vorwirft:
Das Proslogion ist ein Gebet, wie der Name es sagt, ein Ansprechen Gottes. Das Büchlein ist konzentriertester Ausdruck des Anselmschen Programms. Das erste Kapitel ist ein Gebetstext, der an die herrliche Bestimmung des Menschen erinnert und seinen furchtbaren Sündenfall beklagt, als 2. Kapitel folgt der Gedankengang, der als ontologisches Argument Geschichte gemacht hat:
Johannes Duns Scotus (1275-1309)
Der wichtigste Beitrag des christlichen Mittelalters zur Gottesbeweisfrage ist die Abhandlung über das erste Prinzip des Johannes Duns Scotus, die Wolfgang Kluxen
1974 ins Deutsche übersetzt und kommentiert hat. Das Werk aus der letzten Lebensphase des Franziskaners, das einen geschlossenen Gedankengang umfasst, besteht aus vier Kapiteln; das erste benennt den Ausgangspunkt des Gedankengangs, die sachlich begründete Ordnung (ordo essentialis) und unterwirft diesen Grundbegriff vier Aufteilungen: Die erste unterscheidet die Ordnung des Vorrangs von der Ordnung der Abhängigkeit; die zweite und dritte Einteilung unterscheiden zwischen dem näher und entfernter Verursachen; die vierte Einteilung unterscheidet in traditioneller Weise Wirk-, Ziel-, Form- und Stoffursache und das entsprechend Verursachte. In den verbleibenden drei Kapiteln werden 46 Sätze (Conclusiones) in zum Teil sehr umfangreichen und komplexen Argumentationen nachgewiesen.
Entscheidende Wendepunkte der Argumentation sind: Satz 9 aus Kapitel 2: Die vier Gattungen von Ursachen sind beim Verursachen desselben wesentlich geordnet. Dabei werden Wirk- und Zielursächlchkeit höher eingeordnet als Stoff- und Formursache, sodass bei der Suche nach dem ersten Prinzip nur noch die Wirk- und Zielursächlichkeit berücksichtigt werden muss. Die Zuordnung des Vorranges leistet Satz 16: Jedes Zielbestimmte ist ein Übertroffenes. Wenn aber alle Gattungen der Ordnung in einer Ordnung zusammenhängen, dann lässt sich nachweisen, was in Satz 15 des dritten Kapitels ausgesprochen wird:
In die sehr umfangreiche Argumentation für diesen Satz bezieht Scotus nun auch das Argument des Anselm als fünften Weg und den Bewegungsbeweis des Aristoteles als siebten Weg in überarbeiteter Form ein, sodass seine Abhandlung eine Gesamtdarstellung der zu diesem Thema vorgebrachten Argumentationsstrategien ist.
Auf dem Höhepunkt des Gedankengangs geht Scotus in das Gebet über:
Die Vernunft kann also Gott erkennen, weil sie von Gott geschaffen und inspiriert worden ist.
Immanuel Kant (1724-1804)
Um gleich eingangs mit zwei Vorurteilen aufzuräumen:
- Immanuel Kant, dessen Schriften teilweise im Projekt Gutenberg veröffentlicht sind, war zeitlebens fest davon überzeugt, dass Gott existiert. Vom Anfang bis zum Ende seines Schaffens gibt er dieser Überzeugung Ausdruck.
- Es ist keineswegs so, dass Kant die Gotteslehre ausschließlich in der Ethik beheimatet sieht. In der Kritik der reinen Vernunft werden zwar im Abschnitt über das transzendentale Ideal der Vernunft traditionelle Gottesbeweise kritisiert, aber im Rahmen der Dialektik, in welchem insgesamt die Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit des theoretischen Erkennens Thema ist.
Die Bedeutung der kantischen Vernunftkritik für die Gottesfrage wird am klarsten in der Kritik der Urtheilskraft dargestellt. Der Gedankengang sei knapp referiert:
Damit ist eigentlich auch die Falsifikationsbedingung der Gottesüberzeugung ausgesprochen:
Kurt Gödel (1906-1978)
Kurt Gödel formulierte 1931 den Beweis, auf den nun wirklich niemand gewartet hatte:
Kurt Gödel hielt die Goldbachsche Vermutung für das Beispiel eines zwar wahren, aber nicht beweisbaren Satzes der Zahlentheorie. Diese Vermutung besagt, dass jede gerade Zahl größer 2 (die selbst eine Primzahl ist) als Summe zweier Primzahlen ausgedrückt werden kann: 4=2+2; 6=3+3; 8=3+5; 10=5+5=3+7; usw. In der Tat ist die Goldbachsche Vermutung bis heute nicht bewiesen worden, aber bis 1018 ist auch noch keine Ausnahme gefunden worden, ja, es zeigt sich, dass größere Zahlen sich wahrscheinlich durch mehrere Summen aus verschiedenen Primzahlpaaren darstellen lassen. Es gibt also vernünftige Gründe, an die Wahrheit der Goldbachschen Vermutung zu "glauben", auch wenn ein strenger Beweis nicht vorliegt.
Im Nachlass Gödels fand sich, in der Formalsprache der Mathematik geschrieben, ein Gottesbeweis in verschiedenen Varianten, dessen Ausgangspunkt der Begriff "positive Eigenschaft" ist, den ich hier in natürlicher Sprache referiere:
Gottesbeweis und Theologie
Die katholische Kirche bekennt sich seit dem Ersten Vatikanischen Konzil zu der Aussage:
Das ist eine Folgerung aus dem Glauben, dass Gott sowohl den Menschen und seine Vernunft als auch die übrigen Schöpfungswerke ins Sein ruft und im Sein erhält. Würde der Mensch bei unvoreingenommenem Nachdenken zu der Überzeugung gelangen müssen, es hätte nie eine Schöpfung gegeben und die Welt erkläre sich aus sich selbst, dann müsste man annehmen, dass Gott nicht ist oder den Menschen täuscht.
Das Konzil hat keinen Gottesbeweis präsentiert, aus der zitierten Glaubensüberzeugung folgt streng genommen nicht einmal, dass eines der je vorgeschlagenen Argumente überzeugend ist. Es kann ja sein, dass der Mensch nicht glauben will, und deshalb Gottes Spuren zwanghaft übersieht oder durch seine Rabulistik wegdiskutiert. Das ist einer der Gründe, warum das Konzil es für notwendig erklärt, dass sich Gott dem Menschen auch in der Offenbarung mitteilt:
Letztlich geht es um die Wahrheit: Der Glaube identifiziert sie mit Gott und gewinnt einen Anhaltspunkt. Die materielle Wirklichkeit, die wir mit unseren wissenschaftlichen Theorien und Experimenten schrittweise verstehen, steht dann unserer Selbsterkenntnis, in der wir uns mit Kunstwerken und Philosophien, Legenden und Riten gegenseitig zu helfen versuchen, nicht mehr feindselig gegenüber.
Das wäre aber der Fall, wenn der Mensch mechanistische Konstruktionen, geschlossene Erkenntnissysteme als das einzig Wirkliche hinnehmen müsste. Dann würde sein Selbstbild als freies und nach Sinn suchendes Geschöpf zur Illusion. Gut und Böse, Zurechnung und Verantwortlichkeit, Wahrheit und Lüge würden als Elemente dieser Illusion bedeutungslos, ja die Bedeutung selbst würde sich in Verfahren der Codierung und Umcodierung von Information auflösen. Die Frage nach der "Wahrheit" würde sich dann so stellen: Sind Aussagen in unterschiedlichen Zeichensystemen ineinander überführbar? Kann man gesprochene Sprache in digitalisierten Text auslesen? Kann man DNA-Code der Taxonomie der Lebewesen eindeutig zuordnen? Kann man unsere Gedanken und Wünsche als hirnanatomische Muster wiedererkennen? Und erfassen Umcodierungen dieser Art alles, was es zu erfassen gibt in der Welt und im Menschen?
Gottesbeweise verneinen die Konsistenz abgeschlossener Symbolsysteme:
- Ein kontingenter Wechselwirkungszusammenhang kann jede Wirkung erklären, die zum Zusammenhang gehört, aber nicht die Existenz des ganzen.
- Die Betrachtung der Natur als sinnvoll und zielstrebig macht wahre Aussagen, die sich nicht durch mechanistische Aussagen substituieren lassen.
- Auch Mathematik und Logik lassen sich nicht in vollendbare Systeme einschließen; es gibt Formeln - "Etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann" - "alle denkbaren positiven Eigenschaften umfassend" -, die das Glasperlenspiel unverbindlichen Symbolisierens sprengen und notwendige Existenz als Möglichkeit, folglich auch als Wahrheit erscheinen lassen.
Alle Gottesbeweise sind sofort widerlegt, wenn es eine Theory of everything geben würde, ein formallogisch konstruiertes Symbolsystem, das vom Elementarteilchen bis zum menschlichen Verhalten alles mit eindeutigen Zuordnungsregeln abbilden kann, was es gibt. Ein solches System gibt es bislang nicht. Für Glauben bleibt Raum.
Dem Glaubenden erschließt der Gottesbeweis mit vieler Mühe einen Zipfel der Wahrheit, die sich ihm längst freigebig offenbart hat als vollkommene Liebe. Das Hauptthema des Glaubens ist, die Liebe erfahrbar zu machen, indem die Hungernden zu Essen und Trinken bekommen, die an den Rand Gedrängten aufgesucht werden, indem Angst und Verzweiflung überwunden und die Niedergedrückten befreit werden. (Matthäus 25,31-46) In dem Maß, in dem es den Glaubenden gelingt, Befreiungserfahrungen mit dem Namen Gottes zu assoziieren, werden auch Menschen zum Glauben finden: Das ist der Wirksamste aller "Beweise".